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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1104 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lemke, Helga

Titel/Untertitel:

Personzentrierte Beratung in der Seelsorge

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1995. 159 S. gr. 8°. Kart. DM 39,80. ISBN 3-17-013698-4

Rezensent:

Jürgen Weiß

In aller Deutlichkeit nennt die Autorin schon in ihrer Einleitung den Ursprung und den Antrieb für ihre energischen Bemühungen um eine "personzentrierte Beratung in der Seelsorge":

"Seelsorge ist für mich seit meinem Theologiestudium eines der wichtigsten Aufgabengebiete meiner Tätigkeit. Doch habe ich mich vielfach in Situationen erlebt, in denen ich mich absolut hilflos und unsicher gefühlt habe und nichts zu sagen wußte... Diese Erfahrungen haben mich beunruhigt und nach Wegen suchen lassen, um Menschen in Not besser und nachhaltiger beistehen zu können. Nach anfänglich analytischer Orientierung bin ich durch Reinhard Tausch 1968 mit der Gesprächspsychotherapie in Berührung gekommen, wodurch sich mein Umgang in allen mitmenschlichen Beziehungen grundlegend geändert hat. Ich habe erfahren können, daß Gesprächsführung durchaus zu erlernen ist und nicht allein auf Intuition und Lebenserfahrung beruht... Darüber hinaus fügt sich das klientzentrierte Konzept in einer guten Weise in mein theologisches Denken ein. Es gibt mir die Möglichkeit, Theologie und Psychologie miteinander zu verbinden, so daß ich die Erkenntnisse beider Fachgebiete nutzen kann, um den seelisch belasteten Menschen von beiden Sichtweisen her beistehen zu können." (9)

"Was mich persönlich an der Arbeit in der Fortbildung zur seelsorgerlischen Beratung am meisten bewegt und auch geprägt hat, ist die zunehmende Erkenntnis, einen Weg gefunden zu haben, der dazu verhilft, Nächstenliebe nicht nur verwirklichen zu wollen, sondern sie durch entsprechende Hilfen auch verwirklichen zu können." (13)

Während L. in den ersten beiden Kapiteln die Beziehungen und die Abgrenzung zwischen verschiedenen psychologisch-psychotherapeutischen Ansätzen und neueren Seelsorgekonzeptionen beschreibt, stellt sie sich im 3. Kapitel der "Theologische(n) Reflexion" (46) des humanistischen Menschenbilds von C. Rogers, das die Basis seiner Gesprächspsychotherapie darstellt.

Sie kommt zu folgenden Ergebnissen: "Rogers´ Anthropologie ist trotz auffallenden Entsprechungen nicht mit der christlichen identisch. Beide geben Antworten auf jeweils andere Fragestellungen, weshalb sie auch nicht als sich gegenseitig ausschließend angesehen werden können... So erweist sich die von Rogers entwickelte Haltung als eine der christlichen zutiefst verwandte, auch wenn sie anders begründet und abgeleitet wird. Sie wurde schon immer dann verwirklicht, wenn Christen unter Berücksichtigung der Dialektik von Indikativ und Imperativ Seelsorge aus der Vergebung heraus ausgeübt haben." (50 f.)

Die Kapitel 4 bis 6 bieten das Ausbildungskonzept für "Personzentrierte Beratung in der Seelsorge", dargestellt und illustriert durch Gesprächsprotokolle und deren Analyse. Das Buch stellt und fordert vor allem eine bekannte, alte Frage erneut heraus: Sieht dieser Seelsorgeansatz im Gefolge der humanistischen Psychologie den Menschen und seine Möglichkeiten nicht zu positiv, wenn er davon ausgeht, daß dem Menschen grundsätzlich ,WachstumŒ möglich ist, das es ,nurŒ zu entfalten gilt. In der ehemaligen DDR hat die kritische Theologie den Marxisten immer wieder ihr positives Menschenbild vorgehalten. Wäre es nicht heuchlerisch, wenn diese Frage nun gegenüber der humanistischen Psychologie zurückgehalten würde?