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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

753–755

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klessmann, Michael, u. Kerstin Lammer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Kreuz mit dem Beruf. Supervision in Kirche und Diakonie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2007. 226 S. 8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-7887-2219-7.

Rezensent:

Jörg Augenstein

»Das Kreuz mit dem Beruf«, im Titel dieses Werkes meint man einen Stoßseufzer zu hören, den man von so manchen kirchlichen Mitarbeitenden zu kennen glaubt. Doch dieser Anfangsverdacht greift in zweierlei Hinsicht zu kurz: Zum einen geht es nicht nur um »Supervision in Kirche und Diakonie«, wie der Untertitel nahelegt, sondern es wird über die kirchlichen Arbeitsfelder hinausgegriffen und die »Sinnfrage« in der Supervision thematisiert. Zum anderen soll Supervision nicht mehr nur als bloße Krisenintervention für den über seinen Beruf seufzenden Mitarbeitenden verstanden werden, sondern als aktives Gestaltungsmittel unterschiedlicher, breit dargestellter Prozesse. Das Buch korrigiert so manches Vorurteil, das sich bei dem Thema einstellt, quasi nebenbei.
Die Herausgeber Michael Klessmann und Kerstin Lammer haben ihr Werk so konzipiert, dass ein Theorieteil, den sie selbst verfasst haben, ausführt, welche »Bedeutung sowohl die religiöse und weltanschauliche Orientierung eines Menschen als auch der spezielle kirchlich-diakonische Kontext für das berufliche Handeln wie für die Praxis der Supervision haben« (5). Im zweiten Teil des Buches stellen elf Autoren aus verschiedenen Handlungsfeldern von Kirche und Diakonie Fallstudien vor, die charakteristische Anlässe zur Supervision, ihre unterschiedliche Ausprägung und ihre Ziele zum Thema haben und typische Verhaltensmuster aufzeigen.
Durch dieses ausgewogene Verhältnis von Theorie und Praxis erfüllt das Buch seine selbstgesteckten Ziele, für Nicht-Fachleute eine kompakte Einführung in die Supervision zu bieten, für Supervidierende einen Einblick in die spezifischen kirchlichen Arbeitsfelder zu gewähren und für sie die »speziellen Verstehensvoraussetzungen über den Zusammenhang von Religion oder Sinndimension und beruflichem Handeln« zu umreißen (5). Dabei geht es nicht allein um die Darstellung einer »Feldkompetenz«, die bei der Definition der Supervision als »praxisorientierte(r) Beratung für berufliche Zusammenhänge« (11) für den Supervidierenden unter Umständen nützlich sein kann, sondern im Besonderen um die Darstellung einer speziellen »pastoralpsychologischen Hermeneutik« (52, dort wird auch die gewählte Begrifflichkeit eingehender erklärt).
Pastoralpsychologen bringen eine »geschulte Aufmerksamkeit« für die »Sinndimension der Fragen ihrer Klientel« (53) mit. Dazu können sie auf Grund ihres theologischen Hintergrundes Hilfestellungen aus den Bereichen Wirklichkeitsverständnis, hermeneutisches Ma­terial (biblische Erzähltradition) oder hermeneutisches Verfahren anbieten. Pastoral­psychologische Supervision kann so zu einem doppelten Aus­legungsprozess werden: Das Sprachgeschehen der Supervision wird ausgelegt durch die Auslegung der Bibel. Methoden aus Theologie und Psychologie korrelieren. Somit will man einen Beitrag von Seiten der Theologie zur Weiterentwicklung der Supervision leis­ten und gerade nicht eine wie auch immer geartete Sonderrolle von kirchlicher Supervision reklamieren. Eine »Spezialisierungs­nische« – viele Supervidierende agieren »am Markt« – wird gerade nicht propagiert. Vielmehr will man mit dieser Veröffentlichung anregen, in der Supervision die Sinnfrage aufzunehmen, wenn sie gestellt wird, und nicht nur dort, wo der Auftraggeber Kirche oder Diakonie heißt. Insofern wird auch hier streng vom Supervidierten und seinen Res­sour­cen, seinem Kontext, seiner Sprach- und Bildwelt aus gedacht.
