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Ausgabe:

September/2009

Spalte:

989–990

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hailer, Martin

Titel/Untertitel:

Götzen, Mächte und Gewalten.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. 208 S. m. 3 Abb. 8° = Biblisch-theologische Schwerpunkte, 33. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-525-61611-6.

Rezensent:

Thomas Zeilinger

Im Nachgang zu seiner 2006 im gleichen Verlag erschienenen systematisch-theologischen Habilitationsschrift »Gott und die Götzen. Über Gottes Macht angesichts lebensbestimmender Mächte« hat Martin Hailer in der Reihe »Biblisch-theologische Schwerpunkte« sein Verständnis des Verhältnisses von Gottes Macht und konkurrierender Mächte für ein breiteres, nicht fachwissenschaftliches Publikum entwickelt. Mit dem gut 200-seitigen Büchlein kommt H. das Verdienst zu, die in den vergangenen Jahren systematisch-theologisch neu entdeckte Relevanz der biblischen Rede von »Götzen, Mächte[n] und Gewalten« einer weiteren Öffentlichkeit zu­gänglich zu machen. Dies gelingt ihm in einer durchweg ansprechenden, stets auf Beispiele und Konkretionen bezogenen Sprache.
Gleich zu Beginn eröffnen der brasilianische Umbanda-Kult, die Phänomenologie der Musik und die griechische Mythologie einen weiten (und sachgemäßen) Assoziationsraum für die Thematik der Macht und der Mächte. Die Undurchschaubarkeit und schillernde Numinosität des Gegenstands wird so ebenso deutlich wie die Notwendigkeit einer exegetisch, philosophisch und systematisch-theologisch instruierten Wahrnehmungslehre für die Macht der Mächte. Als Zielbestimmung für das Büchlein formuliert H. deshalb: »Wenn es so ist, dass mancherlei Mächte das Leben der Menschen bestimmen, wie sollen diese beschrieben werden und auf welche Weise soll dann von der Macht Gottes gesprochen werden?« (25)

Zur Bearbeitung dieser Fragestellung entfaltet H. in einem ersten – philosophisch geprägten – Kapitel (s)eine Theorie der Mächte. Der cartesischen Unterscheidung von Subjekt und Objekt stellt er dazu die des Apollinischen (Theorie und Distanz) und des Dionysischen (Leidenschaft und Rausch) bei Nietzsche zur Seite. Erst sie macht die Macht der Mächte wieder thematisierbar, die bei Descartes stillgestellt ist, da doch in seinem Denken gerade die »Basisfunktion« der Mächte, »die Position des Subjekts ein[zu]nehmen und andere … zu ihrem Werkzeug und Medium [zu] machen«, nicht erfasst werden kann (44). Die von H. in sieben Thesen vorgelegte Beschreibungstheorie von Mächten dient ihm in der Folge dazu, allzu spekulativ differenzierte Klassifikationen von Mächten abzuweisen. Stattdessen schlägt H. eine Art »Koordinatenkreuz« vor, um die verwirrende Vielfalt der Phänomene etwas zu sortieren: Auf der einen Achse ordnen sich die Mächte nach gut und böse: lebenszuträglich oder dem Leben abträglich (nicht selten freilich »janusköpfig« beides zugleich!). Auf der anderen Achse kommen sie nach Status und Dauer zu stehen: »niedrig-augenblickshafte und länger dauernde, komplexe Mächte« (56).

Umsichtig und kenntnisreich auf hermeneutische Fragen der Bibellektüre und die aktuelle Diskussion um Mono- und Polytheismus eingehend, schlägt H. im zweiten Kapitel einen instruktiven Bogen, um die biblischen Perspektiven auf das Thema zu beleuchten. Vom Tanz ums Goldene Kalb über die biblische Prophetie (Ezechiel!) führt die Darstellung zur synoptischen Rede von Dämonen (und vom Teufel) und der von Mächten und Gewalten in den (deutero-)paulinischen Briefen. Die ausführliche Schilderung der biblischen Kontexte zielt bereits auf die im dritten Kapitel als »Kern der Frage« betitelte Verhältnisbestimmung zwischen der Macht der Mächte und der Macht Gottes (109 ff.). Zwar erscheint die Einzigkeit Gottes im biblischen Zeugnis immer wieder als eine angefochtene und entspricht so der Konkretheit des Lebens und der sich darin ereignenden Erfahrung Gottes (104). Doch ist in theologischer Perspektive von dem kategorialen Unterschied auszugehen, der sich zwischen der Macht Gottes und der der Mächte dadurch auftut, dass diese durch Christus besiegt sind.

