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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

743–745

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dekker, Willem Maarten

Titel/Untertitel:

De relationaliteit van God. Onafhankelijkheid en relatie in de godsleer en ontologie van Francesco Turrettini en Eberhard Jüngel.

Verlag:

Zoetermeer: Uitgeverij Boe­kencentrum 2008. 440 S. gr.8°. Kart. EUR 32,50. ISBN 978-90-239-2281-0.

Rezensent:

Susanne Hennecke

Die Dissertation von Willem Maarten Dekker beschäftigt sich an­hand eines systematisch-theologischen Vergleichs der voraufklärerischen Theologie Frans Turrettinis (1623–1687) und der postmetaphysischen Theologie Eberhard Jüngels (* 1934) mit der Frage, wie die christliche Theologie begrifflich über den Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit Gottes und der Relationalität Gottes zu reden hätte und welches die ontologischen Implikationen eines solchen Redens wären. Nach eingehenden Analysen und Befragungen sowohl der Theologie Turrettinis als auch der Theologie Jüngels, die zusammengenommen den Hauptteil der Arbeit bilden, wird im letzten Kapitel auf Grund einer gewissen Unzufriedenheit mit den bei Turrettini und Jüngel jeweils gefundenen Modellen des Zusammendenkens der Relationalität Gottes und der Unabhängigkeit Gottes eine eigene Beantwortung der Fragestellung im Kontext des heutigen Europas versucht.
Die ja recht unterschiedlichen Theologien Turrettinis und Jüngels sind nach D. insofern zu vergleichen, als in der ersten zwar Gottes Unabhängigkeit von der Welt betont werde, Gottes Beziehung zur Welt aber vernachlässigt zu werden drohe, während bei der zweiten zwar die Beziehung zwischen Gott und der Welt betont werde, jedoch die Frage zu stellen sei, ob auch die Unabhängigkeit Gottes genügend zu ihrem Recht komme. Als den expliziten Kontext eines Vergleichs gerade zwischen diesen beiden Theologen und einer Behandlung gerade der oben genannten Fragestellung be­nennt D. unter anderen die in den Niederlanden entwickelte, von der anglo-amerikanischen analytischen Diskussion inspirierte religionsphilosophische Richtung der Utrechter Schule, die einen klassischen Theismus vertritt und sich insbesondere durch Forschungen zur Lehre von den göttlichen Eigenschaften und allgemein durch ein Interesse an der reformierten Scholastik profiliert. Dieser für D. dominante Kontext soll nun gewissermaßen herausgefordert werden, indem Turrettini mutig ein innerhalb des genannten Kontextes unüblicher, nämlich kontinentalphilosophisch inspirierter, offenbarungstheologisch orientierter theolo­gischer Ansatz gegenübergestellt wird, eben der Ansatz Jüngels. Herausfordernd ist ein derartiger Versuch nun einmal abgesehen von dem spezifischen Kontext D.s auch insofern zu nennen, als es sich überhaupt um die erste größere niederländische Studie zur Theologie Jüngels handelt.
Auch international gesehen füllt die Arbeit eine Forschungslü­cke, da Gotteslehre und Metaphysik innerhalb der Turrettiniforschung bislang kaum behandelt wurden. Zudem wird auch innerhalb der Jüngelforschung beispielsweise insofern ein neuer Akzent gesetzt, als nach D.s Interpretation des Themas der Unabhängigkeit Gottes bei Jüngel dieser die ontische Unabhängigkeit Gottes von der Welt nicht vernachlässige, wie eine Reihe Interpreten meint (vgl. z. B. N. Klimek, P. Lønning, M. Schulz, M. Mühling-Schlapkohl und C. R. J. Holmes). Nach D. denkt Jüngel Gottes Un­abhängigkeit von der Welt als Selbstbestimmung und Selbstbe­ziehung und vollzieht sich das Kommen Gottes ohne Notwendigkeit, auch ohne innere Notwendigkeit. Diesbezüglich relativiert er die Ab­hängigkeit der Jüngelschen Theologie von der Philosophie He­gels.
