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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

810–813

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Winter, Bruce W.

Titel/Untertitel:

Roman Wives, Roman Widows. The Appear­ance of New Women and the Pauline Communities.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XVIII. 236 S. gr. 8°. Kart. US$ 27,00. ISBN 0-8028-4971-7.

Rezensent:

Oda Wischmeyer

Bruce W. Winter, Direktor des Institute of Early Christianity in the Greco-Roman World, Tyndale House, Cambridge, ist als Verfasser mehrerer Monographien und wichtiger Aufsätze zur sog. »Umwelt des Neuen Testaments« (vgl. dazu 10, Anm. 23) hervorgetreten. Seine Studie zu den »neuen Frauen« in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit verdient besonderes Interesse, mag auch die »Frauenfrage« für das frühkaiserzeitliche Rom schon oft verhandelt worden sein (vgl. die Bibliographie, in der allerdings wichtige deutschsprachige Titel fehlen wie z. B. die Monographie von G. Mayer: Die jüdische Frau in der hellenistisch-römischen Antike, Stuttgart 1987, der reichhaltige RAC-Artikel »Frau« von K. Thraede [RAC 8, 1972,19 7–269] und die Sozialgeschichte von E. W. und W. Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte. Die Anfänge im Judentum und die Christusgemeinden in der mediterranen Welt, Stuttgart 1995). W.s Studie verfolgt den Zweck, in das Phänomen der sog. »neuen Frau« einzuführen:

»Roman Wives, Roman Widows … aims to show that where the poets and other literary observers in the late Republic and early Empire, Augustus in his marriage legislation, the Stoic and the Neo-Pythagorean philosophical schools in their deliberations and the letters to the Pauline communities discuss the behaviour of a certain type of woman, they were all dealing with one and the same phenomenon. It was what some ancient historians have recently desig­nated the ›new woman‹ who was contrasted with the modest wife and widow. For ancient literary, legal, and non-literary sources it will be argued that the appearance of the ›new woman‹ can be identified.« (XI)

Diese historische Frage verbindet W. mit hermeneutischen Überlegungen, die die Notwendigkeit der Einbettung (Kontextualisierung) gerade ethischer neutestamentlicher Texte zur Frauenproblematik in die zeitgenössische Sozialgeschichte betonen.
Kapitel 1 (The Search for a Setting) führt in die Thematik und den Aufbau des Buches ein. W. findet in den paulinischen Gemeinden »reflections of aspects of Roman law which sought to regulate behaviour patterns«, um dem Phänomen der »neuen Frauen« zu be­gegnen (3). Dabei folgt er der Studie von E. Fantham, H. Peet Foley, N. Boymal Kampu, S. P. Pomeroy und A. H. Shapiro: The ›New Woman‹: Representation and Reality, in: Women in the Classical World, Oxford 1994 (Kapitel 10). W. möchte die bekannten Frauen der paulinischen Briefe: Lydia, Euodia, Syntyche, Phoebe, Junia, Priscilla und andere in das Spannungsgefüge der späten Republik bzw. der frühen Kaiserzeit stellen, in dem Frauen finanzielle Un­abhängigkeit erhielten und am öffentlichen Leben teilnehmen konnten (»civic posts … title of civic magistrates«, Einflussnahme auf »commercial, civic and provincial affairs«, 4), dadurch aber auch die herkömmliche gesellschaftliche Rolle der römischen Frau sprengten.
Teil I stellt wichtige römische Texte zur Rolle der »neuen Frau« im Zeitraum vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr. vor. Themen sind: The Appearance of New Wives (Kap. 2), New Legislation (Kap. 3) und Philosophical Responses (Kap. 4). W. betont, dass die new wives zu den wohlhabenden Frauen der späten Republik und der frühen Kaiserzeit gehörten und dass bestimmte Philosophen wie Musonius eine philosophische Erziehung auch der Töchter im Sinne der Kardinaltugenden forderten (66 ff.). Andererseits blieben bestimmte Tugenden wie die σωφροσύνη eher den Frauen vorbehalten (vgl. 35 eine Inschrift für Regilla, die Ehefrau des Herodes Atticus, 63, ein Text des Musonius). W. fasst daher zusammen:

»There has been a tendency to overlook the fact that in the early Empire, the Christian movement was not the only one that argued for a view of marriage and sexual morality where men and women operated with faithfulness and in­tegrity against what had become a significant, alternative lifestyle for women« (74). Wichtig für die Paulusbriefe ist der Hinweis auf die graduelle Angleichung der bekannten Unterschiede zwischen griechischen und römischen Frauen im Osten des imperium Romanum gerade in den römischen coloniae wie Korinth und Philippi (32 f.) und die dadurch entstehenden Spannungen.

