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Ausgabe:

September/2009

Spalte:

979–982

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Brüntrup, Godehard

Titel/Untertitel:

Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung. 3., durchges. u. erw. Aufl.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 192 S. 8°. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-17-018890-7.

Rezensent:

Ulrich Beuttler

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Fink, Helmut, u. Rainer Rosenzweig [Hrsg.]: Freier Wille – frommer Wunsch? Gehirn und Willensfreiheit. Paderborn: Mentis 2006. 259 S. gr.8°. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-89785-445-1.

Vogelsang, Frank, u. Christian Hoppe [Hrsg.]: Ohne Hirn ist alles nichts. Impulse für eine Neuroethik. M. Beiträgen v. Ch. Geyer, L. Honnefelder, Ch. Hoppe, A. Klein, C. Könneker, G. Northoff, M. Pauen, J. Seiler, S. Schleim/H. Walter, U. Schnabel, F. Vogelsang. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2008. 178 S. 8°. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2278-4.

Keil, Geert: Willensfreiheit. Berlin-New York: de Gruyter 2007. VI, 222 S. 8° = Grundthemen Philosophie. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-11-019561-3.


Das Problem der Willensfreiheit gehört zu den (zuletzt wieder) vieldiskutierten Themen der Philosophie des Geistes. Ihre teilweise Bestreitung durch entsprechende Interpretationen von Ergebnissen der empirischen Hirnforschung, besonders der sog. Libet-Experimente, hat eine breite Debatte zwischen Natur- und Geisteswissenschaften bis in die Öffentlichkeit verursacht. Zahlreiche neuere Veröffentlichungen bemühen sich um eine sowohl interdisziplinäre wie philosophisch-begriffliche Klärung. Zwei Sammelbände, entstanden aus interdisziplinären Tagungen, und zwei philosophische Lehrbücher zur Willensfreiheit bzw. zum Leib-Seele-Problem sollen in dieser Sammelrezension besprochen werden.

Der Band von Fink/Rosenzweig dokumentiert ein populärwissenschaftliches Symposium. Er ist besonders deshalb interessant, weil hier bekannte Wortführer naturalistischer Bestreitung von Willensfreiheit ihre Thesen prägnant vorstellen.
Der Kognitionspsychologe W. Prinz deklariert das Freiheitsgefühl wie alle Gefühle als neuronal erzeugt. Der Schluss vom Sich-frei-Fühlen auf das Frei-Sein sei trügerisch, weil keine unmittelbare Wahrnehmung der zu Grunde liegenden physischen Prozesse möglich sei, die Innenwahrnehmung psychischer Vorgänge mithin keine Abbildung von (physischer!) Wirklichkeit darstelle, sondern selektiv, konstruktiv und unvollständig sei im Unterschied zum Wirklichkeit (!) repräsentierenden System der naturwissenschaftlichen Fremdbeobachtung psychischer Systeme. Willensfreiheit gebe es »eigentlich nicht, aber praktisch doch« (43), denn sie sei ein sozial erklärbares Artefakt, eine Zuschreibung zum Zweck der Erklärung und Praxis von Handlungen. – Der Zoologe W. Walko­wiak erklärt den Willen aus der Neurobiologie der weitgehend unbewussten Handlungsplanung. Er erläutert die Rolle des limbischen Systems für das Zustandekommen von Emotionen und behauptet jede Form der Wahrnehmung, auch die des Selbst, als »Konstrukt unseres Gehirns« (65). Auch der Wissenschaftsphilosoph F. Wuketits erklärt den Willen als Illusion, allerdings als in der Stammesgeschichte der Evolution entstandene, nützliche, weil (über)lebensdienliche Illusion. – B. Kanitscheider erklärt Willensfreiheit als illusionäre Unterstellung, dass es einen Indeterminismus mentaler Verursachung gebe. Jedoch spreche die natura­listisch einzig plausible Hintergrundannahme der kausalen Ge­schlos­senheit der Welt nicht gegen Freiheit, es hängt nur davon ab, was man darunter versteht. Am Modell zellulärer Automaten entwickelt er einen »determinismuskompatiblen Ansatz, um Freiheit zu verstehen« (127). Definiert man Freiheit als Unvorhersehbarkeit des Verhaltens eines deterministischen Systems auf Grund seiner Komplexität, so sei Freiheit kompatibel mit Determinismus. – Anhand von wissenschaftstheoretischen Überlegungen macht H. Tetens geltend, dass »die traditionelle Idee der Willensfreiheit … mit der neurobiologischen Erklärung menschlichen Handelns und Verhaltens nicht zu vereinbaren« sei (247), weil Willensfreiheit in der empirischen Forschung, wo der Mensch als Objekt und gehirngesteuerter Organismus erscheint, nicht vorkommen kann. Dies sei für das alltägliche Handeln jedoch unerheblich, weil Sätze wie »Ich bin frei und hätte anders handeln können« praktisch ganz verzichtbar seien.

