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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

729–732

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Keller, James A.

Titel/Untertitel:

Problems of Evil and the Power of God.

Verlag:

Aldershot: Ashgate 2007. X, 176 S. gr.8° = Ashgate Philosophy of Religion Series. Geb. £ 55,00. ISBN 978-0-7546-5808-5.

Rezensent:

Markus Mühling

James A. Keller, Professor für Philosophie am Wofford College in Spartanburg, South Carolina, macht es sich zur Aufgabe, verschiedene Probleme des Bösen des klassischen Theismus zu analysieren, zu kritisieren und unter prozessphilosophischen Vorzeichen zu lösen. Obwohl es aus prozessphilosophischer bzw. -theologischer Sicht schon unterschiedliche Werke zum genannten Thema gibt, beansprucht der Vf. doch, sich nicht nur auf das klassische Theodizeeproblem oder die Frage »unde malum?« zu konzentrieren, sondern darüber hinaus weitere, systematisch miteinander verbundene Probleme zu besprechen, die den traditionellen Theismus als letztlich gegenüber einem prozessphilosophischen Ansatz unhaltbar erscheinen lassen. Unter klassischem Theismus, den er explizit nur in seiner christlichen Tradition zu untersuchen beansprucht, versteht der Vf. dabei die Auffassung, dass Gott omnipotent, allwissend und vollständig gut ist. Alle Kapitel des Buches, vom letzten, die prozesstheistische Lösung vorschlagenden abgesehen, sind da­bei gleich aufgebaut: Es wird ein Einwand gegen den klassischen Theismus genannt, dann werden verschiedene Gegenargumente besprochen und schließlich widerlegt.
Nach einer die Gliederung und Problematik des Buches vorstellenden Einleitung erscheint zunächst das klassische Problem des Bösen, bestehend im Leiden und im moralischen Übel (7–30). Im Rahmen des »free-will-defense« mag es zwar plausibel sein, dass Gott Übel zulassen kann, um den freien Willen als Gut zu ermöglichen, nicht aber, dass Gott jegliches Übel, das geschieht, zulassen müsse, wofür aber Evidenz besteht. Auch die These, dass Gott nur die schlimmsten Übel verhindere, sei nicht haltbar. Am plausibels­ten sei es noch, wenn angenommen würde, Gott folge generell dem Handlungsmuster der Nichteinmischung, was aber gerade von klassischen Theisten verneint wird, wenn Gott Wunder zugeschrieben werden.
Das zweite Problem des Bösen, das besprochen wird, besteht in der Verborgenheit Gottes (31–53). Auch hier werden verschiedene Argumente, die die Verborgenheit Gottes im Rahmen eines theistischen Modells erklären wollen (menschliche Unvollkommenheit als Grund der Unerkennbarkeit Gottes, die Möglichkeit, Glauben zu ermöglichen als Grund der Verborgenheit, Nichtoffenbarsein des Willens Gottes etc.), widerlegt, so dass der Vf. zu dem Schluss kommt, dass »God’s relation to the world is such that God cannot manipulate its details in such a way as to make the information about Godself any more clear« (50).
Da dramatische Wunder die beste Möglichkeit wären, diese Verborgenheit Gottes zu beseitigen, werden als drittes Problem des Bösen die Auffassungen von Wundern im traditionellen Theismus in den Blick genommen (55–71). Wunder werden dabei als Aufhebung von Naturgesetzen verstanden (55) und in verschiedene Typen unterteilt. Unter den zahlreichen Argumenten, die gegen göttliche Wun­der in diesem Sinne sprechen, ragt heraus, dass Wunder im angegebenen Sinne an sich gegen göttliche Güte und Ge­rechtigkeit sprächen, da der Wunderbegriff voraussetzt, dass Gott zu Gunsten einiger Menschen Wunder wirkt, für andere jedoch nicht. Da ferner nichts aus der Erfahrungswirklichkeit für das Geschehen von Wundern spricht, bliebe nur die Möglichkeit, an Wunder zu glauben, weil sie als offenbart gelten.
Das vierte Problem des Bösen, das der Vf. in den Blick nimmt, besteht im »Ignorance Defense« des klassischen Theismus, d. h. in verschiedenen Auffassungen, dass Menschen nicht das intellektuelle Vermögen haben, verstehen zu können, warum Gott Übel zulässt (73–91). Vielleicht auf Grund der Tatsache, dass sich der Vf. hier mit dem mit ihm befreundeten Religionsphilosophen Wil­liam P. Alston auseinandersetzt, sind die Argumentationen in diesem Kapitel vermutlich am akkuratesten und interessantesten für den Leser. Die unterschiedlichen Argumentationen des Vf.s laufen dabei auf Folgendes hinaus: Je mehr man versucht, mangelndes menschliches Vermögen zum Nichtverständnis des Übels angesichts des klassischen Theismus in Anschlag zu bringen, desto weniger sind die im traditionellen Theismus eingeschlossenen Behauptungen einsichtig. In Inanspruchnahme des »Ignorance Defense« erscheine der traditionelle Theismus selbst nicht mehr als auf rationaler Basis gewonnen, sondern er bedürfte nun einer Begründung mittels des Offenbarungsgedankens.
Das fünfte Problem des Bösen beschäftigt sich daher mit der Frage nach der Möglichkeit, genauer, nach der Identifikation, In­terpretation und Zertifizierung von Offenbarung (93–115). Ein allmächtiger, allwissender und allguter Gott wird sicherlich wünschen, den Menschen Wahrheiten in eindeutiger und klarer Weise mitzuteilen. Da aber auch die Bibel solche klaren und eindeutigen Wahrheiten nicht enthält, was auch Christen nicht leugnen können, legt sich der Schluss nahe, dass die in der Allmacht vorausgesetzte Fähigkeit Gottes zu solcher Offenbarung angezweifelt werden muss.