Teil II gilt neutestamentlichen Texten. Kapitel 5 handelt von der Appear­ance of Unveiled Wives in 1 Corinthians 11:2-6, Kapitel 6 von dem Deciphering the Married Woman’s Appearance, 1 Timothy 2:9-15, Kapitel 7 von der Appearance of Young Widows, 1 Timothy 5: 11–15, und Kapitel 8 von der Appearance of Young Wives, Titus 2: 3–5. W. erklärt die genannten Texte sehr instruktiv im Rahmen des new wives-Phänomens und der Reaktionen auf die new wives. Zunächst zu 1Kor 11: Die Passage erschließt sich von V. 16 her: Streitsucht (φιλόνεικος εἶναι) statt σωφροσύνη ist ein Laster der »neuen Frauen«, die sich nicht den Konventionen und rechtlichen Verpflichtungen der römischen Ehegesetzgebung beugen wollen. W. betont, dass die Frauen, die absichtlich beim Beten und Prophezeien ihren Schleier herabhängen lassen, ein deutliches Zeichen geben wollen: »By deliberately removing her veil while playing a significant role of praying and prophesying in the activities of Chris­tian worship, the Christian wife was knowingly flouting the Roman legal convention that epitomised marriage.« (96) Die Argumentation des Paulus in V. 5 und 6 wird von hier aus verständlich. Wenn christliche verheiratete Frauen im gottesdienstlichen Rahmen bewusst ih­re Schleier zurückschlagen, benehmen sie sich wie ehebreche­rische verheiratete Frauen. Damit beschädigen sie den Ruf der ἐκκλησία in Korinth.
Auch 1Tim 2 erschließt W. überzeugend von dem Phänomen der »neuen Frau« her: »Traces of the mores of the ›new‹ woman in the city of Ephesus in the Roman period can be detected both in what this passage proscribes and what it prescribes.« (97) Dress codes, child-bearing, submissiveness and learning statt teaching and dominating sind die Stichworte, unter denen W. die Anweisungen des 1Tim im Kontext der Gefahren, die von dem lifestyle der new women ausgingen, plausibel macht: »Because in Roman law you were what you wore, the concerns in this new community of Christians were that the values of the ›new women‹ could intrude into the gather­ings in Christian homes, and hence the concern for preventative measures in 1 Timothy 2:9–15.« (122) W. versteht die Verbote also präventiv, d. h. er geht nicht von deutlichem Reichtum der christlichen Frauen aus, wohl aber von der Gefahr, dass sich die kleinasiatischen Stadtgemeinden in diese Richtung entwickeln könnten.
1Tim 5 gibt Anweisungen für christliche Witwen. W. verweist auf die statistischen Untersuchungen von J.-U. Krause (Witwen und Waisen im Römischen Reich, Stuttgart 1994), der mit 30 % Witwen bei Frauen über 40 Jahren rechnet, und von M. K. Hopkins (The Age of Roman Girls at Marriage, in: Population Studies 18.3, 1965, 309–327), der auf epigraphischer Basis für die Gruppe der 20 bis 24-jährigen Frauen mit 5 % Witwen rechnet, für die 25 bis 29-Jährigen schon mit 9 %. Um junge Witwen geht es in 1Tim 5,11–15. W. stellt die Gefahren dar, die die analogielose (mit Ausnahme von Judäa und den jüdischen Diasporagemeinden) Witwenversorgung durch die christliche Gemeindekasse von Ephesus haben konnte: »Young widows could afford to be idle at the expense of the Chris­tian community whose financial support also enabled them to be promis­cuous … The appearance of the young widows could have put in jeopardy the very existence of the Christian church in Ephesus, giving its enemy the opportunity to ›revile‹ us.« (139) Gerade die Überlegung zur Promiskuität bewegt sich wieder im Umkreis des lifestyle der new women. Dasselbe gilt für Tit 2. W. findet auch hier den »Sitz im Leben« im Umkreis der »neuen Frau«: »Terminology used in Titus to counter the situation in Crete fits well with what is known of the ›new‹ Roman women’s conduct with their lack of interest in the welfare of the household which Cretan women had to demonstrate their ability to run be­fore marrying.« (168)
Teil III ist der Appearance of Women in the Public Sphere (Kap. 9) gewidmet. W. beschreibt kurz die neuen Möglichkeiten der Frauen im Handel, bei Gericht und in der Politik (Woman Civic Patrons, Magistrates, and Gymnasiarch in the East). Besonderes Interesse widmet W. der Junia Theodora, the Federal Patron in Corinth (183– 191). Er diskutiert die Reichweite ihrer politischen Rolle differenziert (192–194), besteht aber zu Recht darauf, dass Junia Theodora bei der Frage nach der Rolle der Frauen im Gemeinwesen der frühen Kaiserzeit nicht übergangen werden darf.
Abschließend stellt W. die Frage nach Women in politeia and Women in the Church (193–204). W. beschränkt sich hier auf den Vergleich von Junia Theodora mit Phöbe und Junia, zwei Mitarbeiterinnen des Paulus. Er weist darauf hin, dass Paulus Röm 16,1 Phöbe als Patronin einführt (προστάτις) und erläutert: »un­like Junia it is not in a civic or federal capacity that she acts, or within a particular ethnic group. It is to many individuals among whom presumably are ›the saints‹, for we are told that she has been a patron of many and myself also … She may have been a host to many in her home as was Junia, and her sphere of influence was the church in Cench­reae in whose service she operated, possibly in her own home« (195). Die Relevanz der weiteren, zum Teil durch R. Bauck­hams »Gospel Women: Studies in the Named Women in the Gospels« (Grand Rapids 2002) angeregten Identifikationsversuche (Junia Theodora und Junia, Junia und Joanna) sei dahingestellt.