Gegen die naturalistische Reduktion von Freiheit und Handeln auf neuronale Vorgänge bezieht dagegen der Moraltheologe E. Schockenhoff Stellung. Er macht die kategoriale Eigenständigkeit von Gründen gegenüber Ursachen geltend, ein Argument, das prominent auch J. Habermas bei der Verleihung des Kyoto-Preises 2004 vorbrachte (Freiheit und Determinismus, in: Zwischen Naturalismus und Religion, Frankfurt 2005, 155–186), und hält Freiheit für ein praktisches Gut, das in dem Maße vorhanden ist, wie es in Anspruch genommen wird. – Dem praktischen Problem der strafrechtlichen Schuld widmet sich der Strafrechtler und Rechtsphilosoph R. Merkel in einem längeren und begrifflich präzisen Beitrag. Er diskutiert Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Determinismus und strafrechtlicher Verantwortung, wofür keine ontologisch starke Freiheit nötig ist. Er hält eine normative Basis der Zuschreibung von Verantwortung auch dann für gegeben, wenn die kausale Determination keine Willensfreiheit im Sinn ihrer Durchbrechung zulässt, sofern nur das subjektive Empfinden von Entscheidungsfreiheit vorhanden ist, die Merkel als »logische Indeterminiertheit der 1. Person« bezeichnet (187).

Eine ähnliche kompatibilistische Position der Vereinbarkeit von kausaler Determination und Freiheit vertritt auch der Philosoph M. Pauen im Band von Vogelsang/Hoppe, indem er an Freiheit die minimale Forderung der eigenen Urheberschaft und Autonomie im Gegensatz zu Zwang oder Fremdbestimmung stellt. Wenn es die Person ist, die als Subjekt von Handlungen betrachtet wird, kann sie auch dann frei sein, wenn sie determiniert ist (51). Ausführlicher hat Pauen seine Position in zahlreichen größeren Veröffentlichungen vorgestellt (jüngst in M. Pauen/G. Roth, Freiheit, Schuld und Verantwortung. Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit, Frankfurt 2008). Daher dürfen an seinen Beitrag höhere Ansprüche gestellt werden. Hier wie dort bleibt nämlich der Knackpunkt unbeantwortet, ob man auch begründen kann, dass Selbstbestimmung von Person und neuronale Deter­mination kompatibel sind, denn die bloße Behauptung, es spiele keine Rolle, ob und wie das Selbst physisch realisiert ist, da es nur darauf ankomme, dass die Handlung von denjenigen physischen Prozessen bestimmt wird, die auch den »personalen Präferenzen« zu Grunde liegen (ebd.; vgl. Pauen/Roth, 42 f.), erklärt nicht, wie sich Selbstbestimmung der »Person« zur Determination durch das »Gehirn« verhält. Pauens Argument gegen den Inkompatibilismus ist nur, dass man Freiheit nicht steigern kann, wenn man den Determinismus aufhebt. Daraus folgt aber noch nicht die Behauptung, dass das Bestehen von Determination unsere Freiheit nicht einschränkt (56). – Entscheidend dafür, ob der Mensch auch in einer determinierten Welt als frei gelten kann, ist jedenfalls der Begriff der Freiheit. Der Mitherausgeber C. Hoppe, Neuropsychologe und Theologe, bietet hierfür eine klärende Phänomenologie der Begriffe; der Psychiater und Philosoph G. Northoff entwickelt ein rela­tionales Modell von Freiheit als Einbettung in die Umwelt.

