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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

794–796

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Konkel, Michael

Titel/Untertitel:

Sünde und Vergebung. Eine Rekonstruktion der Redaktionsgeschichte der hinteren Sinaiperikope (Exodus 32–34) vor dem Hintergrund aktueller Pentateuchmodelle.

Verlag:

Tü­bingen: Mohr Siebeck 2008. XIII, 340 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 58. Lw. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-149425-3.

Rezensent:

Wolfgang Oswald

Der Arbeit liegt die Habilitationsschrift Konkels zu Grunde, die 2006 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn angenommen wurde. Die Anordnung der Kapitel folgt den exegetischen Arbeitsschritten: Forschungsgeschichte – Textkritik – Synchrone Analyse – Literarkritik – Tradition und Redaktion – Re­daktion und Komposition, wobei alle außer dem ersten und dem letzten jeweils in drei Teile (Ex 32, Ex 33, Ex 34) unterteilt sind. Schlussthesen, Präsentation der Textschichten, Literaturverzeichnis, Stellen- und Sachregister beschließen den Band.
Schon in der Einleitung trifft K. die Feststellung, dass »an die Stelle der trügerischen Sicherheit des Wellhausen-Modells eine Vielzahl verschiedener Pentateuchmodelle getreten [ist], welche sämtlich einen Absolutheitsanspruch erheben und somit nicht mit­einander vermittelbar sind« (3). Der anschließende For­schungs­überblick be­stätigt die Eingangsdiagnose, denn alle vorgestellten Lösungsvorschläge für die schwierigen Kapitel unterscheiden sich gravierend voneinander, restlos überzeugend sei jedoch keiner. K. zieht daraus die Konsequenz: »Es wird somit kein Pentateuchmodell als gültig vorausgesetzt« (9). Ganz ohne Voraussetzungen geht es aber nicht, denn an die Stelle eines historischen Textmodells rückt nun ein be­stimmtes Modell der Geschichte Israels, denn »fällt Ex 32–34* als Bestandteil eines vorexilischen Geschichtswerks, dann fällt dieses als Ganzes« (8). Und tatsächlich macht der Nachweis von vorexilisch zu datierenden Erzählungsschichten einen erheblichen Teil der Ar­beit aus. – Die älteste Schicht erkennt K. in der Kalbserzählung, und zwar noch ohne Josua, ohne das Tafelmotiv, ohne den Akklamationsruf und ohne den Dialog von Jhwh und Mose auf dem Berg, dafür mit der Zerstörung des Kalbs (32,20) und mit der Sündenvergebung im Anschluss (32,30–35a ohne den Boten Jhwhs 34c). Die Erzählung schließe mit dem Vers 33,7, dem Anfang des Abschnittes über das »auswärtige Zelt« 33,7–11. Der Zusam­menhang zwischen der Kalbserzählung und dem auswärtigen Zelt ist ja nun keineswegs offensichtlich und deshalb spaltet K. den Abschnitt 33,7–11 in drei Schichten auf, deren älteste nur 33,7 umfasst und den Schluss der Kalbserzählung gebildet habe (118–121). Freilich ist der Anschluss syntaktisch schwierig, da in 33,7 iterativ gebrauchte yiqtol-Formen vorliegen und keine Narrative. Dieses Problem versucht K. durch die Übersetzung »Mose aber nahm fortan ein bestimmtes Zelt …« zu lösen.
Diese Rekonstruktion ist für den plausibel, der die vielen literarkritischen Entscheidungen teilt und der das von K. selbst eingeforderte Kriterium »eines lückenlosen und erzähltechnisch plausiblen Textzusammenhangs« (27) hier erfüllt sieht. Das literargeschicht­liche Alternativmodell, mit dem sich K. auseinandersetzt, wurde von Gunneweg (ZAW 102, 169–180) erstmals vorgeschlagen und versteht Ex 33,7–11 als kompositionsgeschichtlichen Spätling, weil das auswärtige Zelt völlig unvermittelt und erzähltechnisch gerade nicht eingebunden auftaucht.
