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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

831–833

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Gockel, Matthias

Titel/Untertitel:

Barth and Schleiermacher on the Doctrine of Election. A Systematic-Theological Comparison.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 2006. 229 S. gr.8°. Geb. £ 51,00. ISBN 978-0-19-920322-2.

Rezensent:

Claus-Dieter Osthövener

Die im Jahre 2002 am Princeton Theological Seminary verteidigte und für die Veröffentlichung überarbeitete Dissertation unternimmt es, einen neuen Blick auf die Beziehung zwischen Karl Barth und Friedrich Schleiermacher zu werfen. Sie tut dies, nach Einschätzung G.s, als »the first monograph on the doctrine of election in Schleiermacher and Barth« (11). Die Grundthese des Buches wird gleich zu Beginn klar herausgestellt: »In contrast to Barth’s own assessment, the following study demonstrates that there exist many similarities between Barth’s and Schleiermacher’s position on the doctrine of election«, und zwar gelte dies in doppelter Hinsicht: »there exist striking parallels between their criticism of traditional views as well as between fundamental dogmatic motifs in their reconstruction of the doctrine« (3). Bereits an diesen Zitaten wird deutlich, dass sich G. nicht an den weiland lustvoll geführten Grabenkämpfen zwischen dialektischer und liberaler Theologie zu beteiligen gedenkt, sondern sich stattdessen auf eine dogmatische Sachfrage konzentrieren will. Die Bearbeitung der Lehre von der Erwählung als einem besonders markanten Lehrstück gerade der reformierten Tradition will daher auch als ein Beitrag zur bislang noch wenig in Angriff genommenen Einordnung Schleiermachers in diesen Kontext verstanden werden.
Die Anlage des Vergleichs ist so schlicht und so einleuchtend wie nur möglich: Im Falle Schleiermachers werden seine Abhandlung über die Erwählung sowie die einschlägigen Passagen der »Glaubenslehre« in je einem Kapitel traktiert. Im Falle Barths wird in drei Kapiteln die zweite Auflage der Römerbriefauslegung, so­dann die sog. »Göttinger Dogmatik« der 20er Jahre sowie schließlich Band II/2 der »Kirchlichen Dogmatik« herangezogen. In dieser sieht G. auch systematisch einen Gipfelpunkt erreicht, in dem Barth einige Unklarheiten seiner früheren Positionen überwunden habe, Positionen übrigens, in denen er Schleiermacher nach Meinung G.s besonders nahe gekommen sei.
Die Rekonstruktion Schleiermachers will ganz auf sich selbst stehen und gänzlich absehen von Karl Barths Sichtweise. Konsequenterweise fällt der Name Barths im gesamten Schleiermacherteil nur ein einziges Mal. Die Abhandlung über die Erwählung wird detailliert nachgezeichnet und die elegante Verbindung von einheitlichem und singulärem göttlichem Ratschluss mit der differenzierten (und daher zwiefältigen) Erscheinung seiner ge­schichtlichen und sozialen Realisierung gewürdigt, ohne allerdings großes Gewicht auf die geschichtsphilosophischen Implikationen dieser Konzeption zu legen. Als Fazit heißt es daher: »In the end, his concept of election remains theocentric« (36). Die »Glaubenslehre« wird als Ganzes in den Blick genommen. Nach einem kurzen Gang durch die Einleitung wird zunächst Schleiermachers Konzept des Naturzusammenhangs vorgestellt sowie vor allem seine Fassung der Urstandslehre als ursprüngliche Vollkommenheit der Welt und des Menschen. G. sieht ganz richtig, dass hier eine universale Sichtweise etabliert wird, die dann auch hinüberweist zur Ablehnung einer ewigen Verdammnis (vgl. 55 f.).
Karl Barths Versuch, seine theologischen Optionen an Paulus’ Brief an die Römer zu profilieren, wird als Exposition seiner Vorstellungen zu Erwählung und Verwerfung genutzt. Hierbei wird immer wieder einmal ein vergleichender Blick auf Schleiermacher geworfen, der mancherlei Parallelen zu Tage fördert (vgl. 109.123). Das Fazit dieses Teils ist allerdings wenig überraschend: »Barth’s understanding of election is closely related to the concept of God but not significantly shaped by his christology« (130). Die »Göttinger Dogmatik« nötigt Barth erstmals zu einer auch lehrtechnisch reflektierten Stellungnahme zur Erwählung, die er auf der Grundlage von Heppes zweisprachiger Zusammenstellung an der reformierten Tradition profiliert. Eine grundsätzliche Änderung gegenüber der Römerbriefauslegung mag G. nicht erkennen, wohl zu Recht. Denn der eigentliche Wandel tritt erst mit der ›christologischen Revision der Erwählungslehre‹ ein, die vor allem in Band II/2 der »Kirchlichen Dogmatik« greifbar wird. Hier werden bekanntermaßen die Weichen gestellt für die christologische Zentrierung des Spätwerks. Die frühere, stark auf Gottes unverfügbar aktuales Handeln fokussierte Position gewinnt durch die christologische Dimension der Erwählung neue Bestimmtheit und legt damit auch neuen Grund für die zuvor bereits zu diagnostizierende teleologische Überordnung der Erwählung über die Verwerfung. In dem Kapitel »Consequences and Criticism« setzt sich G. mit neueren Interpretationen auseinander, nicht zuletzt mit der Einzeichnung Barths in die Verhältnisbestimmung von Christentum und Judentum.
In einem kurzen Schlusskapitel rekapituliert G. noch einmal den Ertrag der Studie unter dem Titel »A Challenge for the Twenty-First-Century Theology«. Auch jetzt plädiert er dafür, Schleiermacher und Barth vor allem in ihren Gemeinsamkeiten wahrzunehmen, ausdrücklich auch gegen Barths eigene Abgrenzung. Speziell im Blick auf die Erwählungslehre gibt er zu bedenken: »one can ask whether Schleiermacher’s reconstruction of the doctrine might lead to insights that correspondend to Barth’s intention even better than his own elaboration« (205). Vor allem die Frage der Apokatastasis, der Allerlösung, gehört nach Meinung G.s erneut auf den Prüfstand und zwar im Anschluss an Schleiermacher und Barth. So schließt denn die Untersuchung im gleichen Ton, wie sie geführt wurde: in sachlicher Eindringlichkeit, weniger interessiert an theologiegeschichtlichen Lagerbildungen, sondern an einer Klärung binnendogmatischer Fragen.