Den christlich-theologischen Begriff von Freiheit bringt der Theologe A. Klein ins Spiel. Wenn auch Luthers Bestreitung der Willenfreiheit gegen Erasmus einen anderen Grund hat als die im Namen der neuronalen Determination, so besteht eine Parallele der Debatten doch darin, dass die mit dem Determinismus unvereinbare Maximalforderung des freien Willens als Durchbrecher von kausalen Determinationen auch theologisch abzulehnen ist, da diese die Anmaßung quasi göttlichen Willens bedeuten würde. Die Analyse und der Vorschlag, Freiheit theologisch als bedingte Freiheit zu verstehen, folgt anderen der (wenigen) theologischen Erörterungen zum Thema und wird auch vom Rezensenten unterstützt. – Als weiteren Themenkreis bietet der Band von Vogelsang/ Hoppe eine ethische Debatte um die bildgebenden Verfahren un-ter dem Stichwort »Gedankenlesen, Recht auf Gedankenfreiheit« ( S. Schleim/H. Walter) und »Mein Gehirn als öffentlicher Raum« (L. Honnefelder; J. Sailer), außerdem eine klärende Methodologie der Hirnforschung von C. Hoppe.

Eine präzise philosophische Klärung der Willensthematik bietet das Lehrbuch von G. Keil unter den Stichworten »Freiheit«, »Determinismus«, »Kompatibilismus«, »Inkompatibilismus«. Solche Be­griffsklärung ist nötig, so die Einleitung (Kapitel 1), weil Kompatibilisten, welche Freiheit und Determinismus für vereinbar halten, anderes darunter verstehen als Inkompatibilisten oder Libertarier, die das nicht tun.

Von den Kompatibilisten, die die gegenwärtige Mehrheitsmeinung repräsentieren, wird in der Regel (als Bestätigung mögen o. g. Autoren dienen) unterstellt, dass es im Gehirn deterministisch zugeht, ohne zu klären, was der Ausdruck meint und ob er metaphysisch oder empirisch gerechtfertigt werden kann (Kapitel 2). Keil plädiert für die Unterscheidung zwischen einem nicht zu rechtfertigenden starken Determinismus und dem Prinzip der Kausalität oder der kausalen Geschlossenheit, welche nicht freiheitsgefährdend ist, wenn man sie nicht mit Determinismus gleichsetzt. Umgekehrt muss dann auch der Kompatibilist dem Inkompatibilisten nicht mehr unterstellen, er fordere starke Freiheit als Durchbrechung von Naturgesetzen. Im Gegenteil: Die Kompatibilisten, so zeigt Keil in Kapitel 3 an den Klassikern Hume, Locke und ihren Weiterentwicklungen bei Moore, Strawson, Frankfurt, Pauen, halten Freiheit im starken Sinn – Anderskönnen unter gleichen Umständen – mit Determinismus für unvereinbar und reduzieren deshalb den Freiheitsbegriff minimalistisch auf potentielle Handlungsfreiheit, d. h. auf mögliches Anderskönnen unter anderen Umständen. Doch ist deren Handlungsbegriff defizitär, weil er die Alltagsintuition unterschreitet und faktisch gar kein Handeln zulässt, denn »wer nicht so oder anders kann, kann überhaupt nicht« (118). Den Handlungsbegriff der Libertarier unter den Inkompatibilisten (Kapitel 4), die den Determinismus für falsch und den Willen für frei halten, so dass er (beliebig) anders handeln kann, entlarvt Keil ebenfalls, weil er zu stark ist und den »Mythos der Unbedingtheit« (92), die Freiheit von allen Bedingungen, unterstellt.

