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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

823–826

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Junghans, Helmar [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die sächsischen Kurfürsten während des Religionsfriedens von 1555 bis 1618. Symposium anläßlich des Abschlusses der Edition »Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen« vom 15. bis 18. September 2005 in Leipzig. Veranstaltet von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und dem Theologischen Arbeitskreis für Reformationsgeschichtliche Forschung Berlin.

Verlag:

Leipzig: Verlag der Sächsischen Akademie zu Leipzig in Kommission bei Steiner (Stuttgart) 2007. 364 S. m. Abb. gr.8° = Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 31. Geb. EUR 74,00. ISBN 978-3-515-09125-1.

Rezensent:

Stefan Rhein

Die Herausgabe der »Politischen Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen« (erschienen 1900–2006) er­brachte vielfältige Erkenntnisse für ein neues Moritz-Bild. Dieses wurde anlässlich des 450. Todestages des Kurfürsten 2003 in einer Tagung eingehend formuliert (vgl. den Tagungsband »Moritz von Sachsen: ein Reformationsfürst zwischen Territorium und Reich«, hrsg. von Karlheinz Blaschke, Stuttgart 2007), so dass der Abschluss der Moritz-Edition zum Anlass einer Tagung über die Nachfolger wurde. Vier Kurfürsten geraten dabei ins Blickfeld, August I. (1526, 1553–1586), Christian I. (1560, 1586–1591), Christian II. (1583, 1601–1611) und Johann Georg I. (1585, 1611–1656), deren Wirken sowohl außenpolitisch (Beziehungen zum Reich, zu Dänemark, zur Pfalz, zu Hessen und zum ernestinischen Sachsen) wie auch innenpolitisch (Universitätspolitik, Kirchen- und Schulordnung etc.) in den insgesamt 19 Beiträgen der Tagungspublikation eingehend und durchweg mit großem Sachverstand dargestellt wird.
Besondere Aufmerksamkeit darf das Verhältnis Kursachsens und der Pfalz beanspruchen, da hier einerseits Luthertum, andererseits Calvinismus die religiösen Spannungen im deutschen Protes­tantismus ausprägten. Eike Wolgast stellt die sieben pfälzischen Kurfürsten (von Kurfürst Friedrich II. bis Kurfürst Friedrich V.) in ihren jeweils wechselhaften, meist sehr spannungsgeladenen Be­ziehungen zu Kursachsen vor und charakterisiert etwa die be­son­ders scharf ausgefochtene, unterschiedliche konfessionspoli­tische Haltung Augusts und Friedrichs III. mit Reichsloyalität und Territorialpatriotismus versus gesamtevangelisches Verantwortungsbewusstsein. Auch später fühlte sich Sachsen dem Kaiser und sogar der katholischen Liga näher als einer Union mit den Calvinisten.
Intensiv waren die dynastischen Beziehungen zwischen Dänemark und Kursachsen in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s, da August seit 1548 mit der dänischen Königstochter Anna verheiratet war, die den Kurfürsten in seinem harten Eingreifen gegen die Kryptocalvinisten bestärkte, wie Jens E. Olesen ausführt; August wirkte sogar auf seinen dänischen Schwager König Frederik II. ein, den philip­pis­tischen Theologen Niels Hemmingsen von seinem Lehramt zu entfernen. Zwischen Hessen und Kursachsen bestand eine durch zahlreiche Eheschließungen geschaffene hessisch-sächsische Fürs­tenallianz, typisch für das dynastisch geprägte frühneuzeitliche Ständereich Deutschland, wie Manfred Rudersdorf eindrücklich darlegt; Kurfürst August zeigte sich dabei als entscheidende Autorität bei der Funktionsfähigkeit des 1555 etablierten Friedenssys­tems, so dass erst nach seinem Tod die eigentliche Krise des Reiches wirksam wurde. Das prekäre Verhältnis der Ernestiner und Albertiner behandelt Volker Leppin und zeigt auf, wie der ernestinische Rumpfstaat, dessen Hoffnung auf die erneute Kurwürde nach dem Tod von Moritz nicht erfüllt wurde, den politischen Verlust durch die konfessionspolitische Selbstdarstellung als wahrer Erbe des Luthertums kompensierte (Gründung Universität Jena, Beginn der Jenaer Lutherausgabe etc.).
Der reichspolitischen Orientierung des albertinischen Sachsen zwischen Augsburger Religionsfrieden und Dreißigjährigem Krieg geht Jens Bruning in einer klar und präzis formulierten Studie nach und arbeitet die pragmatische, überkonfessionelle, politisch orientierte kursächsische Reichs- und Konfessionspolitik bis 1586 heraus, die sich keineswegs nur nach den Vergaben der habsburgischen Kaiser richtete. Auf die fast durchweg anteilnehmenden und den Verstorbenen lobenden Reaktionen auf den Tod von Kurfürst Moritz von Sachsen konzentriert sich Christian Winter. An dem relativ reibungslosen Übergang der Macht an August wird auch die Stabilität des von Moritz geschaffenen albertinischen Kursachsens deutlich. Zu den Tätigkeitsfeldern beim Ausbau eines Territoriums zu einem frühmodernen Staat gehört die Universitätspolitik, die Andreas Gößner bei Moritz und August mit Blick vor allem auf Stipendien und Berufungen vorstellt. Nach einem eher skizzenhaften Durchgang durch das Politische Testament des Melchior von Osse vor dem Hintergrund der kursächsischen Wirtschaftspolitik durch Rainer Groß bietet Guntram Martin einen ersten Überblick über die