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Ausgabe: | Dezember/1996 |
Spalte: | 1125–1128 |
Kategorie: | Bibelwissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Schottroff, Luise, Schroer, Silvia u. Marie-Theres Wacker |
Titel/Untertitel: | Feministische Exegese. Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen |
Verlag: | Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1995. XI, 262 S. 8°. DM 39,80. ISBN 3-534-12070-1 |
Rezensent: | Oda Wischmeyer |
Drei führende deutschsprachige feministisch arbeitende Exegetinnen legen eine erste Zusammenfassung feministischer Exegese (= f. E.) der letzten 25 Jahre vor. Sie verweisen darüber hinaus auf die amerikanische Debatte, die entscheidende Fragestellungen für die deutschsprachige Diskussion vorgegeben hat und der diese weitgehend ihr hermeneutisches Koordinatensystem verdankt.
Entstanden ist eine nützliche und anregende Einführung in die Forschungsgeschichte, die Fragestellung und den Forschungsstand f. E., die eine sichere Orientierung ermöglicht und zugleich die eigene Sicht und Sprache feministischer Exegetinnen vermittelt. Das Buch entspricht einem gegenwärtigen Forschungstrend, der auf Sichtung und Formulierung von Ergebnissen der ausufernden Forschung auf diesem Gebiet bedacht ist. Etwa gleichzeitig erscheinen in den Vereinigten Staaten zwei feministische Bibelkommentare und in Marburg ein Sammelband "Feministische Hermeneutik und Erstes Testament" (Stuttgart 1994). Natürlich ist auch auf das Wörterbuch der feministischen Theologie, Gütersloh 1991, zu verweisen.
M.-Th. Wacker stellt in Teil I "Geschichte, hermeneutische und methodologische Grundlagen" der "christlich-feministische(n) Auseinandersetzung mit der Bibel" dar (IX). W. zeichnet zunächst die Vorgeschichte und Geschichte der feministischen Exegese von der Woman´s Bible (1895) bis zu den gegenwärtigen Tendenzen nach. Diese sieht sie in der "Erforschung gegenwärtiger und vergangener Frauenwirklichkeit" sowie in der "Frage nach einer angemessenen, d.h. Frauen entsprechenden Weise der Rede von Gott" (29). Diese Tendenzen konkretisieren sich in dem "Projekt einer umfassenden ´herstory´ ² (30) der biblischen Geschichte und in der hermeneutischen Bearbeitung der biblischen Weiblichkeitsmetaphorik im Zusammenhang der Rede von Gott.
In einem zweiten Schritt gibt sie einen Einblick in die feministisch-exegetische Hermeneutik. Bei der Typisierung der hermeneutischen Zugänge lehnt sie sich an Carolyn Osiek an (35). Als Grundkategorien f. E. benennt sie Patriarchat/Matriarchat, Androzentrismus Sexismus, Weiblichkeit Geschlechterdifferenz gender Mittäterschaft, schließlich Objektivität Parteilichkeit. Auch die Kanonfrage und die Problematik eines aufzuarbeitenden christlich-feministischen Antijudaismus gehören hierhin. Der dritte Teil ihres Beitrages ist den Methoden f. E. gewidmet. Sie stellt nacheinander die historische Kritik, die literaturwissenschaftlichen Methoden, die tiefenpsychologischen Ansätze und die Sozial- und Religionsgeschichte jeweils in ihrer feministischen "Revision" dar. W.s Darstellung ist klar, bibliographisch gut dokumentiert und erschließt ein inzwischen weites Gebiet.
Einige kritische Anfragen: 1. Kann man die matriarchal-feministische Hermeneutik des "Ewig-Weiblichen" (41 f.) wirklich als "ständige(n) kritische(n) Stachel christlich-feministischer Bemühungen" werten (42)? Der Rezn. scheint es sich hier eher um ein erstaunlich unreflektiertes und selbstbewußtes Neuheidentum zu handeln. 2. Kann man so flott mit der Frage nach dem Wesen und den Bedingungen historischer Erkenntnis umgehen, wie dies S. 51 f. geschieht? 3. Kann man die Hypothese von E. Schüssler Fiorenza, daß im Bereich der Kanonbildung eine "patriarchalische Selektion" stattgefunden habe (52), so einfach als Tatbestand darstellen? Insgesamt wäre ein etwas kritischerer Zugriff auf die f. E. für die Darstellung nützlich gewesen.
