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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

725–727

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Appel, Kurt

Titel/Untertitel:

Zeit und Gott. Mythos und Logos der Zeit im An­schluss an Hegel und Schelling.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2008. 338 S. gr.8°. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-76438-6.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Bei der Studie handelt es sich um eine katholische Habilitationsschrift, die am Wiener Institut für Fundamentaltheologie unter der Leitung von Johann Reikerstorfer entstanden ist. Entsprechend sieht sich diese Studie besonders dem Denken von Johann Baptist Metz verbunden. Dies deutet sich auch in der Fragestellung der Studie an, wie sie in der »Einleitung« (10–31) entfaltet wird: A. fragt nach der Zeit als theologischer Grundkategorie, insofern in ihr der ewige Gott mit seiner Erlösung und der existierende Mensch mit seiner Freiheit denkbar sind. Dies schließt für A. eine besondere Sensibilität für die kosmische Gefährdung des Menschen ein und eine undialektische Entgegensetzung von Zeit und Ewigkeit aus, wie sie letztlich etwa bei Karl Barth, Karl Rahner oder Gisbert Greshake vorliegen soll. Diese undialektische Entgegensetzung kon­tras­tiert A. im »Prolog« (32–39) mit einer von Erich Zenger inspirierten Interpretation des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes, der zufolge die Welt als zugeeignete Zeit und so gleichsam als Raum für Gott und den Menschen erscheint. Daran anschließend sucht A. zur fundamentaltheologischen Ausarbeitung eines genuin theologischen Zeitbegriffs das Gespräch mit der Philosophie. Dabei weist das Buch zwei Teile auf.
Der erste Teil (40–134) nimmt Einsichten von Leibniz, Kant und Heidegger auf und will so die Vorstellung von der Zeit als einem chronologisch-mechanistischen Phänomen beziehungsweise als einem Durchgangsmoment der Ewigkeit überwinden. In der Auseinandersetzung mit Leibniz (40–63) und seiner Monadologie wird plausibel: Die Zeit ist kein gleichsam chronologischer Behälter, in den die Welt und ihre Ereignisse eingefügt werden können, wie es die neuzeitliche Naturwissenschaft nahezulegen scheint. Vielmehr wird mit der Monade und ihren Perzeptionen das Sein als Subjekt einsichtig, das selbst seine eigene Zeit setzt und dabei das Universum Gottes aus einer bestimmten Perspektive darstellt. Leibniz kann die Zeit als Erscheinung in der Liebe des ewigen Gottes begründet sehen. Damit geht bei Leibniz eine Festlegung durch Gott einher, wenn die einzelne Monade aus der ewigen Sicht Gottes determiniert ist: Im Tod des Menschen enthüllt sich die Zeit als Medium der Ewigkeit. Damit aber wird nach A. unzulässig die menschliche Freiheit zu einem uneigentlichen Traum herabgesetzt. Um vor allem die Zeit besser im Horizont der menschlichen Freiheit erfassen zu können, wendet sich A. der Philosophie Kants zu (64–101). Im Blick auf die Zeit gilt A. besonders Heideggers Kant-Interpretation als maßgeblich. Demnach ist die Erscheinungsweise der transzendentalen Apperzeption die Zeit; die Einheit des »Ich denke« zeigt sich als zeitbildend beziehungsweise »zeitigend«. A. streicht weiter heraus, dass Kant den Bereich der theoretischen Vernunft begrenzt, um den Raum der Freiheit im Zusammenhang der praktischen Vernunft zu eröffnen. Die menschliche Freiheit in praktischer Absicht ist intelligibel: Als Zweck an sich hat der Mensch, der sich selbst bestimmt, die zeitliche Dimension der empirischen Erscheinungswelt überwunden. Insofern kann man nach A. davon sprechen, dass bei Kant der Mensch die Dialektik von Zeit und Ewigkeit ist. Darin sieht A. ein grundlegendes Problem, insofern sich die Ewigkeit bei Kant als Grenzbegriff tendenziell verflüchtigt: Während die traditionelle Metaphysik die Zeit zu Guns­ten der Ewigkeit überspielt, scheint bei Kant die Ewigkeit zu Guns­ten der Zeit überspielt. Letzteres ist nach A. in aller Konsequenz in Heideggers Philosophie (102–134) der Fall. Im Mittelpunkt der Interpretation steht das Frühwerk Heideggers, wie es be­son­ders in »Sein und Zeit« greifbar ist. A. zufolge entzieht Heideggers Bestimmung vom Tod als der absoluten Grenze der Zeit der Rede von der Ewigkeit die Grundlage. A. kritisiert an dieser Position Heideggers vor allem, dass sie den Horizont des Universalen und der praktischen Verantwortung zu verfehlen droht.
