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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

755–756

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kurz, Alex

Titel/Untertitel:

Zeitgemäß Kirche denken. Analysen und Reflexionen zu einer postmodernen kirchlichen Erwachsenenbildung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 296 S. m. Abb. gr.8° = Praktische Theologie heute, 86. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-17-019877-7.

Rezensent:

Godwin Lämmermann

Die Arbeit des Schweizer Pfarrers A. Kurz will Prolegomena zu einer postmodernen Erneuerung der als destabilisiert zu beschreibenden Kirche bieten, die als diskursiver Lehr-Lernprozess zu realisieren wäre. Dazu rezipiert er die üblichen Verdächtigen der Konstruktivismus- und Postmodernediskussion (Foucault, Lyotard, Derrida, Sloterdijk, Bauman, Watzlawick) sowie des Funktionalismus (Lévi-Strauss, aber auch Freud), um seine »Idee einer Kirche als Projekt« zu entwickeln, die sich als dynamischer Anbieter von »postmoderner Spiritualität« auf dem Markt galoppierender Mehrdeutigkeiten positionieren soll. Voraussetzung dafür sei eine genaue Analyse der individualisierten Sinnbedürfnisse der Menschen, weil sich dieser »Markt in den Industrienationen von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt gewandelt« (53) habe, in dem das Prinzip der Verfügbarkeit herrscht. »Dieser Sachverhalt ruft nach einer christlichen Theologie respektive Spiritualität der Unverfügbarkeit« (72), lautet die Gegenthese von K.
Kirche müsse »lernen, ihr Zeugnis von der unverfügbaren Liebe Gottes in Jesus Christus in Aufnahme und unter Verwendung des Markt-Sprachspiels neu zu formulieren, wenn ihre Botschaft in der Postmoderne verstanden werden soll« (119). Wenn Kirche sich der »conditio postmoderna« entsprechend gestalten und »Impulse für die eigene Sinnproduktion« (171) von Gläubigen inszenieren will, dann müsste allerdings ein volkskirchlicher Anspruch mit seinem »christlich-kirchlichen Korsett« (178) aufgegeben werden. Auch die Theologie müsse sich postmodernisieren, weil die »Zeit für die Weiterführung der klassischen und modernen Theologie zu Ende ist« (200). An die Stelle klassischer Exegese müsse bei Theo­logen und Laien die Dekonstruktion und Rekonstruktion biblischer sowie dogmatischer Texte und kirchengeschichtlicher Daten treten.
Zur Förderung der Laienkompetenzen schlägt K. deshalb vor, dass die kirchliche Erwachsenbildung sich Einsichten der konstruktivistischen Pädagogik zu eigen macht; dabei empfiehlt er das dialogische Prinzip M. Bubers als kritisch-konstruktives Korrektiv. Diesbezüglich entwickelt K. ansatzweise Konturen einer »konstruktivis­tischen Erwachsenenpädagogik« (225) und einer »postmodernen Religionspädagogik« (156), deren Aufgabe darin bestehen soll, durch De- und Rekonstruktion theologische Wahrheiten mit individueller Lebens- und Glaubensgeschichte zu vermitteln. »Solche Prozesse erfordern Kirchen, die sie zu fördern bereit sind« (260). So schließt der Band mit der Skizze einer »Projektkirche«: Gemeint ist damit die Kirche als temporäre Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die sich freiwillig und längerfristig zu einer »Projektgruppe« zusammenschließen: »Ihre diachrone Einbindung durch die Idee einer kirchlichen Patronisierung sowie die zeitliche Befristung schaffen Möglichkeiten des Kontakts, … ohne dass das bloßes Programm einer kirchlichen Mitgliederwerbung würde« (276).
Wie gesagt, die Veröffentlichung will Prologomena bieten: doch wozu eigentlich? K. verknüpft zwei praktisch-theologische Stränge, ohne sie wirklich zu verbinden: ein Programm zum Gemeindeaufbau und eines zur kirchlichen Erwachsenenbildung. Was Letzteres betrifft, verwundert es ein wenig, dass K. zwar auf die konstruktivis­tische Pädagogik verweist, aber die entsprechende konstruktivis­tische Didaktik ignoriert: Hier wäre eine konkrete und praktische Zuspitzung seines Programms möglich gewesen. Und hinsichtlich seines Konzepts zum Gemeindeaufbau wäre eine etwas ausführlichere kritische Würdigung der diesbezüglichen sehr kontroversen Dis­kussion hilfreich gewesen. Erstaunlich – aber vielleicht der spezifisch schweizerischen Perspektive geschuldet – ist es zudem, dass angesichts des Zentralbegriffs »Erneuerung« nicht die Diskussion um »Bildung als Erneuerung« (K. E. Nipkow u. a.) wenigstens angesprochen wurde. Insgesamt vermisst man die klare gedankliche und konzeptionelle Linie. Gleichwohl finden sich in diesem Band durchaus zahlreiche Anregungen zur weiteren religionspädagogischen Debatte und zu einer teilnehmerorientierten kirchlichen Praxis.