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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

874–875

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Losehand, Joachim

Titel/Untertitel:

Symphonie der Mächte. Kirche und Staat in Rußland (1689–1917).

Verlag:

Herne: Schäfer 2007. 120 S. 8° = Studien zur Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas, 7. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-933337-57-3.

Rezensent:

Erich Bryner

Der Band gibt einen sehr knappen und klaren Überblick über das Verhältnis von Staat und Kirche in Russland vom Beginn der Alleinherrschaft Peters des Großen (1689) bis zum Ende der russischen Monarchie im Februar 1917, also über die sog. »Synodalperiode«, und er zeigt, dass die Russische Orthodoxe Kirche ihre frühere Unabhängigkeit preisgeben musste und immer mehr zum Be­standteil des staatlichen Herrschafts- und Beamtenapparates wurde.
Diese Entwicklung setzte mit Peter dem Großen und seinen Ideen des aufgeklärten Absolutismus ein. Vorher besaß die Kirche, die seit 1589 unter der Führung eines Patriarchen stand, einen hohen Grad von Selbständigkeit. Die »Symphonie der Mächte«, die in Byzanz konzipiert worden war, wurde im alten Russland übernommen, wie L. im 1. Kapitel ausführt. Die Kirche spielte insbesondere in der Zeit der Wirren zu Beginn des 17. Jh.s eine wichtige politische Rolle. Doch für Peter den Großen war sie zu mächtig und zu einflussreich. Er unternahm es, sie in die Staatsverwaltung einzubinden und als Herrschaftsinstrument einzusetzen (Kapitel 2). Nach dem Tod des Patriarchen Adrian 1700 verhinderte er die Wie­derbesetzung des höchsten kirchlichen Amtes, entzog der Geistlichkeit die Verwaltung der Kirchengüter und führte im Rahmen seiner Staats- und Verwaltungsreformen 1721 eine tiefgreifende Neustrukturierung der Kirchenleitung durch, in der das Patriarchat durch eine kollegiale Leitungsbehörde, den »Heiligsten Dirigierenden Synod«, ersetzt und mit dem Amt des Oberprokurors noch enger an die Staatsführung gebunden wurde. Weitere Etappen im Prozess der Einbindung der Kirche in die allgemeine Staatsverwaltung waren die Säkularisierung der Kirchengüter (1762/64), die zahlenmäßige Beschränkung der Pfarrstellen und Klöster, die Angleichung der Eparchien an die staatliche Gouvernementseinteilung (1799), jedoch auch die Bemühungen, den Bildungsstand des Klerus durch ein Netz von Priesterseminaren und geistlichen Akademien zu verbessern. Im 19. Jh. wurde dieser Prozess fortgesetzt, wie L. im 3. Kapitel zeigt. Das Amt des Oberprokurors erhielt zunehmend mehr Macht; 1817 wurde es vorübergehend mit dem Bildungsmi­nisterium zusammengelegt. Bei der Kodifizierung der Ge­setze des Russischen Reiches 1832 wurde die Russische Orthodoxe Kirche noch deutlicher als eine den Staat schützende und erhaltende Kraft definiert. Charakteristisch war die von Bildungsminister Uvarov formulierte Staatsideologie, wonach das russische Imperium auf drei Säulen ruhe: der Orthodoxie, der Autokratie und der Nationalität. Oft regierten die Oberprokuroren die Kirche mit staatsbürokratischem und militärischem Geist. In den ersten Jahren der Regierung Alexanders II. waren einige kirchliche Reformen möglich. Unter dem Oberprokuror Pobedonoscev, einem erzkonservativen und sehr einflussreichen Staatsminister, wurde die Kirche noch mehr »Stütze der Staatsordnung« und »Teil der staatlichen Bürokratie« (88). Reformvorstöße wurden konsequent abgewürgt, so die tiefgründige Arbeit des Konzilvorbereitungsausschusses 1905/06. Die Kirche war weithin erstarrt. 1917 kollabierte das ganze System.
L. stellt die Entwicklung der Russischen Orthodoxen Kirche von einer unabhängigen Institution bis zum Bestandteil der Staatsbürokratie im 18./19. Jh. deutlich auf. Es hätte jedoch der Erwähnung verdient, dass die Russische Orthodoxe Kirche trotz dieser Einbindung in das kaiserliche Herrschaftssystem und der damit verbundenen geistlichen Erstarrung starke innere Kräfte behalten hat, die be­sonders markant im Starzentum und in der Religionsphilosophie zum Ausdruck kamen. Leider machte sich L. – abgesehen von vier Zeilen in der Einleitung – keine Gedanken darüber, wie es mit dem Verhältnis von Staat und Kirche in Russland heute bestellt ist. In den letzten Jahren kam es – trotz der in der Verfassung der Russlän­dischen Föderation festgeschriebenen Trennung von Staat und Kirche – zu Annäherungen der beiden Institutionen, was vor allem außenstehende Beobachter immer wieder vermuten ließ, die Russische Orthodoxe Kirche werde wieder zur Staatskirche. Wenn man die Entwicklung reflektiert, die L. beschreibt, kommt man aber zum Schluss, dass die Unterschiede im Vergleich zu den Jahren zwischen 1689 und 1917 deutlich überwiegen.
L. stützt seine Darstellung lediglich auf Quellen und Literatur in deutscher und englischer Sprache. In der Bibliographie vermisst man u. a. den ersten Band von Igor Smolitsch: Geschichte der Russischen Kirche 1700–1917, Leiden 1964, in dem das Thema der Un­tersuchung sehr breit und kompetent behandelt ist; es wird nur der 2. Band von Smolitsch aufgeführt, aber nicht als solcher ge­kennzeichnet. Manche Formulierungen sind zu schwach oder un­klar, wenn etwa von Metropolit Isidor gesagt wird, nach seiner Rückkehr aus Florenz, wo er die Union mit Rom 1439 unterzeichnete, sei er in Russland »auf wenig Verständnis gestoßen« (20). Den Begriff »Caesaropapismus« (13) sollte man in der russischen Kirchengeschichte nicht verwenden, denn der Zar war nie Papst, Inhaber des höchsten Lehramtes, sondern lediglich »oberster Beschützer der Kirche«. Gestaltung und Layout des Büchleins lassen zu wünschen übrig.