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Ausgabe:

September/2009

Spalte:

986–989

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Fritsch, Harald

Titel/Untertitel:

Vollendete Selbstmitteilung Gottes an seine Schöpfung. Die Eschatologie Karl Rahners.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. 581 S. gr.8°. Kart. EUR 40,00. ISBN 978-3-429-02859-6.

Rezensent:

Markus Mühling

Der Vf. macht es sich in seiner an der Universität Würzburg unter der Supervision von A. Ganoczy verfassten Dissertation zur Aufgabe, die Eschatologie Rahners in ihrer Entwicklung nachzuzeichnen und deren Systematik und Bedeutung für das Glaubensleben und die Theologie darzustellen (27). Nach einem einleitenden Forschungsüberblick zur Eschatologie Rahners sowie methodologischen Überlegungen (22–30) wird zunächst die geschichtliche Ausgangslage, die durch die Polarität der römisch-katholischen Schuldogmatik einerseits und der Eschatologie Bultmanns andererseits gekennzeichnet ist, beschrieben: Trotz deren unterschiedlichen Offenbarungsverständnisses (einerseits als Mitteilung verborgener Wahrheiten, an­dererseits als sich gegenwärtig vollziehenden Geschehens) mangelt beiden sowohl ein adäquates Verständnis für Geschichte und creatio continua als auch eine adäquate Verbindung von individueller und kollektiver Eschatologie (31–76). Auf diese Situation antwortet die entstehende Eschatologie Rahners, deren Beginn der Vf. zunächst von deren Stellenwert in einer geplanten Dogmatik bis hin zum Eschatologieartikel in der 3. Auflage des LThK (1939–1959) beschreibt (77–99). Rahner begreift schon hier Eschatologie als einen für den Menschen auf Grund seiner Freiheitssituation notwendigen Vorblick aus der heilsgeschichtlichen Situation des Christusereignisses in Ausrichtung auf dessen Vollendung heraus (96).

Der anschließende Hauptteil der Arbeit liefert zunächst einen detaillierten Kommentar zu Rahners Schrift »Theologische Prin­zipien der Hermeneutik eschatologischer Aussagen« von 1960 (100–121), und zwar im Kontrast zur Hermeneutik Bultmanns (121–128), unter Aufnahme der Diskussion um diesen Ansatz (128–135) und eigener christologisch-pneumatologisch weiterführender Vor­schläge (136–146), um im Anschluss den Grundansatz der Eschatologie als zentrales Element von Rahners Theologie würdigen zu können. Dies geschieht im Einzelnen, indem der eschatologische Kern relationiert wird zur transzendental-anthropologischen Ausrichtung der Theologie Rahners (146–161), zur Bezogenheit des Menschen auf Gott als Geheimnis und absoluter Zukunft der Welt (161–262), zur Selbstmitteilung Gottes und dessen universalem Heilswillen (263–295), zu Jesus Christus als Gottes definitiver Selbstzusage (295–313) und zur Freiheitsthematik und deren Endgültigkeit (313–333). Dabei zeigt sich, dass bei Rahner, der eschatologische Aussagen in Christologie, Gotteslehre, Anthropologie und Gnadenlehre gegründet sieht und als notwendige Aussagen über deren Vollendungsgestalt begreift, die pneumatologische Dimension jedoch zu kurz kommt, aber im Anschluss an diesen selbst ergänzt werden kann (134). Zentrum der Eschatologie Rahners ist die Selbstmitteilung Gottes als Geheimnis, das seinen unermesslichen Charakter eschatisch gerade nicht verliert, sondern bewahrt als reductio in unum mysterium (332 f.).

