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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1129 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Irmtraud

Titel/Untertitel:

Tora für Israel. Das Konzept des Jesajabuches

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1995. 135 S. 8° = Stuttgarter Bibelstudien, 164. Kart. DM 39,80. ISBN 3-460-04641-4

Rezensent:

Rudolf Kilian

Die Grundfrage der Autorin ist, "wie weit und welche Tora für die Völker verbindlich ist" (12). Im Anschluß an die jüdische Tradition, die mit der Verbindlichkeit der "Noachitischen Gebote" für alle Menschen rechnet, da es sich beim Noach-Bund um einen ewigen Bund Gottes mit allen lebendigen Wesen handelt (Gen 9,16), könnte es sehr wohl möglich sein, daß einmal wieder alle Völker den Gott Noachs verehren. "Das Jesajabuch hat diesen Ansatz durchdacht und verschiedene Lösungen gefunden: Vom Begehren der Völker nach der durch Israel vermittelten Tora bis hin zur kultischen Verehrung JHWHs am Zion, ja selbst in Ägypten." (12) ­ Eine solche Präsumtion setzt freilich voraus, daß, religionsgeschichtlich betrachtet, der Gott Noachs mit dem Gott Israels identisch ist.

Jes 1-66 werden mit ausdrücklichem Verweis auf N. Lohfink als kanonische Einheit gelesen, dementsprechend werden auch die 12 Tora-Belege (Jes 1,10; 2,3; 5,24b; 8,16.20; 24,5; 30,9; 42,4.21.24; 51,4.7) interpretiert und synchron mit anderen atl. Texten in Verbindung gebracht. Unschwer kann die Vfn. schon im Auftakt des Jesajabuches zwei Stränge der Tora ausmachen, einen für Israel (1,10) und einen für die Völker (2,3). Beide würden jedoch zueinandergehören und schließlich in 51,1-8 "in einem Text zusammengeknüpft" (23).

Diese These wird mit Hilfe der weiteren Toratexte in Jes 1-66 untermauert und weitergeführt, wobei sich Jes 51 "als Schlüsseltext für das Verständnis von Tora im Jesajabuch" erweist (115). Die jeweiligen Interpretationen weisen interessante Einzelaspekte auf, indem Texte miteinander in eine Beziehung gebracht werden, die so nur auf der Basis einer kanonischen Lektüre möglich ist. Das zeigt sich z. B. deutlich bei den Ausführungen zu 5,24b (37-42), wo 5,24 mit 2,5; 1,10 und schließlich auch noch mit dem Verstockungsauftrag in 6,9 zusammengelesen werden. Bezeichnend ist allerdings auch schon die Feststellung zu 1,10-17: "Im kanonischen Endtext bekommt mit diesem Abschnitt das ganze Prophetenbuch, ja sogar der ganze Kanonteil der Schriftpropheten, die Sinnrichtung einer ´Propheten-Tora´, welche die Tora aufgreift und durch das prophetische Wort aktualisiert." (23) Somit ist Tora im Jesajabuch "nicht einfach die Tora, sie ist die durch das prophetische Wort für den jeweiligen zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext aktualisierte Tora" (15). ­ Nicht reflektiert wird allerdings das Faktum, daß in Jes 56-66 der Terminus Tora nicht belegt ist. Ist dieser Passus gar nicht mehr an der Tora interessiert und relativiert dadurch die postulierten Ergebnisse der Studie? Das läßt dann fragen, welche Endgestalt des Textes denn nun verbindlich ist. Die Vfn. führt ihre Untersuchung in bewußtem Kontrast zur historisch-kritischen Forschung durch; dem entspricht auch die Auswahl und der Umgang mit der einschlägigen Literatur. Wer sich der historisch-kritischen Exegese verpflichtet weiß, tut sich ausgesprochen schwer mit den vorgetragenen Argumentationen und Konstruktionen, da er sie nicht einzusehen und nachzuvollziehen vermag. Eine notwendige Auseinandersetzung mit dieser Studie kann sich freilich nicht nur auf eben diese beziehen, sondern muß die Eigenart der kanonischen Lektüre als solche berücksichtigen. Daß dies im Rahmen einer Kurzrezension nicht zu leisten ist, versteht sich von selbst.

Doch kann in diesem Zusammenhang auf die grundsätzliche Stellungnahme von E. S. Gerstenberger, Der Psalter als Buch und Sammlung, in: K. Seybold/E. Zenger, Hrsg., Neue Wege der Psalmenforschung, HBS 1, 1994, 3-13, verwiesen werden, der ich mich anschließe. Auf jeden Fall geht bei einer holistischen Interpretation der Reiz der situationsmäßig bedingten und gebundenen Einzeltexte, ihrer redaktionellen Ausgestaltung und Neuakzentuierung verloren, werden die verschiedenen in der Geschichte gewachsenen Einsichten und Aussagen nivelliert, wird die Pluralität der atl. theologischen Positionen und Möglichkeiten verschleiert oder gar negiert. Das ergibt schließlich ein unhistorisches Offenbarungs- und Inspirationsverständnis, dem der eine zustimmen mag, der andere nicht zustimmen kann.