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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

718–720

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Metzler, Regine [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Stephan Roth 1492–1546. Stadtschreiber in Zwickau und Bildungsbürger der Reformationszeit. Biographie. Edition der Briefe seiner Freunde Franz Pehem, Al­tenburg, und Nicolaus Günther, Torgau.

Verlag:

Leipzig: Verlag der Säch­sischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, in Kommission bei Steiner, Stuttgart, 2008. 668 S. m. 18 Abb. gr.8° = Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 22. Geb. EUR 86,00. ISBN 978-3-515-09126-8.

Rezensent:

Martin Brecht

Es ist sehr zu begrüßen, dass wieder einmal eine Publikation vorgelegt wird, die vornehmlich auf den Beständen der Ratsschulbibliothek Zwickau basiert. Diese Schatzkammer der Reformationsgeschichte ist der Forschung ansonsten leider etwas aus dem Blick geraten. Die Herausgeberin hat sich als Germanistin über die Syntax der einschlägigen Quellen habilitiert. Die Hauptfigur, Stephan Roth, ist als Bezugsgröße der lutherischen Reformation einigermaßen geläufig; seine Klassifizierung als Bildungsbürger bleibt un­scharf. Erstaunen mag zunächst, dass der Biographie zwei an die Hauptfigur gerichtete Briefkomplexe beigegeben sind, die man in dessen reichem Bezugsgeflecht nicht unbedingt erwartet hätte. Der Band ist mit seinen diversen Übersichten, Registern und Verzeichnissen wohl ausgestattet. Bei den Abbildungen bedauert man jedoch, wie allgemein die Unterschriften gehalten sind. Auf Druck- und Lesefehler stößt man immer wieder. Die Einleitung bietet vorweg einen Überblick über die Komplexe des Roth-Nachlasses in der Ratsschulbibliothek und im Stadtarchiv Zwickau.
Die eigentliche Biographie des aus Zwickau stammenden Schuh­machersohns Roth (19–223) präsentiert eingangs erstmalig die Papiere des mit einem Ratsstipendium ausgestatteten Schülers (1504–1512 in mehreren Städten: nämlich Zwickau, Glauchau, Chemnitz, Annaberg, Halle und Dresden) und des Studenten der Artes (1512–1517 in Leipzig) – ein derart reichhaltiges Material, dass es nur in Auswahl Berücksichtigung findet, auch wenn die Bildungsgeschichte dies bedauern mag und der Leser gerne vollständig informiert wäre. Wie Roth bereits in jungen Jahren derartig viele Bücher erwerben konnte, bleibt ein Geheimnis. Die dem Un­terricht an Schule und Universität zu Grunde liegenden Drucke sind intensiv bearbeitet und annotiert, was aber in der Darstellung nur teilweise ausgewertet wird, weil die Rezeption lateinischer Quellen, wie mehrfach bemerkbar, offensichtlich Schwierigkeiten be­reitet. Auch bei der vorgeschlagenen Auflösung lateinischer Abkürzungen ist Vorsicht geboten. Wenig Kenntnis des einstigen akademischen Betriebs verrät die anachronistische Zuordnung mancher Texte zu Seminaren. Die kurzen Texteinheiten spätmittelalterlicher oder humanistischer Provenienz müssen anders erklärt werden. Gerne wüsste man genauer, wie sich Roth auf die neue Bewegung des Humanismus eingestellt hat. Schon während seines Studiums in Leipzig ist Roth vielen Kommilitonen wie Rörer, Mohr, Camerarius, Aurogallus, Agricola oder Cruciger begegnet, die auch später noch in Wittenberg seine Wege kreuzen sollten. Von 1517 bis 1522 war Roth zunächst Schulmeister in Zwickau und im boomenden Joachimsthal. In dieser Zeit ist er sowohl Müntzer als auch Karlstadt begegnet (und hat nach seiner Gewohnheit Predigten von ihnen nachgeschrieben).