Silvia Schroer hat Teil II verfaßt: Auf dem Weg zu einer feministischen Rekonstruktion der Geschichte Israels. Sie setzt mit einer sehr kurzen Darstellung der f. Hermeneutik des AT ein, die zurecht auf die Erfahrungen der jüdischen Theologinnen hinweist (84). Wichtig ist auch der Hinweis auf die f. Devise "Historisches Wissen ist Macht" bezüglich der atl. Frauengeschichte (83). Damit stellt sich die feministische Bibelexegese in den befreiungstheologischen Kontext, der ein anderer als derjenige der internationalen nichtmarxistisch geprägten Geschichtswissenschaften ist.
Es folgen Längsschnitte, die zu einer (noch zu schreibenden) "Rekonstruktion der Geschichte der Israelitinnen bzw. der JHWH-Anhängerinnen" (100) führen sollen. Dabei möchte Sch. aus f. Perspektive einseitige Modelle wie die Unterscheidung von Staatskult und Volksfrömmigkeit ebenso vermeiden wie die Unterscheidung von Tempelkult und Privatfrömmigkeit (100). Sie orientiert sich an den großen Epochen der Geschichte Israels. Neben sozialgeschichtlichen Beobachtungen sind hier die Überlegungen der "Gleichrangigkeit von Mann und Frau" im Hohenlied besonders interessant (123 f.). Religionsgeschichtlich wichtig ist die wiederauflebende Ascheraverehrung in den Familien in Juda vor dem Exil (126 ff.). Von der Frauengeschichte her gesehen bildet die Theologie der deuteronomistischen Gruppen und des Propheten Ezechiel einen tiefen Einschnitt. ("An diesem Punkt wird das priesterliche Weltbild extrem frauenfeindlich" wegen des Systems von Rein und Unrein. "Im priesterlichen System der Gottesnähe... haben Frauen keinen Platz", 133.) Für die nachexilische Zeit rechnet Sch. mit der Etablierung eines stark patriarchalischen Gesellschaftsgefüges "mit einem erneut zentralistischen Tempelbetrieb und einem monotheistischen Symbolsystem" (140). Der Passus über die jüdische Frau in der Zeit des Hellenismus und des Römischen Reiches (141-143) ist recht pauschal (vgl. dazu z. B. weitere Lit. und Problembeschreibung bei O. Wischmeyer, Die Kultur des Buches Jesus Sirach, BZNW 77, 1995, 29 Anm. 16).
Mehrere thematische Querschnitte führen in Themen ein, die das Interesse f. E. gefunden haben. Hier ist besonders auf die Monotheismusfrage hinzuweisen (160-165). F. E. vermutet, daß der patriarchale JHWH-Kult auf Kosten der Israelitinnen und ihrer religiösen Lebenswelt formuliert worden sei. Demgegenüber fordert f. E. die Wiedergewinnung der Gottes- und Göttinnenbilder des AT (s. die Monographie von S. Schroer, In Israel gab es Bilder, 1987) und der Dimension der weiblich verstandenen Chakmah.
S. Schroer arbeitet im Umkreis von O. Keel, M. Küchler, Chr. Uehlinger und auch der Fragestellungen E. Zengers und kommt zu religions- und sozialgeschichtlichen Ergebnissen, die die Frage nach der Geschichte Israels bereichern können. Theologisch am bedeutsamsten erscheint der Rezn. die Monotheismusfrage und die damit verbundene Frage nach dem Gottesbild Israels. Welche Bedeutung hier die Dimension einer weiblich vorgestellten Gottheit haben könnte, wird aber nicht allein f. E. diskutieren und klären können.
Luise Schottroff kann in Teil III: "Auf dem Weg zu einer feministischen Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums" (175) weitgehend auf ihre eigenen Arbeiten zurückgreifen (bes.: Lydias ungeduldige Schwestern. Feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums, 1994). Sie schreibt daher anders als ihre Kolleginnen konfessorisch-polemisch und streckenweise subjektiv-emotional, manchmal verzerrend (z.B. 206), stets aber ambitioniert, von einer Gesamtsicht auf jenen Befreiungsprozeß aus, zu dem sie mit ihrer exegetischen Arbeit beitragen will. Das führt dazu, daß hier einerseits biblische Exegese ungewöhnlich ernstgenommen wird, andererseits sich für eine nichtfeministische Leserin das Gefühl einstellt, per se Außenseiterin zu sein und bleiben zu sollen.
