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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

848–850

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller-Bergen, Anna-Lena [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Schellings Bibliothek. Die Verzeichnisse von F. W. J. Schellings Buchnachlaß. Hrsg. unter Mitwirkung v. P. Ziche.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Fromman-Holzboog 2007. XLIV, 306 S. 8° = Schellingiana, 19. Kart. EUR 98,00. ISBN 978-3-7728-2435-7.

Rezensent:

Christian Danz

Nachdem Verzeichnisse der Bibliotheksbestände von Immanuel Kant und Friedrich Heinrich Jacobi bereits publiziert wurden, liegt nun auch ein Verzeichnis des Bücherbestandes von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling vor. Der von Anna-Lena Müller-Bergen unter Mitwirkung von Paul Ziche herausgegebene Band Schellings Bi­bliothek enthält eine Aufstellung der Bücher, die sich nach Schellings Tod am 20. August 1854 in seiner Privatbibliothek befanden und die am 10. September 1855 binnen elf Tagen in Berlin versteigert wurden. Die Liste von Schellings Bücherbestand, welche in dem Band ediert ist, geht auf eine Bestandsaufnahme von Schellings Schwiegersohn Carl Ulrich von Zech zurück. Durch diese von Zech angefertigte Liste des Bücherbestandes Schellings ist es möglich, in dem Auktionskatalog, der mehrere Nachlässe enthielt, diejenigen aus dem Nachlass Schellings zu identifizieren (XIII). Die ausführliche Einleitung zu dem Band informiert über die Hintergründe der Versteigerung von Schellings Bibliothek, über die familiäre Auseinandersetzung über den Modus des Verkaufs sowie über den Charakter dieser Bibliothek (VII–XXXIX). Die Edition der Zech-Liste (1–275) bietet den von Zech notierten Bücherbestand Schellings in durchnummerierter Folge, die Markierungen der Familienmitglieder zu den Büchern, die im Familienbesitz bleiben sollten, sowie aktualisierte bibliographische Verweise. Das Register des Bandes informiert über den Bücherverbleib innerhalb der Fa­milie Schelling und rubriziert den Bücherbestand Schellings in verschiedene Sachgebiete (277–304). Ein Namenregister ermöglicht die schnelle Aufsuche von Büchern, die sich in Schellings Bibliothek befanden (289–304).
Schellings Bibliothek umfasste nach seinem Tod nach Auskunft der 26-seitigen Zech-Liste »1103 Titel und ca. 2078 Bände« (XIV). Für eine Gelehrtenbibliothek ist dieser Bestand nicht sehr umfangreich und im Vergleich zu den Bibliotheken Jacobis (5000 bis 6000 Bände), von Gleims (15000 Bände) oder Lessings (6000 Bände) eher gering (XXII f.). Schelling selbst hatte denn auch Bedenken, dass seine Bibliothek unter seinem Namen verkauft würde. Zehn Tage vor seinem Tod äußerte er gegenüber seinem Sohn K. F. A. Schelling den Wunsch, »›daß seine Bibliothek nicht unter seinem Namen feilgeboten‹ werden möge, da er diese ›als eine der Höhe seiner wiss.[enschaftlichen] Stellung nicht gleichkommende ansah und doch wie unsere alten Männer … der Gelehrsamkeit viel auf eine große Bibliothek hielt‹.« (XXV f.) Noch auf dem Sterbebett war Schelling darum besorgt, dass »ein Dritter einen Blik in die von ihm benützten Hülfsmittel werfen könnte« (XXIX f.). In diesen Äußerungen dokumentiert sich nicht nur die Befürchtung Schellings, dass sein geringer Bücherbestand seine wissenschaftliche Reputation beschädigen könnte, sondern auch, wie wichtig ihm seine eigene Bibliothek war.
Die etwas über 2000 Bände umfassen Schriften aus den verschiedensten Wissenschaftsgebieten wie Philosophie, Theologie, Philologie, Geschichtswissenschaft sowie Literaturwissenschaft und stehen in einem engen Zusammenhang mit Schellings eigener Arbeit. Insofern ist diese Bibliothek eine ausgesprochene Arbeitsbibliothek. Durch seine wissenschaftliche und gesellschaftliche Stellung hatte Schelling mühelos Zugang zu wichtigen Bibliotheken, so dass eine Anschaffung von Büchern aus rein repräsentativen Gründen für ihn nicht in Frage kam. Bereits der junge Tübinger Theo­logiestudent hatte Zugang zu Bücherbeständen der Professorenschaft, die er ausgiebig nutzte. Zahlreiche der exegetischen Schriften, die der junge Schelling in seinen exegetischen Kommentaren, etwa zum paulinischen Römerbrief, zitiert, hat er offensichtlich nicht besessen. In der Liste seines Bibliotheksbestandes finden sich keine exegetischen Werke von Johann Salomo Semler, sondern lediglich eine Ausgabe von Semlers Schrift Briefe an einen Freund in der Schweiz von 1786 (219). Die in Tübingen zu seiner Studienzeit im akademischen Unterricht traktierten Dogmatiken von Friedrich Christoph Satorius und Gottlieb Christian Storr (122) gehören freilich ebenso zum Bibliotheksbestand wie Storrs Schrift über Kants Religionsphilosophie (98).

