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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

799–801

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Taschner, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Mosereden im Deuteronomium. Eine kanonorientierte Untersuchung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XII, 402 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 59. Lw. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-149644-8.

Rezensent:

Karin Finsterbusch

Die anzuzeigende Monographie ist eine 2006 an der Kirchlichen Hochschule in Bethel angenommene Habilitationsschrift. Ihr Autor will, wie er in seiner Einleitung (1–25) deutlich macht, in synchroner Perspektive die Mosereden des Dtn in den Blick nehmen, und zwar unter der Fragestellung, »warum Mose ausgerechnet an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt der Geschichte Israels seine Reden hält« (25).
Das erste Kapitel ist überschrieben mit »Theoretische Grundlegung« (26–71). Hier finden sich u. a. Ausführungen zur kanonischen Schriftauslegung und zu Erzähltheorien. In diesem Zu­sam­men­hang umreißt T. auch genauer das Ziel seiner Arbeit: Er will »die besondere Erzählsituation im Deuteronomium gegenüber den übrigen Büchern der Tora« herausarbeiten und so »das Deuteronomium als Epochenschwellenbuch stärker profilieren und dadurch seinen Wiederholungscharakter deutlicher herausstellen« (70).
Das zweite Kapitel (»Ein Geschehen – zwei Versionen«, 72–261) enthält nach T. das Kernstück der Monographie, nämlich einen Vergleich der beiden differenten Geschichtsdarstellungen im Pentateuch unter historiographischen und erzähltheoretischen Ge­sichtspunkten. Das Kapitel umfasst sieben Unterkapitel (2.1. Argumentationsstrukturen im Deuteronomium, 2.2. Erzelternzeit, 2.3. Exodus, 2.4. Zur Epocheneinteilung in den Mosereden, 2.5. Die Neuorganisation des Rechtswesens, 2.6. Verpasste Landnahme: die Kundschaftergeschichte, 2.7. Der Sinai- bzw. Horebbund). T. kommt hier unter anderem zu folgenden Ergebnissen: Mose blicke aus seiner ganz eigenen Perspektive auf die Erzelternzeit zurück. Ohne die grundlegenden Verheißungen an die Erzeltern und ihre partielle Erfüllung zum Zeitpunkt der Reden wäre die gesamte Situation nicht denkbar, in die hinein Mose spreche. Die Mehrungsverheißung sei bereits erfüllt; das Volk stehe an der Grenze des den Erzvätern verheißenen Landes; der Moabbund werde explizit in eine Beziehung zu der Bundesverpflichtung gesetzt, die JHWH den »Vätern« zugeschworen hat (115). Der Exodus werde nicht noch einmal neu erzählt, sondern gerinne in der Perspektive des Mose im Dtn zur Erinnerungsfigur, denn in dieser Epoche sei etwas geschehen, das theologisch betrachtet den höchsten Rang beanspruchen könne: Mit dem Auszug aus Ägypten sei die Freiheit begründet worden, die Israel bewahren müsse, wolle es seinem Gott treu bleiben. Alle am Horeb und in Moab erlassenen Gesetze dienten der Bewahrung der Freiheit. Den engen Zusammenhang von Gebot und Freiheit verstärke Mose in seiner Rede, gleichzeitig stelle er den Exodus als Ereignis heraus, auf dem Israel trotz aller Abwege immer wieder neu aufbauen könne (136 f.). In Bezug auf die »Neuorganisation des Rechtswesens« gehe es in Ex 18,13–27 um die Entlastung des Mose mit dem Ziel, dass dieser zur Mittlerfigur zwischen JHWH und dem Volk werden könne, zu der er eigentlich