Im Kapitel 5 stellt Keil eine eigene inkompatibilistische Lösung vor, welche die Probleme des mehrheitlichen Kompatibilismus ebenso vermeidet wie die des starken Libertarismus. Er nennt sie »fähigkeitsbasierter Libertarismus« und versteht Freiheit als »Fähigkeit, seinen Willen in die Tat umzusetzen, also handlungswirksam zu machen« (134), d. h. als So-oder-Anderskönnen, einschließlich der Fähigkeit des Weiterüberlegens und Suspendierens von Entscheidungen (151–153). Ein Schlusskapitel 6 bietet die Zurückweisung der angeblichen empirischen Widerlegung der Willensfreiheit einschließlich ihrer strafrechtlichen Konsequenzen.

Liest man mit dem begrifflichen Instrumentarium dieses ausgezeichneten Lehrbuches gerüstet die oben vorgestellten Sammelbände noch einmal, dann merkt man schnell, woran es der Dis­kussion, gerade der interdisziplinären, manchmal mangelt: an prä­ziser Be­griffsklärung und reflektierter Begründung der be­haup­teten, oft weitreichenden und nicht selten versteckt meta­physischen Thesen.

Ebenfalls eine luzide Entwirrung der Gehirn-Geist-Debatte liefert das bewährte Lehrbuch von G. Brüntrup, das nun in erweiterter dritter Auflage (mit leider leicht verschobener Seitenzählung) vorliegt. Brüntrup, Professor für Metaphysik und Philosophie des Geistes an der Jesuitenhochschule für Philosophie in München, systematisiert das Themenfeld anhand der divergierenden Eigenschaften der Phänomenbereiche des Mentalen und des Physischen. Wenn diese sich zueinander verhalten wie subjektiv – objektiv, unkorrigierbar – korrigierbar, frei – determiniert usw., dann können nicht zugleich die physische Welt kausal geschlossen und mentale Entitäten kausal wirksam sein (19).

Das Dilemma der men­talen Verursachung ist das leitende und gliedernde Thema des Buches. Scharfsinnig und klar werden die Argumente für den Dualismus (Kapitel 2), die empirische Hypo­these der psychophysischen Wechselwirkung (Eccles, Kapitel 3), nichtreduktive, reduktive und eliminative Identitätstheorien (Ka­pitel 4–6) behandelt. Die ganze Palette der in der analytischen Philosophie des Geistes diskutierten dualistischen und monistischen Positionen wird vorgestellt: der interaktive Dualismus, der emergente oder »superveniente«, nichtreduktive Physikalismus, der reduktive Funktionalismus und die psychophysische Identitätsbehauptung. Der Reduktionismus wird mit guten Gründen als illusionär zu­rück­gewiesen (105–111) und stattdessen ein alternatives, nichtreduktives Modell dafür entwickelt, wie der Geist resp. das Mentale in die Materie kommt (neues Kapitel 8): Man muss die cartesische Materieauffassung aufgeben zu Gunsten eines Panpsychismus, indem man schon den einfachsten Entitäten protomentale Eigenschaften zuschreibt, die man aber nicht substanzdua­listisch als »Geist« in der Materie betrachten muss. Brüntrup zeigt anhand von zellulären Automaten, die er jedoch anders als Kanitscheider oben nicht naturalistisch-physikalistisch interpretiert, dass man schon aus elementaren, rein quantitativ definierten Teilen kom­plexe Muster mit qualitativen Eigenschaften erzeugen kann.