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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

864–865

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Leisner, Walter

Titel/Untertitel:

Gott und Volk. Religion und Kirche in der Demokratie. Vox Populi – Vox Dei?

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2008. 166 S. gr. 8°. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-428-12801-3.

Rezensent:

Norbert Janz

Walter Leisner, bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1998 Inhaber des Lehrstuhls für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, ist nach wie vor unermüdlich: Eine Vielzahl von Schriften ist in den vergangenen Jahrzehnten zum Wesen des Staates und der Demokratie sowie zu staatskirchenrechtlichen Fragestellungen erschienen. Dabei bohrt der Grandseigneur der deutschen Staatsrechtswissenschaft durchweg dicke Bretter. Das vorliegende Werk »Gott und Volk. Religion und Kirche in der Demokratie. Vox Populi – Vox Dei?« steht damit also in einer guten Tradition.
Auf nur 150 Textseiten skizziert L. das erodierende christliche Fundament, auf dem Verfassung und Gesellschaft fußen. Es geht um das Verhältnis von Staat und Kirche in der Volksherrschaft. Übereinstimmungen und Divergenzen zwischen der vox populi und der vox Dei bilden den Kern der Arbeit.
Im ersten Teil »Kirche und Staat: Einheit, Trennung – neue Be­gegnung in Demokratie« wird der Grundstein für die folgenden Ausführungen gelegt. Die beiden Reiche des Diesseits und des Jenseits existierten unabänderlich im Denken der Menschen; nie würden sie sich vereinen lassen. Der einzelne Mensch bleibe die Brücke zwischen ihnen. Das Konkordatssystem sei ein grundsätzlich gelungener Kompromiss, da eine vollständige Trennung von Kirche und Staat (»Laizismus«) den Menschen als natürliche Einheit negiere; auch ein verbundenes Staatskirchentum führe in die Irre. Es bestehe eine Gefahr für die Kirche durch einen Radikal-Demokratismus.
Im zweiten Kapitel werden die beiden Reiche der Kirche und der Demokratie mit ihren Gemeinsamkeiten, aber auch und gerade mit ihren Unterschieden und Abständen zueinander aufgezeigt. Die Kirche sei naturgemäß eben auch auf das Jenseits ausgerichtet und bilde damit gegenüber der Demokratie eine »andere Welt«. Der Tod sei selbstverständlich auch Teil des Diesseits – und damit des profanen Staates, allerdings beschränkten sich die demokratische Regelungswirkung und der demokratische Regelungswillen notabene allein auf das Diesseits. In religiöser Hinsicht werde hingegen das Jenseits als Belohnung für das Diesseits empfunden. Auch wenn die Ziele, auf welche hin die Bürger beider Reiche unterwegs sind, höchst verschieden sind, liege doch ein gemeinsames Wegstück im Diesseits. Auf diesem Stück könne sich der Mensch nur in Gemeinsamkeiten zwischen Volksherrschaft und Kirche bewegen.
Sodann skizziert L. die Grenzen der Demokratisierung im Staat und in der Kirche. Weder das eine noch das andere Reich könne und dürfe vollständig demokratisiert werden. Im religiösen Sektor würden Grenzen durch den Verfassungsstaat, die Gewaltenteilung und das Prinzip der Repräsentation gesetzt. Kirchliche Unverzichtbarkeiten resultierten aus dem Heiligen, dem Amt und der letzten Unwandelbarkeit. – Letztlich spricht sich L. zwar für eine weitgehende Demokratisierung der Kirche aus, erteilt aber einer kirchlichen Demokratie in toto eine klare Absage. Der künftige Weg dürfe nicht der einer politisierenden Kirche sein. Entsprechendes gelte für eine ideologisierende Volksherrschaft, die glaubt, Religion in ihrer Transzendenz ersetzen zu können. Dieser Tenor wird nicht allen gefallen, als klares Statement verdient er aber Beachtung.
Vox populi – vox Dei: Diesseitige Stimmen bildeten ein eigenartiges Echo der jenseitigen eines Gottes; sie stünden nicht gegeneinander, sondern stellten gegenseitige Spiegelungen dar, und zwar in einer gegenseitigen Achtung, welche auch so manchen Widerspruch nicht ausschließe. »Zwei Stimmen also – zwei Reiche – Konsonanz, nicht unisono.« – Verfassertypisch finden sich im Text keinerlei Fußnoten oder sonstige weiterführende (Schrifttums-)Hinweise. Dadurch entbehren die Ausführungen einer spezifischen Wissenschaftlichkeit und geraten eher essayistisch. Ein unkundiger Leser erfährt nicht, an welcher Stelle L. Allgemeingültiges formuliert und an welchem Punkt er eher eine exotische Minderheitenansicht vertritt. Das Motiv dieser zumindest ungewöhnlichen Methodik bleibt im Dunkeln.
Die nicht immer ganz einfach nachzuvollziehende Gedankenführung ist in sich stimmig und überzeugend. Allerdings lässt sich nicht verhehlen, dass L. sich auf die monotheistischen Glaubensrichtungen fokussiert und damit Atheisten von vornherein von der Betrachtung exkludiert. Bei einer nur noch ca. zwanzigprozentigen konfessionellen Bindung der Bevölkerung in Brandenburg beispielweise lässt sich hier eine gewichtige Einrede gegen die Allgemeingültigkeit seiner Aussagen führen. Eine weitere Folge dieses Ansatzes ist es, dass sich seine Überlegungen und Schlussfolgerungen nicht oder zumindest nur bedingt auf Andersgläubige übertragen lassen. Schließlich sind seine Vorbehalte gegenüber dem Islam nicht zu übersehen. Die vom Bundesverfassungsgericht vielbeschworene Neutralitätspflicht des Staates mitsamt der grundgesetzlich verbürgten Parität der Religionen lässt sich mit dieser Sichtweise kaum noch vereinbaren. Hiermit wird die Kernaussage dieser Monographie letztlich nicht unerheblich relativiert und auf das Verhältnis der christlichen Kirchen zum deutschen Staatswesen begrenzt.