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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

732–734

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Krüger, Malte Dominik

Titel/Untertitel:

Göttliche Freiheit. Die Trinitätslehre in Schellings Spätphilosophie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. X, 342 S. gr.8° = Religion in Philosophy and Theology, 31. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-149533-5.

Rezensent:

Christian Danz

Die Spätphilosophie F. W. J. Schellings wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Die Debatte kreist vor allem um eine Alternative, die durch die Namen Walter Schulz auf der einen und Horst Fuhrmans auf der anderen Seite repräsentiert wird.
Während Schulz in seiner grundlegenden Studie über die Spätphilosophie Schellings in ihr die Vollendung des deutschen Idealismus ausmachte, stufte sie Fuhrmans geradezu als Überwindung des Idealismus in Richtung auf einen christlichen Theismus ein. Die auf Fuhrmans und Schulz folgende Erforschung des Spätwerks Schellings bewegte sich auch dort, wo sie Modifikationen vornahm, weitgehend in dem Rahmen, der durch diese beiden Deutungsansätze abgesteckt ist. Die angedeuteten kontroversen Einschätzungen der Spätphilosophie Schellings sind auch dem Um­stand geschuldet, dass die Quellenbasis für die Erforschung des Spätwerks von Schelling mit gewissen Vorbehalten zu betrachten ist. Zwar verfügen wir durch die Ausgabe von dessen Sohn K. F. A. Schelling über zahlreiche Texte aus Schellings später Zeit, aber diese Texte sind nicht von ihm selbst für den Druck bearbeitet worden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Textbestände zu der Philosophie der Mythologie und der Philosophie der Offenbarung, die von Schellings Sohn in der zweiten Abteilung der von ihm herausgegebenen Sämmtlichen Werke ediert wurden. Inwieweit diese Materialien eine authentische Quelle vor allem im Hinblick auf die Anordnung und den Zusammenhang der einzelnen Textteile darstellen, vermag derzeit niemand genauer zu sagen.
Diese textkritischen Fragen spielen insbesondere für ein Grundproblem der Spätphilosophie Schellings eine gewichtige Rolle, nämlich Unterscheidung und Zuordnung einer von ihm sog. negativen und positiven Philosophie. Die hierfür einschlägigen Texte, die Philosophische Einleitung in die Philosophie der Mythologie als auch die Berliner Einleitung in die Philosophie der Offenbarung, sind durchweg von Schellings Sohn zusammengestellt worden. Nun hat die von Walter E. Ehrhardt im Jahre 1992 publizierte Urfassung der Philosophie der Offenbarung, welche auf Schellings erste Mün­chner Vorlesung aus dem Jahre 1832 zurückgeht, der Forschung eine doch recht zuverlässige Quellenbasis für die Philosophie der Offenbarung zur Verfügung gestellt. Sie steht denn auch zu Recht im Mittelpunkt der gegenwärtigen Forschungen zu Schellings später Philosophie. Allein die für dessen späte Philosophie signifikante Unterscheidung von negativer und positiver Philosophie wird in diesem Text nur ad hoc behandelt.
Die Urfassung der Philosophie der Offenbarung steht auch im Fokus der hier anzuzeigenden Untersuchung von Malte Dominik Krüger mit dem Titel Göttliche Freiheit. Die Trinitätslehre in Schellings Spätphilosophie, die im Jahre 2006 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation an­genommen und für den Druck überarbeitet wurde. Die Unter­suchung möchte erstmals »die beiden Systemteile dieser Spät­philosophie, die ›negative‹ und die ›positive Philosophie‹, in ihrer von Schellings gewollten, aber nicht mehr selbst realisierten Form« (3) in ihrem inneren Zusammenhang rekonstruieren. Im Mittelpunkt steht dabei die von Schelling in seiner späten Philosophie ausgearbeitete Trinitätslehre, die auf einer trinitarischen Theorie des Absoluten fußt. Diese möchte K. in die gegenwärtige trinitätstheologische Debatte in deutlicher Abgrenzung vom theologischen Hegelianismus als eine weiterführende Position einbringen. Die Un­tersuchung verfolgt damit ein durchweg systematisches Anliegen, so dass Fragen der werkgeschichtlichen Entwicklung von Schellings Philosophie und dessen trinitarischer Theorie des Absoluten weitgehend ausgeblendet werden.
Die gut lesbare und kenntnisreich argumentierende Studie von K. ist in 14 Kapitel untergliedert. Der erste Teil, von K. Prolegomena überschrieben (3–98) bietet in vier Kapiteln einen detaillierten Überblick über methodische Fragen sowie Deutungen der Trinitätslehre in der bisherigen Forschungsliteratur unter Einschluss der durch die Publikation der Urfassung der Philosophie der Offenbarung veränderten Forschungslage. Dieser einleitende Teil mündet in eine in Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung präzisierte Beschreibung der Aufgabenstellung der Untersuchung (97 f.). Sie kommt zu der Einschätzung, dass eine Untersuchung zur Trinitätslehre beim späten Schelling auf der Grundlage der Urfassung der Philosophie der Offenbarung nach wie vor »ein Desiderat der Forschung« (98) darstellt. Dem soll durch die Teile zwei bis drei der Arbeit abgeholfen werden. Teil zwei ist den Voraussetzungen der Trinitätslehre in der negativen Philosophie Schellings gewidmet (101–154). Untersucht wird in diesem Teil von K. die von Schelling in der reinrationalen Philosophie