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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

833–835

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst

Titel/Untertitel:

Kritische Gesamtausgabe. V. Abtl.: Briefwechsel und biographische Dokumente. Bd. 6: Briefwechsel 1802–1803 (Briefe 1246–1540). Hrsg. v. A. Arndt u. W. Virmond. Bd. 7: Briefwechsel 1803–1804 (Briefe 1541–1830). Hrsg. v. A. Arndt u. W. Virmond. Bd. 8: Briefwechsel 1804–1806 (Briefe 1831–2172). Hrsg. v. A. Arndt u. S. Gerber.

Verlag:

Bd. 6: Berlin-New York: de Gruyter 2005. LXII, 547 S. m. Abb. gr.8°. Lw. EUR 178,00. ISBN 978-3-11-018293-4.
Bd. 7: Berlin-New York: de Gruyter 2005. LXV, 543 S. m. Abb. gr.8°. Lw. EUR 178,00. ISBN 978-3-11-018492-1.
Bd. 8: Berlin-New York: de Gruyter 2008. LXXVI, 577 S. m. Abb. gr.8°. Lw. EUR 178,00. ISBN 978-3-11-020602-9.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. II. Abtl.: Vorlesungen. Bd. 6: Vorlesungen über die Kirchengeschichte. Hrsg. v. S. Gerber. Berlin-New York: de Gruyter 2006. LIV, 909 S. gr.8°. Lw. EUR 228,00. ISBN 978-3-11-019106-6.


