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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

788–789

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Thomas M. u. Parker Michael G. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion in der pluralistischen Öffentlichkeit.

Verlag:

Würzburg: Echter 2008. 187 S. gr. 8° = Religion in der Moderne, 13. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-429-02688-2.

Rezensent:

Edmund Arens

Der aus einer Tagung am Frankfurter Institut für Religionsphilosophische Forschung (IRF) hervorgegangene Band beleuchtet die seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 vieldiskutierte Frage nach der politischen Rolle der Religion in der pluralistischen Öffentlichkeit moderner säkularer bzw. postsäkularer Gesellschaften. Dabei kommen vor allem deutsche und amerikanische Positionen und Perspektiven zu Wort.
Einleitend unterstreicht Th. Schmidt den »unhintergehbar in­terdisziplinären Charakter der Frage nach dem angemessenen Ort der Religion in der pluralistischen Öffentlichkeit« (20). F.-X. Kaufmann skizziert gegenüber problematischen funktionalistischen Definitionen einerseits und substantialistischen andererseits einen religionstheoretischen Ansatz, der aus wissenssoziologischer Perspektive »die Multiperspektivität unserer Existenz ernst nimmt« (21) und die Funktion der Religion darin sieht, Vermittlung zwischen Individuum und Ganzheit der Welt zu stiften. L. Honnefelder thematisiert die veränderte Rolle der Religion unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Moderne am Verhältnis von Ethik und Religion, zumal angesichts der an der Biotechnologie veranschaulichten Neuartigkeit der Handlungsmöglichkeiten und Herausforderungen. K. Greenawalt fragt nach der Universalität der politischen Theorie und erörtert mit Blick auf die USA, ob und in welchem Umfang Bürger bei politischen Entscheidungen auf ihre religiösen Überzeugungen zurückgreifen dürfen. In Auseinandersetzung mit Rawls legt er dar, dass die politische Philosophie nur eingeschränkt universal argumentiere, religiöse Bürger auch im politischen Diskurs nicht auf ihre religiösen Überzeugungen verzichten müssten, sich Amtsträger dabei allerdings eine Selbstbeschränkung auferlegen sollten. N. Wolterstorff wiederholt seine bekannte Kritik des politischen Liberalismus, der ein falsches Bild der realen Demokratie zeichne, welche nicht durch ein einziges Prinzip »öffentlicher Vernunft« konstituiert werde, sondern auf fairen Verfahren und Mehrheitsentscheidungen beruhe. Auch Th. Schmidt setzt sich mit Rawls auseinander, wobei er dessen zweideutige Beantwortung der Frage nach der Genese eines vernünftigen Pluralismus aufzeigt und Rawls’ Trennung zwischen der öffentlichen Identität des Bürgers und der privaten, an Konzeptionen des Guten ausgerichteten Identität des Individuums als willkürlich markiert. Einen beachtlichen Beitrag steuert Paul J. Weithman mit einem Text zur Ethik und zum Charakter der citizenship bei. Darin untersucht er am Beispiel der amerikanischen Demokratie die Bedingungen vollständiger Mitgliedschaft, für die es keine singuläre Sorte, sondern viele Arten von Gründen einschließlich religiöser gebe. Gerade die Zulassung einer Vielfalt von Gründen befruchte die politische Deliberation, wobei als Minimalbedingung gelte: »good citizenship in a liberal democracy is inconsistent with the attempt to deny any legal citizens full membership in their society« (124 f.). Zwei Artikel widmen sich dem Thema der Toleranz. J. Bohman votiert gegenüber einer liberalen für eine deliberative Toleranz, welche inklusiv sei und Kommunikation mit religiösen Bürgern einschließe. R. Forst präsentiert Toleranz, bei der er eine Zurückweisungs-, eine Akzeptanz- sowie eine Ablehnungskomponente unterscheidet, als Tugend der Gerechtigkeit. Die beiden letzten Beiträge fallen etwas aus dem Rahmen, da es in ihnen nicht um Öffentlichkeit, sondern um die Rationalität religiöser Wahrheitsansprüche geht. Th. Rentsch tritt für eine religiöse Vernunft ein und sucht die religiösen Wahrheitsansprüche in pointierter Abwehr reduktionistischer Auffassungen als irreduzibel aufzuzeigen. L. Nagl problematisiert die weitreichenden An­sprüche von Rentsch und kritisiert mit Kant, Peirce und James dessen emphatisch-metaphysische Beerbung der Metaphysikkritik.
Der lesenswerte Band bietet eine differenzierte interdisziplinäre Argumentation für die Berücksichtigung und Bedeutung von Religion in der Öffentlichkeit. Zu den Autoren hätte man sich kurze biographische Angaben gewünscht. Leider wird nicht vermerkt, wann die Konferenz des IRF stattgefunden hat. Weithmans wichtiges, 2002 erschienenes Werk »Religion and the Obligation of Citizenship« wird auf S. 117 als «forthcoming« vermerkt. Dass ein englischsprachiger Text des Frankfurter Philosophen R. Forst abgedruckt wird, ist wohl nicht der Weisheit letzter Schluss. Dass in einem Band, der die Rolle, Relevanz und Problematik der Religion in der Öffentlichkeit bedenkt, der zudem die Interdisziplinarität, Inklusion sowie Partizipation preist und dabei soziologische, politologische und (religions-)philosophische Reflexionen einbezieht, ausgerechnet die Disziplin der Selbstreflexion von an Religion Beteiligten, also die Theologie, ausgeklammert bleibt, ist eine Ironie dieses anregenden Buches.