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Ausgabe:

September/2009

Spalte:

939–940

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cho, Sukmin

Titel/Untertitel:

Jesus as Prophet in the Fourth Gospel.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Phoenix Press 2006. XX, 361 S. gr.8° = New Testament Monographs, 15. Geb. EUR 85,00. ISBN 978-1-905048-42-7.

Rezensent:

Ulrich Busse

Die unter John Nolland, dem bekannten Ausleger des Lukasevangeliums, an der Universität Bristol erarbeitete Dissertation ist einem zuweilen in der Forschung vernachlässigten christologischen Titel im Johannesevangelium gewidmet. Das Thema erweckt Hoffnungen, dass eine seit Langem bekannte Spannung zwischen Gesandten- und hoher Logoschristologie in diesem Evangelium überwunden werden könnte.

Nach einem knapp gehaltenen Vorwort entwickelt der korea­nische Vf. seine These in neun übersichtlichen und klar geglie­derten Kapiteln, die er mit einer Zusammenfassung seiner Thesen beschließt. Zuerst gibt er einen Überblick über den spezi­fi­schen wissenschaftlichen Kontext seines Denkansatzes. Zum Aus­gangspunkt wählt er eine eher traditionelle Sichtweise des Forschungsstandes zu diesem Evangelium generell, um anschließend im forschungsgeschichtlichen Überblick mit Recht zu konstatieren, dass in der englischsprachigen Literatur der Titel »Prophet« vor dem Erscheinen der Monographie von W. A. Meeks, The Prophet-King: Moses Traditions and the Johannine Christology, Leiden 1967, eher vernachlässigt wurde. Doch wurde ihm danach (u. a. von de Jonge, Anderson und Boismard) mehr Aufmerksamkeit gewidmet, infolgedessen die Problematik einer klareren Unterscheidung zwischen der Vorstellung von »einem« und »dem« Propheten (Dtn 18,18 f.) in Bezug auf Jesu christologische Identität besser erkennbar wurde. Diesen Sachverhalt nun umfassend abklären zu können, wendet er eine von ihm modifizierte »historische Erzähltextanalyse« an.

Im nächsten Kapitel klärt er das Prophetenbild im Alten Testament, in der frühjüdischen und in der samaritanischen Literatur ab. Sein Überblick zeigt, dass erst in der frühjüdischen Literatur der Rekurs auf die Erwartung des eschatologischen Propheten Gestalt gewinnt, obwohl das Prophetenbild insgesamt weiterhin der alt­tes­tamentlichen Vorstellung von den kanonischen Propheten verhaftet bleibt.

Daraufhin folgt in einem Dreischritt eine Darstellung der prophetischen Aktivitäten Jesu im Evangelium, wobei der Vf. neben der Tempelreinigungsszene auch die Zeichenhandlungen Jesu unter diese subsummiert. In den Reden und vor allem im Gebet Joh 17 sieht er Jesus analog zum alttestamentlichen Prophetenbild als Ansager zukünftiger Ereignisse, als Heiler (Elias und Elisa) sowie als Verkünder des göttlichen Willens gezeichnet. Zudem wird Jesus darin ein prophetisches Selbstbewusstsein unterstellt, wenn man das Sprichwort 4,44, die Sendungs- und doppelte Amenformel so­wie seine Leidensansage mit in Rechnung stellt.

Danach wendet sich der Vf. dem Motiv des erwarteten eschatologischen Propheten im vierten Evangelium zu. In Joh 4,4–42 sieht er Jesus als samaritanischen Taheb-Propheten und in Joh 9,1–10,21 als den kommenden Propheten charakterisiert, der gemäß der jüdischen Tradition erwartet wurde. Denn die Samariterin und der Blinde erkennen ihn auf Grund seines Wissens und seiner Heilkraft als »den« Erwarteten. Damit ist der Grund gelegt, dieser deuteronomischen Erwartung noch intensiver im Evangelium nachzugehen. Sie wird in Joh 1,19–28, Joh 7 und 8 gefunden. Im ersten Beispiel wird indirekt auf »den« Propheten angespielt, wenn der Zeuge Jo­hannes mit allem Nachdruck ablehnt, der Erwartete zu sein. Dies geschieht wiederum in 6,14 wie in 7,40 (52), wo ausdrücklich die gesättigten 5000 wie anschließend ein Teil der Versammelten ihre schriftgemäße Erwartung durch die Machttaten Jesu bestätigt sehen. Damit ist für den Vf. geklärt, dass Jesus im vierten Evangelium nicht nur als neuer Elias, sondern vor allem als der erwartete Prophet nach Dtn 18,18 f. dargestellt wird.

Die christologische Auswertung dieses Befundes wird in einem Doppelschritt vollzogen. Der erste Schritt greift die auch metho­dologisch aktuelle Frage nach der Charakterisierung Jesu in dieser Schrift auf und kommt zu dem Schluss, Jesus sei nicht als ein »flat character«, sondern vielmehr als ein »runder Charakter« gezeichnet, d. h. seine Charakterzüge sind nach dieser Analyse wandelbar und nicht nur statisch. Der Leser könnte im Leseprozess zuerst die Auffassung gewonnen haben, Jesus sei nur »ein« Prophet (contra Joh 1,21) gewesen. Doch diese vorschnelle Meinung muss sich zur festen Glaubensüberzeugung wandeln, er sei »der« Prophet schlechthin. Diese Tendenz findet der Vf. vor allem im Sprichwort Joh 4,44; 6,14 und 7,40 bestätigt.

Im abschließenden Kapitel wird nun diese Einsicht mit allen anderen im Evangelium verwendeten christologischen Hoheitstiteln Jesu abgeglichen. Hier kommt es endlich zur Konfrontation der Logoschristologie mit der Prophetenvorstellung. Sie passen anscheinend nicht zusammen, obwohl wiederum andere Bezeichnungen mit dem Prophetentitel zu harmonieren scheinen. Der Widerspruch wird auf vierfache Weise abgeklärt: Jesus ist in seiner Funktion »der Prophet«, aber seine Identität reicht darüber hinaus: Er ist nicht nur wahrer Mensch, sondern auch wahrer Gott (274). Zum anderen verfolgt die Prophetendesignation ein apologetisches Ziel. Das Evangelium richtet sich auch an jüdische und samaritanische Leser, die mit dieser Argumentation in ihrem Glauben gefestigt werden sollen (277). Darüber hinaus richtet sich die Prophetenchristologie gegen einen mutmaßlich in der Gemeinde grassierenden Doketismus, wie auch die Charakterisierung Jesu als einem »runden« Charakter auf eine christologische Flexibilität des Vf.s hinweist. Der Gesamtbefund deutet nach der Auffassung des Vf.s darauf hin, dass der Evangelist auf diese Weise eine harmonische Balance zwischen hoher und niedriger Christologie gefunden hat (281.286 f.).

Die Dissertation arbeitet den Forschungsstand geschickt auf, harmonisiert auf systematisierende und teilweise spekulative Weise den in der Forschung bestehenden Dissens zwischen hoher und Gesandten-Christologie. Doch fehlt eine einsichtige Lösung eines gewichtigen Problems, das seit O. H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, 1967, diskutiert wird, nämlich die Frage, wie diese deuteronomistische Vorstellung mit ihrer frühjüdischen Wirkungsgeschichte im Johannesevangelium auf die Aussage Dtn 18,18 f. eingeengt werden konnte. Die Prophetenvorstellung im vierten Evangelium bedarf noch der weiteren Abklärung.