Dreimal hat Schleiermacher Kirchengeschichte gelesen: 1806 in Halle sowie 1821/22 und 1825/26 in Berlin. Der 2006 von Simon Gerber edierte Band »Vorlesungen über die Kirchengeschichte« (KGA II/6) enthält sämtliche erhaltene Manuskripte zu diesen Vorlesungen sowie, als Ergänzung zu Schleiermachers meist nur stichwortartigen Notizen, den Großteil einer Nachschrift der Vorlesung von 1821/22 sowie einige Auszüge aus der 1840 erschienenen Aus­gabe der Kirchengeschichte Schleiermachers von Eduard Bonnell, die auf heute verlorenen Vorlesungsnachschriften von 1825/26 basierte. Im Anhang werden zudem – etwas deplatziert – als Nachtrag zu KGA I/10 Schleiermachers Aufzeichnungen zu den beiden Aufsätzen über die Lehre von der Erwählung (1819) und die Trinitätslehre (1822) geboten. Die meisten der hier veröffentlichten Texte waren bislang nicht oder nur auszugsweise zugänglich. Der Band erweitert so signifikant die Kenntnis von Schleiermachers Beschäftigung mit der Kirchengeschichte.
Dass sie ein durch ihn besonders befruchtetes Gebiet theologischer Arbeit gewesen sei, wird man nicht sagen können. Schleiermachers eigenständige Beiträge beschränken sich im Wesentlichen auf das Prinzipielle und Konzeptionelle. Seine einstündige Vorlesung »über Zweck und Methode des Studiums der Kirchengeschichte« im Sommersemester 1806 in Halle konzentrierte sich auf die methodischen und enzyklopädischen Grundfragen der Kirchengeschichte als Teil des Systems theologischer Wissenschaften. Kirchengeschichte wird als die »Entwicklungsgeschichte der Organisation eines gemeinsamen Lebens aufgrund eines gemeinsamen Gefühls« (XX) verstanden und ist als solche organischer Teil der Geschichte überhaupt. Im Rahmen der historischen Theologie bildet sie das Mittelstück zwischen der Kenntnis des Urchristentums und der Gegenwart. Wie in der vier Jahre später erstmals erschienenen »Kurzen Darstellung des theologischen Studiums« ist es klar, dass sie nicht neutral, sondern aus explizit christlicher Perspektive zu schreiben ist. Sie muss auch mehr sein als eine Chronik, eine bloße Aufzählung von Ereignissen. Als Geschichtsdarstellung er­fordert sie eine »Gesamtanschauung« des Äußeren (der zeitlichen und räumlichen Veränderungen) und des Inneren (der wirksamen Kräfte), muss also als ein in Perioden und Epochen gegliedertes organisches Ganzes präsentiert werden.
Den Versuch, diese Prinzipien auszuführen, macht Schleiermacher erst 15 Jahre später in seinem Kirchengeschichtskolleg von 1821/22, das von den Anfängen bis zum Augsburger Religionsfrieden reicht. Die Erarbeitung des Stoffs war mühsam. Auch wenn das Manuskript zum Kolleg anders als das von 1825/26 ausgearbeitete Passagen enthält (21–140), wird vieles doch nur in Stichworten notiert. Ein erheblicher Teil des Stoffes liegt nur in Form von Exzerpten aus der herangezogenen Literatur vor, die als »Kollektaneen« von 1821/22 und 1825/26 abgedruckt sind (141–463). Ohne die Vorlesungsnachschriften Klamroths von 1821/22 (467–661) bzw. des nach der Ausgabe Bonnell gebotenen Kollegs von 1825/26 wäre es schwierig, sich ein Bild von Schleiermachers Kirchengeschichtsvorlesungen zu machen. So aber lässt sich gut erkennen, wie Schleiermacher sich den komplexen Stoff erarbeitete und welche Akzente er dabei setzte. Kirchengeschichte wird von ihm als »Wirkungsgeschichte des von Christus ausgehenden neuen Lebensprinzips« zur Darstellung gebracht (XXXIX). Einerseits ist sie damit an einem kritischen Prinzip orientiert, durch das sich ihr Gegenstand von anderen geschichtlichen Entwicklungen abgrenzen lässt, andererseits wird sie inhaltlich nicht als Dogmengeschichte, sondern als das Gemeinschaftsleben verändernde und neu gestaltende Missionsgeschichte des Christentums ausgearbeitet.
Auch dieser Band ist vorzüglich ediert. Zu Beginn werden die editorischen Grundsätze für die II. Abteilung (Vorlesungen) in Erinnerung gerufen (IX–XV). Danach folgt die Einleitung des Bandherausgebers, in gewohnter Manier aufgeteilt in eine »Historische Einführung« (XVII–XLI) und einen »Editorischen Bericht« (XLI–LIV). In einem ersten Teil werden dann die Manuskripte und Kollektaneen Schleiermachers geboten (1–463), in einem zweiten die Vorlesungsnachschriften von 1821/22 und 1825/26 (466–745). Im An­schluss werden Schleiermachers Notizen zur Lehre von der Erwählung (1819) und zur Trinitätslehre (1822) abgedruckt (747–777). Es folgen Synopsen über Schleiermachers Vorlesungen zur Kirchengeschichte (779–794), die Ausgaben von Bonnell und Boekels (795–801), Abkürzungs- und Literaturverzeichnisse (802–829) sowie Perso­-nen-, Sach- und Bibelstellenregister (831–909). Zusammen mit KGA II/16 liegen damit wichtige und zum großen Teil erstmals publizierte Quellen von Schleiermachers kirchengeschichtlichem Schaffen in verlässlicher Edition vor.