Spannend ist meines Erachtens vor allem die Schlussfolgerung, die D. mit seiner ausführlichen Analyse beider Denkansätze verbindet. Kann er sich an Jüngels Umschreibung der Freiheit Gottes als Selbstbestimmung, dessen Ablehnung metaphysischer Absolutheit und dessen Betonung der wesentlichen, aber kontingenten Verbindung Gottes mit dem gekreuzigten Menschen Jesus durchaus anschließen, möchte er jedoch der (ontischen) Unabhängigkeit Gottes mehr Raum verschaffen, und zwar anders als Turrettini gerade von dem bei Jüngel gefundenen staurozentrischen Ansatz her. Eine starke theologische Betonung der Unabhängigkeit Gottes impliziere, so D., ontologisch gesehen auch eine stärkere Betonung der metaphysischen Absolutheit Gottes. Beide Denker seien nicht nur als Vertreter des Theismus, sondern auch als Vertreter eines schwachen Monismus zu bezeichnen. Diesem schwachen Mo­nismus, so der eigene Ansatz D.s, sei nun ein schwacher Dualismus gegenüberzustellen. Das Denken eines schwachen Mo­nismus sei hierbei insbesondere auf Grund der als notwenig erachteten Zeitgenossenschaft der Theologie erforderlich. Unsere Zeit, so D. leider nur in aller Kürze, zeichne sich durch Pluralismus, Nihilismus, relationales und immanentes Denken aus. Obwohl Jüngel im Ge­gensatz zu Turrettini diesen zeitgenössischen Denkerfordernissen durchaus entgegenkomme, hindere ihn die monistische Grundstruktur seines Denkens, insbesondere den Pluralismus und den Nihilismus voll und ganz anzuerkennen. So sei die bei Jüngel durchaus anzutreffende Akzeptanz der pluralistischen Gesellschaft auch ins Ontologische zu übersetzen und die bei Jüngel ebenfalls unterstellte Akzeptanz des Nihilismus in Form einer Anerkennung eines mit dem christlichen Glauben versöhnten Atheismus entsprechend im Sinne einer Akzeptanz einer Wirklichkeit ohne Gott theologisch zu radikalisieren.
Die Studie schließt mit einem leider nur thesenförmig formulierten ersten Ansatz von D.s eigener Position. Theologisch gesehen impliziere ein schwacher Dualismus erstens eine doppelte Dialektik in Gott selber, in der Gott sowohl den Tod als auch seinen Zorn überwinde, und zweitens eine Ablehnung der Bestimmung des Christentums als Monotheismus zu Gunsten seiner Anerkennung als Henotheismus. Dies impliziere nun wiederum ontologisch ge­sehen erstens das Denken einer Zweiheit der Zeit, nämlich der Unterscheidung zwischen der jetzigen und der zukünftigen Zeit, die weder in lumine naturae (Turrettini) noch in lumine gloriae (Jüngel), sondern in lumine gratiae zu beheben sei, und zweitens eine zweiheitliche Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit Gottes und der Wirklichkeit der gefallenen Welt, bei der Erstere sich im Hinblick auf Zweitere im Sinne einer Unterbrechung verhalte. Diese Zweiheit impliziere grundlegend eine zweiheitliche Ontologie, die nun gerade durch ihren Widerspruch dem Streit der Wirklichkeit um dasjenige, was wirklich ist, entspreche.
Der sich explizit nicht als postmoderne Kritik eines Einheitsdenkens verstehende schwach-dualistische Ansatz D.s verdient gewiss eine nähere Ausführung. Zu erwägen wäre, ob D. die bislang ja leider nur in niederländischer Sprache vorliegende Studie und insbesondere die Ausführung seines eigenen Ansatzes nun nicht am besten in einer zweiten Sprache fortzusetzen bereit wäre.