Zu Recht grenzt sich H. gegen eine vergegenständlichende, wie auch gegen eine moralisierende Interpretation der Mächte ab (115) und rückt die Fragen nach der näheren Beschreibung der Macht Gottes in den Mittelpunkt. Dass die von H. hierzu vorgelegte Eigenschaftslehre (125 ff.) »Zulassung« und »Selbstzurücknahme« an die erste Stelle rückt, ist freilich m. E. diskussionswürdig: Eine solche Definition erlaubt es zwar, Gottes Macht und die Macht der Mächte in einem zentralen Punkt (Selbstbehauptung versus Selbsthingabe) anschaulich zu kontrastrieren, bleibt jedoch unterbestimmt, wenn es um die positiven, beziehungsschaffenden Di­mensionen der Macht der Liebe geht (vgl. hierzu 198 ff.). Hier ge­nügt es nicht, nur zu formulieren: »Gottes Macht, wie sie sich in Christus zeigt, ist genau solche Macht, die um anderer willen weicht.« (131)

Allzeit aktuell erweist sich diejenige Macht, der H. exemplarisch das vierte Kapitel widmet: »Die Macht des Geldes« (159 ff.). Mit dem Neuen Testament, Martin Luther, Jochen Hörisch und Walter Benjamin unterstreicht H. die tendenzielle Totalität der Perspektive des Geldes. Auch für diese Konkretion entfaltet H. das »Schon« und »Noch nicht« des Sieges Christi über die Mächte anschaulich – und in der Sache angemessener Mehrperspektivität am Beispiel des – räumlich orientierten – johanneischen und des – zeitlich orientierten – paulinischen Wirklichkeitsverständnisses (135 ff.174 ff.). Im abschließenden fünften Kapitel fasst H. die Grundlinien seiner Überlegungen zusammen und benennt den Gottesdienst (näherhin verstanden im Sinne der Feier) als den ausgezeichneten Ort für die Wahrnehmung der Macht Gottes und die Aufdeckung der (trügerischen) Macht der Mächte (179 ff.).

Gerade das Schlusskapitel verdeutlicht noch einmal Stärke und Schwäche der von H. vorgelegten Beschreibung der lebensbestimmenden Macht der Mächte: Sie werden von ihm in den Horizont der Macht Gottes eingeordnet, freilich durch und durch so, dass ihnen selbst post Christum nur noch »Trug« und »Lügenhaftigkeit« attribuiert werden kann (186). Eigenartig blass bleibt demgegenüber die (eingangs ausdrücklich mit gesetzte) Rede von »guten Mächten«. Dass und wie Mächte und Gewalten ihrerseits auch in einer positiven Perspektive einen Platz haben, die sie für den Menschen zum »Gegenstand der Gestaltung und der Verantwortung« (187) macht, erscheint allenfalls peripher. Ein Blick auf die Pneumatologie von H.s Lehrer Michael Welker hätte ihn hier über Karl Barths Sicht der Dinge konstruktiv hinausführen können.

Ein renommierter Verlag sollte sich die sorgfältige Lektorierung auch bei Büchern nicht sparen, die auf ein breiteres Publikum zielen: Das einschlägige Buch des Rezensenten trägt nicht den Titel »Zwischen-Welten« (198.206), sondern »Zwischen-Räume«, H.s Ha­bilitationsschrift erschien nach Katalog des Verlags nicht 2006, sondern im Dezember 2005 (204)!

All dies mindert nicht den praktischen Wert eines Buches, das ein höchst aktuelles wie schwieriges Thema im Gespräch von Philosophie, Bibelwissenschaft und Systematischer Theologie allgemeinverständlich und erfahrungsbezogen erschließt.