Ähnliches gilt auch von den drei Briefbänden, die Schleiermachers Briefwechsel zwischen 1802 und 1806 dokumentieren und die fortlaufend nummerierten Briefe 1246 bis 2172 enthalten. Die ers­ten beiden Bände (KGA V/6: 1802–1803; KGA V/7: 1803–1804) wurden von Andreas Arndt und Wolfgang Virmont ediert und sind 2005 erschienen. Der dritte Band (KGA V/8: 1804–1806), den Andreas Arndt und Simon Gerber herausgegeben haben, erschien 2008. Der Zeitraum des Briefwechsels reicht damit von Schleiermachers Anfängen als Hofprediger im Pommerschen Stolp bis zu seiner ersten Zeit als Professor in Halle an der Saale.
In diese Zeit fielen nicht nur wichtige berufliche Entscheidungen, sondern es setzte sich auch das konfliktreiche Auf und Ab seiner Beziehung zu Eleonore Grunow fort und es begann die Be­kanntschaft mit Henriette von Willich, die später seine Frau wurde. 1803 beginnt sich auch immer deutlicher abzuzeichnen, dass sich das Projekt der Platon-Übersetzung nicht, wie geplant, mit F. Schlegel durchführen lässt, sondern von Schleiermacher allein übernommen werden muss. Die »Kritik der Moral« wird unter mannigfachen Schwierigkeiten im Pfarramt abgefasst. Den auch dafür erhaltenen Ruf nach Würzburg will Schleiermacher zu­nächst ablehnen, u. a. weil ihn die Anwesenheit Schellings stört (Briefe 1632; 1648). Er nimmt ihn dann aber doch an (Brief 1673) und muss, nachdem ihm der König eine Stelle in Berlin in Aussicht stellt (Briefe 1702; 1714) und eine Professur in Halle sowie die dortige Universitätspredigerstelle wahrscheinlich wird (Brief 1715), den preußischen Minister von Thulemeier ausdrücklich bitten, ihm die Entlassung aus preußischen Diensten förmlich zu versagen (Brief 1718), um den Ruf nach Würzburg doch noch ablehnen und nach Halle gehen zu können (Briefe 1739; 1743). Dort hat er zu­nächst Schwierigkeiten, sich mit den Hallenser Kollegen anzufreunden. Am besten versteht er sich noch mit Henrich Steffen (Brief 1880). Seine Predigten aber machen Eindruck, und nachdem er die schnell verfasste »Weihnachtsfeier« veröffentlicht hat, wird er im Februar 1806 vom Extraordinarius zum ordentlichen Professor ernannt und damit Fakultätsmitglied (Brief 2140). Einen an ihn ergangenen Ruf nach Bremen als Prediger an die Kirche Unser Lieben Frauen lehnt er daraufhin ab (Brief 2155).
Ediert wurden alle Briefe nach den Grundsätzen für die V. Abteilung (vgl. KGA V/1, XVIII–XXIII). Varianten, Korrekturen und Quellen werden im Textapparat genannt. Der Sachapparat ist knapp und konzis, erläutert sprachlich und sachlich, was zum Verständnis nötig ist, und gibt wichtige Querverweise auf andere Briefe, die es erleichtern, thematische Fäden durch die Korrespondenz zu verfolgen. Dem dienen auch die ausführlichen »Register der Namen und Werke«, mit denen die Bände jeweils abgeschlossen werden. Neben der kritischen und vollständigen Edition schon bekannter Briefe von und an Schleiermacher ist es den Herausgebern auch diesmal gelungen, eine Vielzahl bisher nicht bekannter Schreiben erstmals zugänglich zu machen. In KGA V/6 sind es 74 von 291 Briefen, in KGA V/6 84 von 290 Briefen, in KGA V/7 109 von 343 Briefen. Jeder Band bietet in der Einleitung der Bandherausgeber eine hilfreiche »Historische Einführung«, die die Lebensumstände Schleiermachers in der jeweiligen Periode skizziert und seine Briefpart­nerinnen und Briefpartner charakterisiert, sowie einen knappen »Editorischen Bericht«, der in geradezu unterkühlter Manier die mannigfachen Schwierigkeiten der Recherche, Erschließung und Herausgabe der vorgelegten Briefe erkennen lässt.
Die editorische Qualität aller drei Bände liegt auf gewohnt hohem Niveau und lässt kaum Wünsche offen. Einzig in KGA V/6, dem einige Blätter Corrigenda zu KGA V/5 beigelegt sind, finden sich vereinzelt Druck­fehler (etwa XXXVIII, Zeile 6 von oben). Besonders hervorzuheben sind die Abbildungen, die den Bänden beigegeben sind (KGA V/6: 16; KGA V/7: 24; KGA V/8: 29). Sie runden Publikationen ab, zu denen man den Editoren nur gratulieren kann.