Letztlich ist man als Leser froh, dass der Streit um die Methoden der Supervision nicht in eine weitere, pastoraltheologisch eingeläutete Runde geht. Es spricht für den wohltuenden Pragmatismus, dass die unterschiedlichen Methoden und die sich ergebenden Spannungen aus den Wurzeln der modernen Supervision (Sozialarbeit, Psychoanalyse und später auch Pädagogik) hergeleitet und auch erklärt werden. So kann man Unterschiedliches plausibel nebeneinander stehen lassen, ohne in ein Methodenpatchwork zu verfallen. Das kommt dem Praxisteil zugute, in dem Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Couleur das Thema aus Sicht ihres Arbeitsgebietes entfalten. Dabei ist so manche methodische Spannung kein Störfaktor. Im Gegenteil: Es ist gerade die Stärke dieses Buches über die Supervision im Kontext von Kirche und Diakonie, dass es von allen »Richtungen« gelesen werden kann.
Die Fallbeispiele belegen eindrücklich, wie wirkungsvoll Supervision als Krisenintervention sein kann. Sie zeigen aber auch, dass sie weitaus mehr ist. Sie dient der Qualitätskontrolle und -entwick­lung, der Verbesserung von Verständigung und Kooperation am Arbeitsplatz, der Analyse von Fach- und Führungsaufgaben, der Klärung und Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses und der beruflichen Rolle und damit auch Lebensführungsfragen, der Persönlichkeitsentwicklung, der Stabilisierung und Motivierung, der »Burnoutprophylaxe«, der Teamentwicklung, der Begleitung von Umstrukturierungs- und Reorganisationsprozessen und nicht zuletzt der Karriereplanung. Die Aufsätze zu den letztgenannten Themen seien exemplarisch herausgegriffen, erwartet man sie gemeinhin am wenigsten in der Supervision.
Claudia Enders (166–179) zeigt auf, dass es für Hauptamtliche und Ehrenamtliche – die im Übrigen bei strukturellen Veränderungsprozessen recht unterschiedlich reagieren – Supervision förderlich sein kann. Supervision dient dazu, »diesen umfassenden Wandel mit allen Sinnen zu begreifen, sich mit den inneren Bildern und der äußeren Gestalt von Kirche zu beschäftigen, Verluste und Chancen zu thematisieren und den Wandel theologisch zu reflektieren« (179). Denn die Erfahrung, dass Veränderungen von äußeren Strukturen innere Prozesse auslösen, die als Bremse oder Motor letztlich Sachfragen in den Hintergrund treten lassen, wurde schon oft gemacht. Und wohl ebenso häufig griff man zum Instrument der Supervision, um im Nachhinein Wunden zu behandeln. Warum also nicht Supervision begleitend oder gar als Vorbereitung? Dabei wird es freilich darauf ankommen, die Grenzen zur Organisations- und Strukturberatung deutlich zu markieren, wie im Übrigen die gesamte Darstellung die Unterschiede zu anderen Beratungsformen (z. B. Coaching, Seelsorge, Therapie, geistliche Begleitung, Fort- und Weiterbildung etc.) herausstellt (24 ff.).
Christoph Schneider-Harpprecht (180–192) zeigt, dass bei den Themen Person, Rolle und Amt ganz natürlich persönliche Veränderungen besprochen werden, die in Stellenwechsel, Qualifizierungsmaßnahmen oder Laufbahnplanung münden können. Su­pervision kann Motivation und Ermutigung zur Veränderung beinhalten, aber auch die kritische Realitätsprüfung im Blick auf die Eignung und die Stimmigkeit von Selbst- und Berufsbild. An einem Beispiel zeigt er, wie das Gespräch in der Supervisionsgruppe partiell zum Test für den »Ernstfall Bewerbung« werden kann. Auch hier schließen an die Supervision andere Beratungsangebote an. Supervision ist aber der Auslöser, sich selbst klar zu werden, dass man auf eine Veränderung zugeht.
Wer also »das Kreuz mit dem Beruf« als einen bloßen Stoßseufzer gehört hat, wird eines Besseren belehrt. Denn »Supervision als … Experiment Hoffnung« (165) führt – so wird mit einem theologischen Augenzwinkern das Kreuzesmotiv im Titel ausgeführt – zu »Auferstehungsschritten mitten im Leben« (165). Dahinter verbirgt sich ein Anliegen, dem dieses Buch durch seine gelungene Darstellung gerecht wird: Die Supervision ist ein ausgezeichnetes Hilfsmittel und sollte zur Normalität, ja zur Selbstverständlichkeit in bestimmten beruflichen wie auch ehrenamtlichen Kontexten werden. Nicht mehr, aber auf alle Fälle auch nicht weniger.