ausgeführte Potenzenlehre. Hier­zu geht er zunächst dem geschichtlichen Ort der negativen Philosophie nach und rekonstruiert sodann Schellings eigene Explikation der Potenzenlehre, die ihren methodischen Ausgangspunkt in seiner Auseinandersetzung mit Kants Ideal der reinen Vernunft hat. Dabei folgt K. dem Gedankengang von Schellings Darstellung der reinrationalen Philosophie bis hin zum Übergang in die positive Philosophie. Der Argumentationsfortschritt ist an der Leitfrage orientiert, wie sich das Prinzip des Denkens im reinen Denken von der triadischen Potenzenstruktur unterscheiden und begründen lasse. Eben vor dieser Aufgabe scheitert das Denken, so dass ein Übergang von der reinen Vernunftwissenschaft in die positive Philosophie nötig wird. Mit der Einsicht des Denkens in die Unmöglichkeit, sich selbst zu begründen, ist zugleich das Programm einer Letztbegründung preisgegeben. Folglich verabschiedet sich mit »Schellings Spätphilosophie … im deutschen Idealismus die Vernunft vom Versuch ihrer Letztbegründung« (3). Das Absolute als Freiheit zu thematisieren, ist die Aufgabe der positiven Philosophie. Dem geht der dritte und umfangreichste Teil der Untersuchung unter der Überschrift Die Durchführung der Trinitätslehre in der positiven Philosophie Schellings nach (157–272). K. rekonstruiert hier anhand der Urfassung der Philosophie der Offenbarung nach einleitenden Bemerkungen zu deren Aufbau (157–162) zunächst Schellings im Begriff des Monotheismus gipfelnde Frage nach dem Anfang des Seins (163–190), sodann die trinitätstheologische Entfaltung des Begriffs des Monotheismus (191–230) und schließlich im elften Kapitel die Christologie Schellings einschließlich deren Grundlage in der Philosophie der Mythologie (231–272).
Eine Eigentümlichkeit der Studie liegt darin, dass K. in jedem Kapitel die Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte in einem gesonderten Unterabschnitt nach dem Durchgang durch den Text Schellings darstellt. Dadurch wird der Gedankengang der Untersuchung nicht durch die Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur unterbrochen. Diskutiert werden von K. in diesem Gespräch mit der Forschung vor allem die wegweisenden Arbeiten von Schulz, Fuhrmans, Walter Kasper, Klaus Hemmerle, aber auch zahlreiche neuere Studien zur Spätphilosophie Schellings. Der vierte und letzte Teil der Untersuchung, von K. Epilegomena überschrieben, fasst in vier Kapiteln den Ertrag der Auseinandersetzung mit der Spätphilosophie Schellings auf der Folie der gegenwärtigen Debatten um die Trinitätslehre zusammen (273–312). Siglen-, Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister be­schließen den Band (313–342).
K. deutet Schellings Spätphilosophie als eine solche Theorie des Absoluten, welche die Unmöglichkeit einer philosophischen Letztbegründung in die Gesamtheorieanlage konstruktiv aufnimmt. »Die berechtigte Frage einer Metaphysik des Abschlusses nach dem absoluten Grund wird einer Antwort zugeführt, welche die Revision der in dieser Frage implizierten Einsichten nach sich zieht. Das Dilemma einer Metaphysik des Abschlusses löst Schelling, indem er das Absolute nicht in ihrem Sinn konzipiert, auch wenn das Problembewußtsein einer solchen Metaphysik sich in seiner Konzeption niederschlägt. An die Stelle der sich auf die theoretische Vernunft stützenden Letztbegründung tritt die an die faktische Praxis verwiesene Diagnose.« (311) Die Einsicht der Vernunft in das Unvermögen ihrer Selbstbegründung verweist diese an die offenbarungstheologisch gedeutete Religionsgeschichte. Das Absolute ist selbst noch einmal von der Struktur der Vernunft zu unterscheiden, gleichwohl die Vernunft die Folie darstellt, welche dieses von ihr unterschiedene trinitarische Absolute auslegt. Als Freiheit kann das Absolute nur in Form einer trinitarischen Theorie des Absoluten ausgelegt werden. Auf der Rekonstruktion der Trinitätslehre Schellings liegt der Schwerpunkt der Arbeit. K. unterscheidet in Schellings Konstruktion der Trinitätslehre in der Urfassung der Philosophie der Offenbarung sieben aufeinander aufbauende Ar­gumen­tationsschritte, aus deren Zusammenhang erst ein angemessenes Verständnis von Schellings Deutung des trinitarischen Gottes resultieren soll (200.218). Bei der Rekonstruktion dieses trinitarischen Gottesgedankens, der seinen Ausgang von Gott als der absoluten Persönlichkeit nimmt, folgt er minutiös dem Gedankengang Schellings. Allerdings orientiert sich K. dabei durchweg an den gegenständlichen Aussagegehalten und blendet die darin waltenden reflexions- und vollzugslogischen Momente weitgehend aus. Nur so wird freilich auch die (offenbarungstheologische) Grundthese von K.s Schellingdeutung verständlich: »Die Freiheit des Absoluten wird durch die Verwirklichung ihrer Möglichkeiten im Menschen in der Welt offenbar, nicht aber selbst konstituiert.« (4)
Die Philosophie Schellings spielt in der protestantischen Theologie immer noch eine recht marginale Rolle. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass K. die Spätphilosophie Schellings in die gegenwärtige theologische Debatte konstruktiv einbringt. Ingesamt hat K. einen gründlichen Beitrag zur Diskussion der späten Philosophie Schellings vorgelegt und man kann der Untersuchung nur wünschen, dass sie eine breite Rezeption erfährt.