Dass wir nichts über den sozialen Status Junias wissen, macht jede Art des ernsthaften Vergleichs unmöglich. Trotzdem wird man dem Gesamtergebnis W.s zustimmen: »Christian women operated in a grey area, for the church met in the main reception room of homes, which was its public area. However, it is clear that women were not relegated to the private rooms in the house in the first century, any more their secular sisters were … Limited though the evi­dence may be for Christian women, the filtering down of the new roles for women enabled Christian women to contribute to a wider sphere of service« (204). W. macht deutlich, dass die sehr selbständige Tätigkeit einiger Frauen aus den paulinischen Gemeinden, vor allem der Phöbe und der Junia, im Rahmen der »neuen Frau« der frühen Kaiserzeit zu verstehen ist, dass gleichzeitig aber schon bei Paulus, sehr viel expliziter dann in den Pastoralbriefen, vor dem lifestyle der »neuen Frau« in den christlichen Gemeinden gewarnt wird, um die christlichen ἐκκλησίαι vor gesellschaftlichen Angriffen wegen Unsittlichkeit und Subversion zu schützen. Wie weit das Phänomen der »neuen Frauen« über einen ganz engen gesellschaftlichen Kreis hinausreichte, müsste allerdings vertieft diskutiert werden.

Ein Appendix enthält die Inschriften zu Junia Theodora und Claudia Metrodora (Text und Übersetzung). Die Bibliographie ist fast ausschließlich englischsprachig.
W.s kleine Monographie pflegt den eleganten angelsächsischen gelehrten Stil, der mit viel Quellenevidenz arbeitet, ohne Vollständigkeit anzustreben, und die Leser und Leserinnen mit leichter Hand und ohne Belehrungsabsichten auf neue Interpretationsmöglichkeiten hinweist, die vor allem die spätrepublikanische und frühkaiserzeitliche philosophisch-ethische Literatur und die epigraphischen Zeugnisse bereitstellen.