Die folgenden Kapitel sind den einzelnen Eschata gewidmet, zunächst der Todesproblematik (334–395), die ferner nach existentiellen, personalen, naturalen, hamartiologischen und soteriologischen Problembesprechungen untergliedert wird. Der Vf. zeigt hier u. a., dass Rahners Rede vom Tod als Tat sich nicht auf den Tod als separierbare menschliche Handlung bezieht, sondern auf den Tod als Siegel der Freiheitsgeschichte des Menschen, die im Tod ihre Endgültigkeit erreicht. Obwohl Rahner insofern auch von einer ewigen Vollendung des Menschen im Tode sprechen kann, darf diese Redeweise, die der Vf. für unangemessen hält (394), nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um den Beginn der prozesshaft verstandenen Auferstehung handelt. Diese ist dann auch Thema des nächsten Kapitels (396–439), das in eine eigene positive systematische Bewertung dieses Rahnerschen Grundgedankens durch den Vf. mündet: Beginnt die Auferstehung auch prozesshaft mit dem Tode, so macht dies die Rede vom Jüngsten Tag als Vollendung der Gesamtgeschichte doch nicht überflüssig, die die einzelne Person nicht im Tode erlebt. Ebenso wenig ist trotz des als leib-seelische Einheit verstandenen Menschen die Rede vom Aufenthalt der Seele nach dem Tod bei Gott zu suspendieren, ferner auch nicht die Rede von der bleibenden Verbundenheit des Toten mit den noch lebenden Menschen. Der prozessuale Auferstehungsgedanke widerspricht ferner nicht der Rede von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (436 ff.). Die Themen des Gerichts, des Fegefeuers und der Hölle werden im anschließenden Kapitel gemeinsam besprochen, da sie das Offenbarwerden und die Verwandlung menschlicher Freiheitsgeschichte durch Gnade zum Thema haben (440–489): Rahners insgesamt nur knappe Darlegungen zur Gerichtsthematik erweisen sich dabei als hintergründig präsent und betonen vor allem die Tatsache, dass Gott den Menschen aus den Folgen seiner Freiheitstat nicht entlässt. Kann der Vf. dies auch positiv würdigen, so kritisiert er an Rahner doch, dass mit der Offenlegung der Freiheitsgeschichte nicht auch die Vollendung des menschlichen Beziehungsreichtums im Gericht genügend Wert erhält (458). In seinen Ausführungen zum Purgatorium erwies sich Rahner insofern als zukunftsweisend, als in der Breite heutiger römisch-katholischer Theologie, etwa bei Ratzinger wie bei Lehmann, das Fegefeuer als Moment der Begegnung mit Chris­tus im Gericht (480) verstanden wird, und damit wichtige Einsichten Rahners aufgenommen sind, letztlich die wesentliche Einsicht der Fegefeuerlehre, dass der Mensch auch mit den desintegrierten Teilen seiner Freiheitsgeschichte vor Gott Hoffnung haben kann, durch Gottes liebende Selbstmitteilung aufgehoben zu sein (482). Die Hölle symbolisiert hingegen die reale Möglichkeit des Scheiterns der menschlichen Freiheitsgeschichte, weil es zum Begriff der Freiheit gehört, zumindest als »Geheimnis der Bosheit« einen endgültigen Widerspruch als Möglichkeit zuzulassen, und somit die Hochschätzung des geschichtlichen Lebens in seiner Partikularität und Bedeutsamkeit. Der Vf. zieht daraus den Schluss, dass die letzte Möglichkeit zur Reue und Umkehr demgemäß unmythologisch im Sterben läge (489). Das vorletzte Kapitel behandelt die Vollendung der Schöpfung durch die freie Selbstmitteilung Gottes in der Parusie Christi (490–512) und damit in deren christologischer Pointe, die, wiewohl Rahner eher zurückhaltend ist mit der Redeweise der Aufnahme des Menschen in das innertrinitarische Leben, doch mit den pneumatologischen Ergänzungen des Vf.s durchaus offen sei für diese tatsächlich fruchtbare und weiterführende Konzep­tionalisierung (539).

Bevor ein kurzes Fazit die Verdienste Rahners im Rahmen der Geschichte römisch-katholischen Eschatologie im 20. Jh. zu­sam­menfasst (536–540), behandelt das Schlusskapitel zwei praktische Konsequenzen der Eschatologie Rahners: einerseits das Verhältnis von Eschatologie zu innergeschichtlicher Zukunftsgestaltung des Menschen, wobei der Eschatologie sowohl eine motivierende als auch eine kritische Funktion zukommt (525–535), andererseits die für den Protestanten besonders spannende Frage nach der Heiligenverehrung. Letztere hat ihre Basis in der Beziehungshaftigkeit und Solidarität des Menschen, die auch die Toten mit einschließt, und im Gedanken des Leibes Christi und seiner Glieder, so dass die Heiligenverehrung vom Vf. als religiös an­gemessen, wenn auch nicht obligatorisch beurteilt wird, mit der Folge, dass sich gemäß dem Vf. hier auch eine im ökumenischen Verhältnis zum Protes­tantismus unproblematische Sicht der Heiligenverehrung einschließlich der Fürbitte durch Heilige ergibt (513–525).

Obwohl immer deutlich bleibt, wo der Vf. Rahner einerseits darstellt, analysiert und kritisiert, und andererseits auf Basis der Überlegungen Rahners seine eigene Position zu den genannten Themen entwickelt, kommt Letzteres m. E. doch ein wenig zu kurz, was sich u. a. in Kohärenzproblemen äußert, von denen nur einige genannt seien: Die positive Funktion der Rede von der Hölle besteht darin, dass die Verendgültigung der menschlichen Freiheitsgeschichte im Tod und damit die Einmaligkeit des menschlichen Lebens betont wird. Es kann gefragt werden, ob zwischen diesem Anliegen und dem Anliegen des Vf.s, über Rahner hinausgehend, den Tod auch als Ausgleich individuellen und gesellschaftlichen Seins zu verstehen, eine Spannung besteht. Ist die prozessual mit dem Tode beginnende Auferstehung wirklich mit der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel und der positiven Würdigung der Heiligen vereinbar oder müssen hier nicht explizit Ausnahmen gedacht werden? Auch wird man diskutieren können, ob man sich in den zur Entscheidung stehenden Fragen aus systematischen Gründen tatsächlich Rahner bzw. dem Vf. wird anschließen können. Aber immerhin ist es das Verdienst des Vf.s, eine solche Diskussionsmöglichkeit zu eröffnen, denn die Darstellung der Eschatologie Rahners im Rahmen seiner Theologie wie auch in ihrer Entwick­lung kann als durchweg gelungen gelten, so dass jeder, der sich mit Rahners Eschatologie beschäftigen will, hier eine deutliche Hilfe finden kann.