Der zweite Teil (135–332) versucht mit Hilfe von Schellings Spätphilosophie und Hegels Denken die Zeit als Eröffnung der Zukunft Gottes zu verstehen, die material als Überwindung von Not, Gewalt und Ungerechtigkeit und formal als verheißungsvolle Erzählung fassbar wird. Dabei kann Schellings Spätphilosophie (135–201) als eine Radikalisierung von Kants Einsichten begriffen werden, insofern Schellings Spätphilosophie nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Vernunft restringiert. A. zu­folge bereitet der späte Schelling in seiner sog. negativen Philosophie mit seiner Potenzenlehre rational den Raum für eine Rede von Gott, die in der sog. positiven Philosophie als eine Vereinigung von Logos und Mythos auftritt: In der immer wieder neu zu erzählenden Erzählung von Jesus Christus wird die Durchbrechung des kosmischen Unheils und der menschlichen Unfreiheit geschichtlich fassbar und plausibel vermittelbar. In dieser Erzählung selbst wird Gott in seinem Kommen transparent. Dies führt A. dazu, der Gleichnisauslegung und Eschatologie Eberhard Jüngels eine hohe Affinität zu Schellings Spätphilosophie zu attestieren. Auch die Differenz von Schelling und Hegel wird für A. an diesem Punkt greifbar, insofern Hegel nach Schellings Urteil Gott in seiner Zukünftigkeit aus den Augen zu verlieren droht. Hierbei macht A. überzeugend deutlich, dass der aus Hegels Perspektive mögliche Einwand fehlgeht, der späte Schelling bleibe im bloß der bildlichen Vorstellung verhafteten Denken stehen. Umgekehrt betont aber A. auch in seiner Hegel-Auslegung (202–316), dass Hegel keineswegs die Gegenwart als Ewigkeit im Sinn der aktuellen Enthüllung der Selbstvergegenwärtigung der absoluten Vernunft ausgibt, wie Schelling moniert. Vielmehr kann A. zu­folge Hegel auch so interpretiert werden, dass die Zeit ein offenes Geschehen ist. So sieht er im Liebesbegriff von Hegels Jugendschriften eine eschatologische Spannung angelegt.
Dieser Gedanke wird nach A. in Hegels »Phänomenologie des Geistes« und »Wissenschaft der Logik«, die er als die beiden Hauptwerke von Hegels spekulativer Philosophie nebeneinanderstellen kann, weitergeführt: In der Anerkennung des Anderen geschieht eine Freigabe der Zeit, worin die menschliche Freiheit im Horizont Gottes denkbar wird. Der Rede Hegels von der »Tilgung der Zeit« geht es entsprechend nicht um eine zeitlose Notwendigkeit, sondern um den Abbau von Objektivierungen des Ichs, die dem Anderen entgegenstehen. Hegels Dialektik »verzeitlicht« das Denken radikal, weil diese Dialektik jede Verobjektivierung an einem Ort unmöglich macht. Gott offenbart sich als die damit verbundene Ortlosigkeit (»U-Topie«) der Veränderung, in der mit Hegel gesprochen »alle Substanz untergeht«.
Im »Epilog« (317–332) unternimmt A. im Anschluss an seine von Schelling inspirierte Hegel-Deutung den Versuch, die Erzählung von Jesus Christus als Anfang, Mitte und Ende der Zeit zu deuten, in welcher der Mensch als der Gast der Zeit in den Blick kommt. Mit der Rede vom Gast verbindet sich dabei die Einsicht in die Dialektik von dem Eigenen und Fremden. In diesem Zusammenhang kann A. auch die Vorstellung vom Miteinander im »himmlischen Jerusalem« und die Einsicht der liturgischen Zeitdimensionen von Anamnesis, Doxologie und Epiklese einbringen.
A. legt ein höchst anregendes und sprichwörtlich inspirierendes Buch vor, dessen interne Bezüge mit einem Sach- und Personenregister noch besser deutlicher geworden wären. Doch der Grundgedanke ist klar: Die Zeit ist gleichsam der Raum, den Gott dem Menschen eröffnet, um ihm als der Andere zu begegnen. Zeit wird damit nicht chronologisch-naturwissenschaftlich, sondern theologisch verständlich – als die Wohnstätte, die Gott sich und dem Menschen bereitet und einräumt. A.s Einzelinterpretationen der verhandelten Philosophen reizen zur Diskussion. Meines Erachtens ist dabei besonders die Frage entscheidend, ob Schellings Spätphilosophie und Hegels Dialektik kombiniert werden können: Ist Hegels Theorie der absoluten Selbstvermittlung der Dialektik wirklich mit Schellings spätem Konzept diagnostischer Rationalität vereinbar, wenn Letztere an die Praxis des Anderen gebunden bleibt? Und bedarf der Gedanke, dass die Zeit frei und eigenständig ist, nicht einer Ewigkeit, die ihrerseits auch von der Zeit absehen kann und insofern frei ist?