archiva­lische Quellenlage zu den vier sächsischen Kurfürsten (August, Chris­tian I., Christian II., Johann Georg I.) und legt damit eine erste Schneise für das Editionsdesiderat vor allem der politischen Korrespondenz des Kurfürsten August, die sich allerdings mit einem Gesamtumfang von ca. 17 Bänden als ein Langzeitprojekt entpuppt (dem man ein förderlicheres Umfeld wünscht, als es der Moritz-Edition im Laufe ihrer über 100-jährigen Geschichte beschieden war). Zur Stabilisierung von Herrschaft gehörte auch ihre Inszenierung durch Gebäude; rund 17 neue Schlösser (Wohn-, Jagd- und Amtsschlösser) wurden in der Regierungszeit von August errichtet, die Steffen Delang alle mit ihrer – meist unmodernen, biederen – Formensprache vorstellt, ergänzt durch die Bauten seiner Nachfolger, die einen prächtigeren, an ausländischen Vorbildern orientierten Stil bevorzugten. Die Kontinuität der Kirchen­politik von Moritz und August betont Heiko Jadatz bei seinen Ausführungen zum Ausbau der kursächsischen Landeskirche zwi­schen 1555 und 1557, zumal sich auch August auf den Rat der Wittenberger Theologen (vor allem Melanchthon) verließ. Während Kursachsen bis 1574 ein Haupthemmnis bei der Entstehung des Konkordienbuches war, wurde es danach, also nach der Abkehr vom Philippismus, zum organisatorischen Motor bei der innerlutherischen Einigung und bei der Abfassung und Verabschiedung des Konkordienbuches, wie Christian Peters umfassend erläutert. Besondere Beachtung verdient unter den Beiträgen der Artikel von Helmar Junghans (»Die kursächsische Kirchen- und Schulordnung von 1580 – Instrument der ›lutherischen‹ Konfessionalisierung?«), da er zum einen sehr eingehend Entstehung und Aufbau der Kirchen- und Schulordnung von 1580 sowie Teile wie Eherecht, Sonntagsheiligung, Schul- und Universitätsreform darstellt, zum anderen aber auch die (oft ineffektive und nur partielle) Umsetzung untersucht; zudem diagnostiziert er bei der Ordnung mit ihrem obrigkeitlichen Kirchenregiment frühabsolutistische Züge und erkennt in ihr ein Instrument der lutherischen Konfessionali­sierung im Sinne des landesherrlichen Kirchenregiments (und hinterfragt dabei den In­terpretationsanspruch der Konfessionalisierungsthese, da die Ziele der Ordnungen von ihrer Verwirklichung häufig weit entfernt waren und zahlreiche Lebensbereiche von der Konfession überhaupt nicht bestimmt wurden). Johannes Herrmann stellt die Räte der albertinischen Kurfürsten vor, skizziert die Entwicklung der kurfürstlichen Verwaltung und richtet seine Aufmerksamkeit neben dem Geheimsekretär Johann Jenitz, dem persönlichen Sekretär von Kurfürst August, auf Hubert Languet, den kursächsischen Gesandten in Frankreich, den Herrmann als einen imponierenden Vordenker und Vorkämpfer eines evangelischen Europas würdigt.
In der kursächsischen Innenpolitik konnten die Land­stände die Politik des Kurfürsten stark beeinflussen, da ihre Mo­nita Eingang in fürstliche Mandate fanden, oft sogar wortwörtlich, wie Uwe Schirmer an den Quellen nachweisen kann, und die Landstände überdies mit dem Obersteuerkollegium ein Instrument ihres politischen Einflusses besaßen. Aus der Reihe der sächsischen Kurfürstinnen hat Anna immer schon forscherliche Aufmerksamkeit erregt, auch wenn der Quellenfundus von ca. 16000 Briefen weit entfernt von einer Bearbeitung ist; Katrin Keller be­tont die luthe­rische Glaubenstreue Annas, die sich durch die kryptocalvinis­tischen Theologen hintergangen und für das religiöse Wohl der Untertanen verantwortlich fühlte, weist Vorwürfe »unweiblicher« Härte als verfehlt zurück und würdigt zudem das kirchenpoli­tische (lutherische) Agieren von Kurfürstin Sophie im Fall Krell. Den politischen Einfluss der Dresdner Hofprediger entfaltet Wolfgang Sommer in der das jeweilige theologische Profil herausarbeitenden Vorstellung der Hofprediger Wagner, Lysthenius, Mirus, Salmuth, Leyser und Hoe von Hoenegg. Zu den geläufigen Disziplinierungsmitteln des landesherrlichen Kirchenregiments gehören Visitationen, doch wurde die Visitation, wie Anne-Kristin Kupke aufzeigt, in Kursachsen im 17. Jh. nicht als ein solches Instrument – auch nicht durch den Kurfürsten – konsequent eingesetzt.
Mit einer beeindruckenden Gesamtschau über den nur von den Friedensjahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg übertroffenen Friedstand deutscher Geschichte zwischen 1555 und 1618 be­schließt Günther Wartenberg den Sammelband (»Gefährdung und ›Scheitern‹ des Augsburger Religionsfriedens«). Für ihn ist diese Friedenszeit auf das Handeln einer stark von Melanchthon formierten, humanistisch-reformatorischen und auf pax und concordia orientierten Funktionselite Wittenberger Prägung zurückzuführen.
Der Sammelband ist ein wichtiger Beitrag zur kursächsischen Kirchenpolitik zwischen 1555 und 1618 und ein eindrucksvoller Beweis der Fruchtbarkeit einer territorialgeschichtlich orientierten Reformationsgeschichte. Nur an wenigen Stellen löst er allerdings den im Vorwort formulierten Anspruch ein, die Konfessionalisierungsthese zu präzisieren. Hier verknüpft sich die Stärke der territorialen Konzentration mit dem Defizit einer historiographischen Einordnung.