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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

796–799

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmid, Konrad

Titel/Untertitel:

Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008. 272 S. gr. 8°. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-534-16521-6.

Rezensent:

Otto Kaiser

In diesem Band zieht der Zürcher Alttestamentler Konrad Schmid eine Bilanz des gegenwärtigen Standes der Erforschung des Alten Testaments mittels einer Literaturgeschichte, wie sie im deutschen Sprachraum zuletzt Johannes Hempel 1930 vorgelegt hatte. Eine solche unterscheidet sich von der klassischen »Einleitung in das Alte Testament« dadurch, dass sie sich grundsätzlich von der ihren Aufbau bestimmenden Orientierung an der Abfolge der biblischen Bücher löst und stattdessen ihre Vorgeschichte und Entstehung im Zusammenhang mit den politischen und religiösen Epochen, den politischen und kulturellen Einflüssen der Umwelt und den ar­chäo­logischen Zeugnissen des Landes bedenkt. Dabei bildet das Einsetzen einer eigentlichen Schriftkultur in den Königreichen von Israel und Juda im 9. bzw. 8. Jh. v. Chr. eine Grenze, über die zurück nur noch Rückschlüsse auf Grund der überwiegend jüngeren Texte unter dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit möglich sind. Da der Forscher auf den mehrdeutigen Befund der überlieferten biblischen Bücher als Ausgangsbasis angewiesen ist, besitzen seine Rekonstruktionen grundsätzlich einen hypothetischen Charakter und unterliegen dem Urteil der Angemessenheit gegenüber den Befunden und der Kongruenz untereinander wie der Kompatibilität mit den in un­terschiedlicher Weise zur Verfügung stehenden außerbiblischen Quellen. Und weil der Vorgang des Verstehens prinzipiell unabgeschlossen ist, befindet sich auch die Hypothesenbildung in einem fortgesetzten Fluss. Angesichts der Verunsicherung, welche die Auflösung des konformistischen Verständnisses der biblischen Bücher und der Geschichte Israels seit dem letzten Drittel des 20. Jh.s erfahren hat, kann ein Entwurf, wie ihn S. im Gespräch vor allem mit seinen Generationsgenossen vorgelegt hat, beruhigend wirken, weil er zeigt, dass sich bei allen Differenzen im Einzelnen ein redaktionsgeschichtlicher und also auch literaturgeschichtlicher Konsens im Ganzen abzeichnet.
Es kann daher nicht die Aufgabe des Rezensenten sein, zustimmend oder ablehnend zu den einzelnen von S. gefällten Urteilen Stellung zu nehmen. Er wird sich angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes darauf beschränken, einen Überblick über den Aufbau des Werkes zu geben, das in die acht Abschnitte A bis H gegliedert ist, und besonders die neuen Gesichtspunkte hervorheben, die den Charakter des Buches bestimmen. Der erste Abschnitt (A) stellt auf einer bewundernswerten Reflexionshöhe »Aufgabe, Geschichte und Probleme einer alttestamentlichen Literaturgeschichte« vor (15–58). Am Ende des Abschnittes A I (15–41), der sich der Frage nach ihrer Notwendigkeit stellt, stehen fünf Einsichten, die ebenso die herrschende Tendenz der gegenwärtigen alttestamentlichen Forschung wie die der folgenden Darstellung bestimmen: 1. lässt sich die Annahme der heilsgeschichtlichen Prägung der Religion Israels als ihr von Anfang an eigen nicht mehr auf­recht­erhalten. Die sie stützende Hypothese vom hohen Alter des Jahwistischen Geschichtswerkes ist durch neuere Arbeiten nach­drück­lich in Frage gestellt. 2. sind Interpretationen, die im Schatten der deuteronomistischen Theologie von einer grundsätzlichen Konkordanz zwischen den Epochen des biblischen und des historischen Israel ausgehen, kritisch zu hinterfragen. 3. ist davon auszugehen, dass zwischen der bzw. den königszeitlichen Religionen Israels (wenn man zwischen der Israels und Judas unterscheidet) und denen der Nachbarvölker eine gewisse Nähe bestanden hat. 4.wird die Bedeutung der exilischen und nachexilischen Zeit für die Formierung der alttestamentlichen Literatur gegenüber der vorexilischen im Gegensatz zur traditionellen Sichtweise deutlich aufgewertet und 5. ist die Zeit, in der man religiösen Genies die Hauptrolle bei der Entstehung der alttestamentlichen Literatur zu­schrieb, vorbei; denn es handelt sich bei ihr weithin um schrift­gelehrte Auslegungsliteratur (41).