berufen sei. Die Mosereden im Deuteronomium hingegen zielten darauf ab, dass Mose sich selbst als Person überflüssig mache; Dtn 1,9–18 sei der Anfang dieses Prozesses (189 f.). Die Kundschaftergeschichte gehöre als Höhepunkt der Wüstenrebellionen an den An­fang der Mosereden im Moabgebiet. In der dtn Version gehe es nicht darum, in komplexen Dialogen aufzuzeigen, wie die Fehlentscheidung zu Stande komme, sondern darum, dem Volk den Nachweis der Schuld der gesamten Generation zu erbringen, die nicht ins Land ziehen dürfe (209). In Bezug auf den Horeb beschreibe der »biblische Erzähler«, wie Mose, JHWH und Israel zu einer Neubestimmung ihres Verhältnisses kommen. Mose hingegen halte Israel das Horebereignis als den klassischen Sündenfall vor Augen, an dem es seine grundsätzliche Gefährdung erkennen könne und den es deshalb nie vergessen dürfe. Nach einem Durchgang durch Dtn 4,1–40 und 30,1–10 kommt T. zu dem Ergebnis, dass es in Bezug auf die Epochen Erzelternzeit, Exodus, Landnahme und Zeit im Land einen qualitativen Unterschied gebe: Nur der Exodus und die Erzelternzeit würden in diesen Texten zu Erinnerungs- und Argumentationsfiguren gerinnen. Die Einteilung in Epochen unterschiedlicher Qualität diene im Dtn dazu, »eine fein abgestimmte Theologie auszuformulieren, in der genau zwischen dem unterschieden wird, was Israel im Laufe seiner Geschichte durch schuldhaftes Handeln verspielen und was un­widerruflich von Jhwh zu jeder Zeit als verlässliche Grundlage eines Neuaufbaus dienen kann« (152).
Im dritten Kapitel (»Der Moabbund«, 262–336) fragt T. zunächst nach dem Verhältnis zwischen Moab- und Sinaibund. T. sieht hier folgende Analogien: »Wie im Horebbund geht es darum, dass Jhwh seine Verheißungen trotz der Abwege Israels hält und seinem Volk dennoch seine Gesetze und Weisungen gibt, nur dass an die Stelle des Gusses des Stierbildes nun die Kundschaftererzählung tritt. Im Rahmen des Horebbundes erhält Israel trotz seiner Abwege neue Tafeln, im Rahmen des Moabbundes empfängt es trotz seines mangelnden Vertrauens in der Kundschafterepisode im Auftrag Jhwhs die Gesetze, die Mose am Horeb empfangen hatte. Die Kundschaf­tergeschichte wird in Dtn 9,23 mit dem Guss des Stierbildes ausdrücklich parallelisiert. Das Verhältnis der beiden Bundesschlüsse ist demzufolge nicht durch einen Antagonismus bestimmt, sondern von einer Analogie, die nur den Schluss zulässt, dass Jhwh sich selbst und seinem Volk gegenüber treu bleibt« (291 f.). Der Moabbund wird nach T. im Rahmen der Verlesung der Tora während des Laubhüttenfestes alle sieben Jahre vergegenwärtigt (Dtn 31,9–13). Dabei werde das »wesentliche Moment der Wüstenerfahrung er­neuert: Die materielle Gleichstellung aller Mitglieder des Volkes und der Fremdlinge. Das ist die Grundbedingung, unter der Tora so gelernt werden kann, wie Israel damals von Mose die Tora lernte« (314). Ein Blick auf die Bücher Ri–2Reg unter besonderer Be­-rück­sichtigung der erzählten joschijanischen Reform schließt das Kapitel ab. Joschijas Reform lässt sich nach T. als eindringliche Warnung verstehen: »Wenn es jetzt nach dem Exil eine erneute Rückkehr ins Land geben wird, dann darf es nie wieder ein ›zu spät‹ geben, wie es für Josia bereits ›zu spät‹ war … Der grundsätzliche Unterschied zwischen dem josianischen Bund und der anschließenden Reform einerseits und der Interpretation des Exils als