Die Diskussion dieser fünf Probleme des Bösen mündet schließlich in die im anschließenden Kapitel behandelte Frage, ob es überhaupt gute Gründe gibt, Gottes Fähigkeiten als Allmacht zu verstehen (117–133). Hier diagnostiziert der Vf., dass es unabhängig von spezifischen metaphysischen Schemata, denen man sich verpflichtet fühlen kann, keinen Grund zur Annahme von Gottes Allmacht gibt. Beispielsweise setze der Schöpfungsgedanke den Allmachtsgedanken nicht voraus, wenn er nicht als creatio ex nihilo verstanden wird, was nicht notwendig sei. Ansonsten besteht dieses Kapitel zu einem großen Teil in einer Aufnahme und Zusammenfassung der vorangehenden Ausführungen.
Im Zielkapitel des Buches »A Process Christian Theism and the Problems of Evil« (136–167) werden die im Wesentlichen bekannten Elemente einer Prozesstheologie vorgestellt und auf die zuvor beschriebenen Probleme angewandt. Gott ist zunächst pure Kausalität und regt den Prozess der Welt an, der aus actual entities bzw. actual occasions derart besteht, dass jede actual entity die Entwick­lungsmöglichkeiten der folgenden actual entity nicht vollständig mitbestimmt, sondern dieser Wahlmöglichkeiten überlässt. Komplexere Gebilde sind »societies of actual entities« und demgemäß weniger frei in ihren Entscheidungen von Möglichkeiten. Auf diese Weise ist sowohl der Bestand der Naturgesetze als auch der Bestand der menschlichen Freiheit garantiert. Gott selbst kann in diesen Prozess nur durch seine »Lockung« (to lure) eingreifen, in­dem er den actual entities die beste von ihm gewünschte Wahlmöglichkeit nahelegt, der diese aber nicht nachkommen müssen. Alle in der Welt stattfindenden Ereignisse gehen zeitlich nicht verloren, sondern werden in Gott aufgehoben. Dieser soweit traditionelle prozesstheologische Ansatz wird im Folgenden als lösungsfähig zu den in Frage stehenden Problemen des Bösen ausgewiesen. Ein Ausblick richtet sich auf die von Prozesstheoretikern kontrovers diskutierte Frage, ob es eine leibliche und/oder seelische Auferstehung partikularer menschlicher Personalität (etwa ein­schließ­lich eines Ausgleiches für während der Geschichte erlittenes Übel) geben könne.
Obwohl der Vf. hier zugesteht, dass der Ansatz der Prozesstheologie diese Möglichkeit offen lässt, bekennt er sich, unter Zuhilfenahme des Personkonzepts von Derek Parfit, nach dem eine Identität der Person durch die Verknüpfung verschiedener erlebter Ereignisse ontisch überhaupt nicht gegeben ist, gegen diese Möglichkeit: Das Selbst hört auf zu sein, weil es auch in der geschichtlichen Welt letztlich nur Schein ist, sondern trägt vielmehr zum Reichtum des Seins Gottes bei. Der Vf. schließt sein Buch mit dem Beweis, dass der so verstandene Gott wahrhaftig gut, liebend, wissend (aber nicht allwissend), mächtig (aber nicht allmächtig) und daher religiöser Verehrung höchst würdig sei.
Der Vorteil des Buches besteht in seinen glasklaren und dabei dennoch knappen Argumentationen, die beim Leser bestimmte Debatten angelsächsischer Religionsphilosophie des letzten halben Jahrhunderts Revue passieren lassen, sind die Gesprächspartner und -gegner des Vf.s doch John Hick, William Hasker, Richard Swinburne, Eleonore Stump, Thomas F. Tracy, C. S. Lewis, Thomas Morris, Michael Murray, William Rowe, Stephen Wykstra, George Mavrodes und Alvin Plantinga. Und obwohl einige der Argumentationen sehr detailliert besprochen werden und durchaus heuris­tischen Wert haben, weil sie den Leser in die Kompetenz religionsphilosophischen Denkens einführen können, kann all dies doch nicht über die zahlreichen kritisch zu nennenden Punkte hinwegtäuschen: Keines der Probleme wird historisch betrachtet, wich­tige Debatten der klassischen Philosophiegeschichte erscheinen ebenso wenig wie die Aufnahme theologischer Argumente, sei es aus Geschichte oder Gegenwart, oder die Aufnahme nicht englischsprachiger bedeutsamer Traditionen. Aber auch innerhalb der an­gelsächsischen Religionsphilosophie erscheint die Auswahl selektiv. Nimmt man zu diesem Befund die zahlreichen stipulativen Be­griffsdefinitionen hinzu, die schon bei der Definition des Begriffs des traditionellen Theismus etwa neuere, auch die historische Genese betreffende Untersuchungen I. U. Dalferths u. a. genauso vollständig ignoriert wie etwa eine jahrhundertealte differenzierte Dis­kussion zum Wunderbegriff, so kann man sich letztlich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass mit diesem Buch doch weniger ein Werk religionsphilosophischer Wissenschaft als vielmehr prozesstheologischer Mission vorliegt, die sich gegen einen Gegner positioniert, der religionsphilosophisch erst konstruiert werden muss, weil er in der Geschichte der (neueren) Theologie gar nicht zu finden ist. Als Ausdruck eines Lebenszeichens des prozesstheologischen Wirklichkeitsverständnisses behält das Buch eindrücklichen Wert.