Das Neue im Abschnitt A II, der über Sprache, Schrift, Buchwesen und Literaturproduktion im antiken Israel handelt, besteht in der Aufnahme der literatursoziologischen Aspekte (41–51). Sie führen zu der Einsicht, dass der Jerusalemer Tempel eine besondere Rolle bei der Herstellung der Literatur gespielt hat und in ihm die Musterexemplare der Buchrollen hergestellt und in bearbeiteten Abschriften bewahrt wurden (47). Das Publikum dieser Literatur war hauptsächlich ein Auditorium, die Schüler und Leser memorierten die Schriften und die Bearbeiter stützten sich dabei auf ihr Gedächtnis, wodurch sich die fallweise vorliegende Interkontextualität der von ihnen redigierten und fortgeschriebenen Texte erklärt (49). Diesen Befund verschleiert das Alte Testament im Interesse seines Altersbeweises, indem es unterstellt, dass z. B. die Bücher der Propheten die Verschriftung ihrer mündlich vorgetragenen Worte seien (50). Damit ist der Leser auf den Abschnitt A III vorbereitet, der das Programm für die Periodisierung und die nötigen Vorüberlegungen zur Abgrenzung der Überlieferungsbereiche und der horizontalen und vertikalen Verknüpfungen der Texte vorstellt: Redaktion wird sich dabei als innerbiblische Rezeption erweisen. Dabei bringt es die Eigenart der biblischen Texte mit sich, dass sie sich nicht in allen Fällen sicher datieren lassen und in ähnlicher Weise ihr Verhältnis zur mündlichen Tradition weithin offen bleiben muss (57–58).
Auf dem Hintergrund dieser Einsichten und Methoden gelingt es S., ein in sich schlüssiges, wenn auch manche Fragen offen lassendes Bild der Geschichte der alttestamentlichen Literatur in den sechs Abschnitten B bis G zu entwerfen. Sie folgen der natürlichen Periodisierung der Geschichte wie der Literaturgeschichte Israels und tragen entsprechend die folgenden Titel: B »Die Anfänge der altisraelitischen Literatur im Rahmen der syrisch-palästinischen Kleinstaatenwelt bis zum Aufkommen der Assyrer (10.–8. Jh. v. Chr.)« (59–72); C »Die Literatur der Assyrerzeit (8./7. Jh. v. Chr.)« (73–108); D »Die Literatur der babylonischen Zeit« (109–139); E »Die Literatur der Perserzeit« (141–176), F »Die Literatur der Ptolemäerzeit« (3. Jh. v. Chr.) (177–200) und G »Die Literatur der Seleukidenzeit (2. Jh. v. Chr.)« (201–211). Das Kapitel H »Schriftwerdung und Ka­nonsbildung« (212–221) rundet das Werk sachlich ab, während das umfangreiche Literaturverzeichnis (223–261) mit rund 950 Titeln ebenso die Kenntnisse von S. bezeugt wie dem Interessierten eine gründliche Meinungsbildung ermöglicht. Entsprechend zahlreich sind die Namen des »Autorenregisters« (269–272).
Wer die Geduld aufbringt, das ganze Buch in Ruhe zu lesen, erhält ein in sich geschlossenes Bild der Literaturgeschichte in gegenwärtiger Sicht und ihrer noch offenen Probleme. Er wird jedenfalls im Gedächtnis behalten, dass die Anfänge der kultischen, weisheitlichen und geschichtlichen schriftlichen Überlieferungen im Nordreich im 9. und im Südreich im 8. Jh. liegen und dass ihre Verschriftung einen mächtigen Aufschwung in der Assyrerzeit mit ihrer kulturellen Blüte in der langen Regierungszeit des Königs Manasse erfahren hat. In dieser Epoche liegen die Anfänge der schriftlichen Prophetenüberlieferung (Hosea, Amos, Jesaja und Micha) und der Rekonstruktion der Vergangenheit in Gestalt der schriftlichen Fixierung geschichtlicher Überlieferungen aus Israels Vor- und Frühzeit. In der Endphase der assyrischen Epoche ist vor allem das Konzept vom Bund Jahwes mit Israel verwurzelt: Die Forderung, Jahwe allein zu dienen, weil er mit dem Israel aller Zeiten am Sinai und am Vorabend der Landnahme einen Bund geschlossen und dabei Israel auf den Gehorsam gegen seine Weisung, seine Tora verpflichtet hat, bildet fortan die Basis der jüdischen Religion.