Rück­kehr in die Situation des Moabbundes andererseits ist nun mit Händen zu greifen: Das ganze Volk muss nach dem Generationen übergreifenden Schuldzusammenhang wieder in die ›Ur-Situation‹ des Moabbundes hineingestellt werden« (336). In einem knappen Schlussteil (»Zusammenfassung und Ausblick«, 337–339) reflektiert T. einige Aspekte seiner Arbeit: Mose treffe eine Auswahl aus den Ereignissen, von denen der biblische Erzähler in Gen–Num berichte. Damit teile er der neuen Generation Israels aus der Zeit der Eltern noch einmal mit, was sie brauche, um die Möglichkeit zu nutzen, die die Eltern bei dem ersten Landnahmeversuch verspielten. Dabei würden sich die Akzente verschieben, die Geschehnisse gerieten in einen argumentativ-theologischen Zusammenhang. Das Deuteronomium sei nicht mehr und nicht weniger als eine ›Lehrstunde der Geschichtsdidaktik‹ (339).
Die Arbeit enthält ganz ohne Zweifel eine Reihe interessanter Beobachtungen (insbesondere im zweiten Kapitel bei den Analysen der dtn Texte im Vergleich mit den Parallelversionen in den vorausgehenden Pentateuchbüchern). Seinem Thema »Die Mosereden im Deuteronomium« wird T. jedoch nicht gerecht. Das Hauptproblem der Arbeit ist, dass die Funktion der analysierten »Geschehnisse« im Dtn nicht unter (weitgehender) Absehung von der zentralen Aufgabe des dtn Mose zu verstehen ist, nämlich Israel das dtn Gesetz zu promulgieren. Vielleicht wäre eine gründlichere Auseinandersetzung mit der Literatur hier zielführend gewesen (z. B. fehlt im Literaturverzeichnis der wichtige Aufsatz von E. Talstra, Deuteron­omy 9 and 10. Synchronic and Diachronic Observations, 1995).
Im Rahmen dieser Rezension kann nur auf einen Punkt noch etwas näher eingegangen werden: Mehr als problematisch ist T.s Bestimmung des dtn Torabegriffs. Dtn 1,5 versteht er mit Braulik/ Lohfink in dem Sinn, dass Mose ab 1,6 anfängt, der dtn Tora Rechtskraft zu verleihen. T. fährt jedoch fort: »Insofern ist Dtn 1,5 für das Verständnis aller folgenden Mosereden von fundamentaler Bedeutung: Sie sind samt ihren Geschichtsrückblicken und ihren Gesetzestexten ›Tora‹« (79). Der Beginn der dtn Tora in 1,6 wird gegen Braulik/Lohfink (und gegen die deutliche Mehrheit der Exegeten und Exegetinnen) einfach behauptet (und entsprechend ist T.s Sichtweise von Dtn 1). Ebenso behauptet wird, dass Dtn 29 f. als Teil der Tora bei dem in 31,9–13 vorgeschriebenen Lernritual mit verlesen werde (284 ff.). Doch dagegen sprechen gewichtige Gründe (diesbezüglich besteht kaum zufällig Konsens zwischen Braulik/ Lohfink, Sonnet, Finsterbusch u. a.). Die dtn Tora ist ein spezifischer Text, er soll alle sieben Jahre gelesen und (auswendig) gelernt werden; der Bund in Moab hingegen wird im Zuge eines performativen Sprechaktes auf der Grundlage der Tora geschlossen. Damit soll aber Israel – dies gegen T. – keinesfalls alle sieben Jahre in die »Ur-Situation des Moabbundes hineingestellt werden«. Es geht im Dtn auch nicht zentral um »Geschichtsdidaktik«, sondern es geht darum, dass Mose u. a. mit gezielten Verweisen auf die Geschichte Israel »heute« überzeugen will, im Land nach den dtn Gesetzen zu leben (wie auch immer man sie in der kanonischen Perspektive, der sich T. in seiner Arbeit ja ausdrücklich verpflichtet fühlt, verstehen mag: ob mit Otto als ausgelegte Sinaigesetzgebung oder mit Lohfink als autoritative Zusammenfassung bisheriger Gesetzgebung).