Insbesondere im Kapitel »Tradition und Redaktion« unternimmt K. eine Vielzahl von terminologischen und motivlichen Vergleichen mit anderen Texten, die seine These von der vordeuteronomischen Abkunft der Kalbserzählung stützen sollen. So zieht er etwa zur Klärung des Ausdrucks »große Sünde« (Ex 32,30) den Vers 2Kön 17,21 heran und erklärt diesen 1. zum ältesten Be­stand von 2Kön 17, meint 2., der Vers stehe in der dtr Literatur isoliert da, und kommt daher 3. zu dem Schluss: »2Kön 17,21 dürfte somit vordtr Sprachgebrauch aufgreifen« (140). Diese Argumentation zeigt in aller Deutlichkeit die Problematik, der sich kein Exeget und keine Exegetin entziehen kann: Eine literargeschichtliche Verortung von Texten erfordert eine Vielzahl von interpretativen Entscheidungen, die allesamt Einschätzungen, Wertungen und Wahrscheinlichkeitsabwägungen beinhalten. Jede diese Entscheidungen kann man auch anders treffen, und dies führt im Endeffekt zu den vielfältigen literarhistorischen Rekonstruktionen.
Abhilfe könnte schaffen, wenn über die ereignis- und geistesgeschichtlichen Rahmenbedingungen der Textproduktion mehr Klarheit bestünde. K. unternimmt daher den Versuch, seine »vordeuteronomische Komposition als Reflexion des dritten Feldzugs Sanheribs« (279) verständlich zu machen. Danach hätten die Zeitgenossen die Zerstörung Judas und Unterwerfung Hiskias lange vor dem Untergang des Südreichs als Gericht verstanden, das in Gestalt einer beide, Israel und Juda, umfassenden Geschichte von Schuld und Vergebung reflektiert wurde. Die spätere dtr Ge­schichtsschreibung hätte diese Darstellung wieder verdrängt und die Zerstörung Jerusalems 587 zum geschichtstheologischen Anker gemacht (279–282). K. lässt freilich die Frage offen, warum die Judäer auf den Feldzug Sanheribs ausgerechnet mit einer Kalbserzählung reagiert haben. Die Brücke vom einen zum andern schlägt er mit Hilfe der sehr allgemein bleibenden Kategorie »Schuldgeschichte«. Eine Abhängigkeit der Grundschicht der Kalbserzählung von 1Kön 12 verneint er (143). Heißt das, dass die Kalbserzählung nichts mit Bethel zu tun hat?
Abschließend noch zum zweiten neuralgischen Punkt in Ex 32–34, der Gebotsreihe 34,11–26, deren Einordnung in die Religionsgeschichte Israels zum Umstrittensten in der alttestamentlichen Wissenschaft gehört: K. schlägt hier eine vermittelnde Lösung vor, indem er sie als Teil einer deuteronomischen Komposition aus der Zeit Josias versteht (283–285). Dazu ist freilich eine kleinteilige Literarkritik ebenso nötig wie eine kleinste terminologische Differenzen auswertende Traditionskritik (187–232). K. scheidet etwa die Fremdvölkerliste 34,11 aus und bezieht das Bündnisverbot 34,12 auf die Weigerung Josias, assyrischer Vasall zu bleiben und ägyptischer Vasall zu werden (283). Der Rezensent kann nicht verhehlen, dass ihn die Methodik hier und an anderer Stelle nicht überzeugt. K. listet eine Vielzahl minimaler Abweichungen etwa von Dtn 7 auf, um die literarkritisch isolierten Sätze entweder einer deuteronomischen oder einer nachdeuteronomistischen Schicht zuzuweisen. Das ganze Verfahren zielt denn auch auf den Nachweis, dass in Ex 32–34 nichts Deuteronomistisches zu finden sei (304), es überschätzt aber sowohl die Möglichkeiten der Literarkritik als auch die Differenzierungsleistung des terminologischen Vergleichs.
Es sei betont, dass die Arbeit stringent ist und für diejenigen, die Methodik und Rekonstruktion der religionsgeschichtlichen Rahmenbedingungen akzeptieren, auch weiterführende Resultate liefert. Der Rezensent allerdings teilt diese Voraussetzungen nicht und kann damit auch K.s Schlussthese nicht zustimmen, die einen »provokative[n] Satz« von E. Otto aufgreift, wonach es keine »deuteronomistische Bearbeitungsschicht« in der Sinaiperikope gebe (304). Vielmehr ist er gerade auch nach der Lektüre dieses Buches vom Gegenteil überzeugt. Wer eine Provokation bestätigen will, erwartet sicher keine ungeteilte Zustimmung. Die Pentateuchkritik ist von einem Konsens weiter entfernt denn je.