Als Gegenentwurf zu der Abhängigkeit von den assyrischen Großkönigen mit ihren Vasallenverträgen entstanden, sollte dieses Konzept unmittelbar oder mittelbar die weitere Entwicklung der biblischen Literatur bestimmen. Nachdem es die Deuteronomisten mit der Deutung des Exilsgeschicks gemäß dem Schema von Schuld und Verlust des Heils, Gehorsam und künftiger Erlösung verbunden hatten, erwies es sich als so kräftig, dass es die ganze geschichtliche, legislative und prophetische Literatur überformte und auch in die Psalmensammlungen Eingang fand. Die Bearbeitungen der Tora, in der sich eine pries­terliche Präsenztheologie mit einer dtr Eschatologie verbindet, zeugen von dem Bestreben, dem heiligen Gott ein sich heiligendes Volk an die Seite zu stellen. Behalten wir im Gedächtnis, dass die Spruch- und Schulweisheit (die nie »gottlos« war) in der Perserzeit nachhaltig theologisiert wurde und sich mit ihrem Bestehen auf dem Zusammenhang zwischen menschlicher Tat und göttlicher gestifteter Folge theologisch mit der dtn-dtr Geschichts- und Bundestheologie als kompatibel erwies, steht das Alte Testament als ein zwar spannungsreiches, aber trotzdem in seiner Botschaft Ganzes vor unseren Augen. Konzepte, die wie das priesterliche, das des Haggai- und des ursprünglichen Sacharjabüchleins samt den ursprünglichen Danielerzählungen das Leben unter den Perserkönigen als heilvoll betrachten, treten beim Blick auf das Ganze in den Schatten der Erwartung auf die Israel das volle Heil bringende Weltenwende, wie sie unter dem Einfluss der dtr Theologie auch die Physiognomie der Prophetenbücher bestimmt. Das Ringen um die Gültigkeit der Gleichung von Gerechtigkeit und Leben in einer Reihe von Weisheitspsalmen, im Hiob- und im Koheletbuch bezeugen den angefochtenen Glauben, der in der Weisheit des Jesus Sirach ein letztes Mal im traditionellen Horizont der immanenten Gerechtigkeit Gottes zur Ruhe kommt. Sämtliche 24 Bücher, welche die jüdische Sammlung der heiligen Schriften bilden, sind anonym oder pseudonym. Das erste Buch, das den Namen seines tatsächlichen Autors im Prolog und Epilog trägt, ist das um 180 v. Chr. entstandene des Jesus Sirach, das wegen seiner offensichtlich späten Entstehung nicht mehr in die Sammlung der hebräischen Heiligen Schriften Eingang gefunden hat. Erst in hellenistischer Zeit setzte sich die Vorstellung von dem jeweils einen Buchautor durch, so dass der Chronist oder die Chronisten jeden ihrer geschichtlichen Abschnitte mit einer bestimmten Prophetengestalt verbanden, um so die Inspiration der Quellen ihres ganzen Buches zu unterstellen. Den weitergehenden Gedanken, dass alle biblischen Schriften Alten Testaments vom Geist Gottes inspiriert sind, haben erst Philo Alexandrinus und Flavius Josephus der Nachwelt eingeprägt.