Sch. führt zunächst in ihr Konzept von Frauengeschichtsschreibung ein: "Ich begreife die Frauengeschichtsschreibung... als feministische Sozialgeschichte... Sozialgeschichte verstehe ich daher als ein umfassendes Konzept, das alle Aspekte des Lebens erforscht, auch die Religion. Die Sozialgeschichtsschreibung schließt also die Religionsgeschichte mit ein" (179). Geschichte wird hier also einseitig als Sozialgeschichte definiert und im Sinne einer Metawissenschaft etabliert. Verengt wird das Konzept durch den zusätzlichen feministischen Ansatz: "Feministische Geschichtswissenschaft fordert, daß das Geschlecht als soziale Kategorie neben der Kategorie Klasse im historischen Zentrum von historischer Forschung stehen muß" (176).
In einem 2. Durchgang wird diese feministische Geschichtswissenschaft kritisch auf "Konzepte der Geschichte des frühen Christentums" (196) angewandt. Zur Diskussion stehen für Sch. Frühkatholizismus, Wanderradikalismus und Liebespatriarchalismus, gesetzesfreies Heidenchristentum, "Verfasserschaft" ntl. Texte und "Gegner" des Paulus sowie die Parusieverzögerung. Sch. kommt hier zu interessanten Deutungen bzw. Neudeutungen. So stellt sie zu Recht die Konstruktion eines gesetzesfreien Heidenchristentums in Frage (so jetzt z. B. auch M. Hengel). Auch ihre Diskussion mit E. Schüssler Fiorenza über mögliche Interpretationen des Frühkatholizismus (197 f.) ist zukunftweisend. Einen Rückschritt bedeutet dagegen die Polemik gegen die Redaktionsgeschichte, die sie zu Unrecht gegen die Form- und Überlieferungsgeschichte ausspielt. (206 ff.) Und der Hinweis auf Traditionen bei Paulus in Form der These, daß die "Briefe des Paulus... über weite Strecken eher ein Liederbuch der Armen als ein Produkt theologischer Arbeit eines einzelnen Mannes" seien (207), ist so undifferenziert, daß er dann doch falsch wird.
Der 3. Abschnitt ist der feministischen "Aufnahme und Kritik neutestamentlicher Theologie" gewidmet. Hier wird instruktiv die feministische Kritik an Kreuz-Opfer-Gottesbild-Christologie, weiter an Frauenbild-Sexualität und Sünde, schließlich an der bes. aktuellen Frage von Dienen und Amt dargestellt. Wichtig sind hier die kritischen Anfragen Sch.s zur feministischen Polemik gegen den Philipperhymnus (214 f.), die Kreuzestheologie (214 f.), sowie die feministischen Weisheitschristologie (215). In einem Schlußabschnitt führt Sch. in die feministische Auslegungspraxis des NT ein.
Alle drei Autorinnen verstehen ihre feministisch-exegetische Arbeit als Teilhabe an einem globalen Befreiungsprozeß und zugleich in der Frontstellung und im Kampf gegen Unterdrückungsstrukturen, zu denen auch die "herrschende" biblische Exegese im Rahmen der internationalen Universitätssysteme gehört. Diese Sicht ist eindeutig idelologisch. Die Diskussion darüber muß in doppelter Richtung geführt werden: theologisch im Zusammenhang der Befreiungstheologie und der kontextuellen Theologie, wissenschaftstheoretisch als Diskussion über das Verständnis von Geschichtswissenschaft und deren Reichweite.
Speziell für die Bibelexegese ergibt sich folgende Fragestellung: Die biblischen Texte sind geschichtsbedingte Texte (auch in bezug auf ihr Frauenverständnis). Insofern ist f. E. Bestandteil der neueren historischen Bibelwissenschaft und muß als solche erkannt und ernstgenommen werden. Deshalb muß sich f. E. aber auch selbst historischer Prüfung aussetzen. Denn die Geschichte ist nicht nur Kraftfeld, sondern auch Bewährungsfeld feministischer Weltsicht. Darüber hinaus ist f. E. eine erneute dringliche Anfrage an die Systematik, wie die Bibel in ihrer Geschichtsbedingtheit zugleich als Offenbarung zu verstehen sei. Diese Frage kann nicht von der f. E. selbst beantwortet werden.