Die Gründe für den Wechsel nach Wittenberg 1523 und seine weiteren Ziele gelten als unklar. Ermöglicht hat den Aufenthalt wohl ein Familienstipendium. Eine kirchliche Tätigkeit ist zunächst nicht sicher belegt. Nachgeschrieben hat Roth vor allem theologische und daneben artistische und juristische Lehrveranstaltungen. Inhaltlich geht die Darstellung darauf freilich nicht ein, obwohl die Eigenart von Roths Rezeption sichtlich Interesse verdient. Bekannt geworden ist Roth zunächst als Korrektor, Herausgeber und Übersetzer reformatorischer, aber auch humanistischer Veröffentlichungen. Dabei arbeitete er u. a. mit dem in dieser Hinsicht wichtigen Rörer zusammen. Luther wusste Roths Arbeit meist zu schätzen, auch wenn er gelegentlich Vorbehalte äußerte. Roths Ausgaben von Luthers Postillen werden hinsichtlich ihrer Authentizität kritisch eingeschätzt. Bleibend sind außerdem Roths Verdienste als Sammler von Lutherana geworden. Eine berufliche Lebensstellung hat sich aus Roths editorischen Aktivitäten gleichwohl nicht ergeben. In Wittenberg hat Roth auch Ursula Krüger, seine erste Ehefrau, geheiratet. Die kinderlose Ehe war zumindest nicht immer glücklich. Schon vor Ursulas Tod gibt es Andeutungen einer weiteren Beziehung zur nachmaligen zweiten Ehefrau.
1528 kehrte Roth nach Zwickau zurück und wurde dort Stadtschreiber. Die mehrfach sich bietenden Optionen auf Pfarrstellen realisierte er nicht, obwohl einmal die doch wohl ernst gemeinte pointierte Selbstbezeichnung als Clericus coniugatus begegnet (193). Neben den Bürgermeistern prägte er die Administration der Stadt wesentlich. Deshalb geriet er auch in das Zerwürfnis des Stadtregiments mit Luther wegen verschiedener Pfarrer, die mit ihrer kritischen Verkündigung immer wieder Anstoß erregten. Beide Seiten hatten für ihr Unabhängigkeitsstreben gute Gründe. Luthers zunehmende Härte wirkt zumindest hier recht problematisch. Die Tätigkeit des Stadtschreibers wird auf Grund der Interessen der Herausgeberin unter der Überschrift Alltag im Beruf ausgebreitet. Die Tätigkeit eines städtischen Spitzenoffizianten jener Zeit wird dabei exemplarisch sichtbar. Darüber hinaus übte Roth zunehmend auch überregionale Funktionen im sächsischen Kurfürstentum aus, was ihn für seine auswärtigen Schreiberkollegen zu einer wichtigen Bezugsperson machte. 1543 mündete Roths Karriere schließlich für wenige Jahre noch im Ratsherrenamt. Seine stattliche Bibliothek und seinen schriftlichen Nachlass vermachte Roth der städtischen Schule. Die Darstellung verzichtet auf eine eigene umfassende Würdigung, die an sich angebracht gewesen wäre, und begibt sich damit der Chance einer allgemeinen Qualifizierung ihres Helden im Kreis der lutherischen Gelehrten und der politischen kursächsischen Akteure. Damit bleibt die Studie unter ihren Möglichkeiten.
Es folgen die Biographien sowie die Korrespondenzen (insgesamt 329 Stücke) der beiden gleichfalls aus Zwickau stammenden Briefschreiber Franz Pehem (1498–1558) und Nicolaus Günther (nach 1500–1545), der eine Geleits- und Amtsschreiber in Altenburg, der andere Kanzleischreiber in Torgau. Ihre Funktionen brachten es mit sich, dass sie ständig in schriftlichem oder auch persönlichem Kontakt zu Roth standen. Die administrative Beziehung wird dann nicht allein zur Information benutzt, sondern auch zu gegenseitigen persönlichen Dienstleistungen und Gefälligkeiten – von der Lebensmittelbesorgung bis zur schulischen Unterbringung von Kindern. Gemeinsam besuchte man regelmäßig die Leipziger Messen, was wohl auch Roths Bibliothek zugute kam. Bedeutende Briefdokumente kamen bei all dem allenfalls ausnahmsweise zu Stande, große Ereignisse finden immerhin gelegentlich Erwähnung, aber man erhält einen lebendigen Einblick in die damaligen persönlichen Verhältnisse von Vertretern der Mit­telschicht. Insgesamt bekommt man mit Biographie und Edition zusammen also interessante Aspekte, wenn auch nicht das thematische Ganze geboten. Aber damit ist schließlich das Interesse nach mehr geweckt und das dürfte sich lohnen.