Auch in seiner Jenaer, Münchener und Berliner Zeit hatte Schelling Zu­gang zu gut ausgestatteten Bibliotheken, die er nutzte, wie zahlreiche Auseinandersetzungen mit einschlägigen Schriften dokumentieren. So hat Schelling von Lu­ther Briefausgaben und eine Ausgabe seiner Tischreden (217 f.) besessen, aber offensichtlich keine theologischen Schriften. Seine inzwischen publizierten Ausleihen aus der Bayerischen Staatsbibliothek zeigen, dass er sich im Zusam­menhang seiner Arbeiten an der Freiheitsschrift von 1809 De servo arbitrio ausgeliehen und mit dieser Schrift des Reformators auseinandergesetzt hatte. Das Leben Jesu von David Friedrich Strauß, auf das er in seinen Berliner Vorlesungen über Philosophie der Offenbarung zu sprechen kommt und das sich thematisch sowohl mit seinen eigenen frühen als auch späten Arbeiten zu einer Philosophie der Mythologie berührt, findet sich in Schellings Bibliothek nicht. Von seinem späteren Antipoden Georg Friedrich Wilhelm Hegel besaß Schelling zahlreiche Einzelschriften wie die Phänomenologie von 1807 (39) oder die Erstauflage der Enzyklopädie von 1817 (234), aber auch 17 Bände der Freundesausgabe (124 f.) und zahlreiche Schriften über dessen Philosophie. Von Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung besaß Schelling die Erstausgabe von 1819 (67) und die zweite Auflage von 1844 (121 f.). Auch Schleiermachers Erstlingswerk Über die Religion von 1799, über das Schelling in dem bekannten Brief an August Wilhelm Schlegel sich am 07.01.1801 geradezu überschwänglich äußert, gehört noch 54 Jahre später zu dem Bestand seiner Bibliothek (66).

Wie die Reden Schleiermachers oder dessen Weihnachtsfeier (255), die Schelling 1807 in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung besprochen hatte, dürften zahlreiche der in die Bibliothek eingegangenen Bücher Geschenke sein, die Schelling von den Autoren wie Christian Hermann Weiße oder Schülern wie Theodor Dorfmüller oder Hubert Beckers geschenkt bekommen hatte. Zahlreiche Klassiker der Philosophie, wie die Werke Kants, Spinozas, Leibniz’, Fichtes Wissenschaftslehre von 1794 sowie zahlreiche Schriften über seine eigene Philosophie, deren Aufzählung hier zu weit führen würde, gehörten zu Schellings Ar­beits­bibliothek. Für die weitere Beschäftigung mit dem Werk Schellings wird der Band in jedem Fall ein unentbehrliches Werkzeug darstellen.