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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1102–1104

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Ignatzi, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Die Liturgie des Begräbnisses in der katholischen Aufklärung. Eine Untersuchung von Reformentwürfen im südlichen deutschen Sprachgebiet

Verlag:

Münster: Aschendorff. 1994. XL, 353 S. gr. 8o = Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, 75. Kart. DM 98,­. ISBN 3-402-04054-9

Rezensent:

Friedemann Merkel

IAlfred Ehrensperger hat in seiner 1971 erschienenen Monographie "Die Theorie des Gottesdienstes in der späten deutschen Aufklärung (1770-1815)", die bis heute als Standardwerk anzusehen ist, nicht nur die protestantische, sondern aus guten sachlichen Gründen auch die katholische Liturgik untersucht. Aber es war klar, daß innerhalb der katholischen Liturgiewissenschaft noch erhebliche Forschungsarbeit zu leisten sein würde, um hinreichende Kenntnisse und Erkenntnisse über diese Epoche zu gewinnen.

In den letzten Jahren ist diese Arbeit in bemerkenswerter Weise in Gang gekommen. Hier ist besonders zu verweisen auf die Studien von Manfred Probst (Gottesdienst in Geist und Wahrheit. Die liturgischen Ansichten und Bestrebungen Johann Michael Sailers, StPli 2, 1976; Der Ritus der Kindertaufe. Reformversuche der katholischen Aufklärung des deutschen Sprachbereichs, TThSt 39, 1981), Bernhard Kranemann (Die Krankensalbung in der Zeit der Aufklärung, LQF 72, 1990) und verschiedene Werke von Friedrich Kohlschein (vor allem der von ihm hg. Band ´Aufklärungskatholizismus und Liturgie´ in Pietas liturgica studia 6, 1989).

Der Vf. der vorliegenden Schrift gibt einen informativen Überblick über die Forschungsgeschichte der katholischen Aufklärungsliturgik und zeigt, wie bedeutsam diese Bewegung auch in der katholischen Kirche gewesen ist, auch wenn ihre Ergebnisse zeitgebunden blieben und (zunächst wenigstens) keine fortdauernde Wirkung zu entfalten in der Lage war. Im ganzen zeigt sich in der vorliegenden Untersuchung wieder einmal, daß die von Protestanten wie Katholiken vermutete Einheitlichkeit der römischen Kirche, wie sie im ritus servandus von 1570 und in dem für unser Thema normierenden Rituale Romanum angelegt war, durch die Aufklärung in Frage gestellt und in bemerkenswerter Weise in der Praxis der katholischen Bestattung aufgebrochen wurde.

Wie relativ eigenständig die Diözesen zur Zeit der Aufklärung (etwa 1770-1830) hinsichtlich des Ritus der Beerdigung gewesen sind, zeigt die vorliegende Studie in eindrucksvoller Weise. In ihr werden insgesamt 30 "amtliche" Diözesanritualien, vorwiegend aus der Zeit der sog. Spätaufklärung (1800-1830), untersucht. Dazu kommen aus dieser Zeit nicht weniger als 116 "nichtamtliche" Bestattungsformulare. Damit erweist sich diese Zeit, ausweislich solcher Fülle, wieder einmal als eine liturgisch fruchtbare und innovatorische Epoche, was auch den Ergebnissen evangelischer liturgiewissenschaftlicher Forschung entspricht. Das Forschungsgebiet ist hier mit methodisch gutem Grund auf Süddeutschland beschränkt, faktisch auf die Diözesen Bamberg, Freising, Konstanz, Mainz, Passau, Regensburg und Würzburg, sowie auf die österreichischen Bistümer Leoben, Linz und Salzburg. Die Aufklärung wirkte durchaus flächendeckend auf ganz Süddeutschland.

Die Studie fußt auf gedruckten wie handschriftlich überlieferten Quellen, die sorgsam bis in Einzelheiten dokumentiert und kommentiert werden. Hier sind als Vff. neben vielen anderen besonders B. M. Werkmeister, V. A. Winter, I. H. Wessenberg und J. N. Müller zu nennen.

Der Autor läßt ein facettenreiches Bild der Begräbnisriten für Erwachsene und Kinder entstehen. Dabei beziehen sich die Reformen nur ganz selten auf die eigentlichen Totenoffizien. Ob man daraus auf deren praktische Bedeutungslosigkeit für die Aufklärungsliturgiker schließen kann (293), ist mir fraglich. Eher wurde die Totenmesse als unveränderlich angesehen und zelebriert, während die eigentliche Bestattung freiere Entfaltung bot.

Faßt man die mannigfaltigen Einzelheiten ­ mit dem Autor ­ zusammen, so lassen sich bei allen Unterschieden im Detail doch einige wichtige übergreifende Ergebnisse formulieren: 1. Die Bestattungsritualien bedienen sich entweder ganz oder in weiten Teilen der Muttersprache. Die Entscheidung gegen das kultische Latein ist für den aufgeklärten Seelsorger von fundamentaler Bedeutung. Das Kirchenvolk soll verstehen können, was gesagt und gehandelt wird, damit es belehrt und erbaut wird. Riten, z. B. die Aspersi bedürfen der Deutung durch Begleitworte.

Besonders hervorstechend ist die Kasualisierung der Begräbnisfeier. Das besagt, daß es verschiedene Formulare für die Feier hinsichtlich ihrer familiären und gesellschaftlichen Stellung zur freien Verfügung gibt. Es wird zum formulierten Unterschied, ob ein junger Mensch, ein Mann oder eine Frau, ein Vater oder eine Mutter, ein Vorgesetzter, ein Lehrer, ein reicher oder armer Mensch oder ein Dienstbote begraben wird. Die Formulare und die adäquate Wahl von Texten und Liedern ermöglichen ein pastorales Eingehen auf den jeweiligen Kasus. Die Situation der Hinterbliebenen und der versammelten Trauergemeinde findet ihre durch die Seelsorge begründete Berücksichtigung in Orationen, Liedern und bisweilen auch durch die Leichenpredigt. Das Gebet der Kirche gilt nicht nur den Verstorbenen, wie in der römischen Tradition, sondern auch den Lebenden. Wie allenthalben evident wird, sind zahlreiche Überlegungen und Vorschläge in deutlicher Bezugnahme auf evangelische Theologen der Aufklärungsliturgik entstanden. Der Titel von Winters Werk drückt diese Beziehungen beispielhaft aus. "Erstes deutsches kritisches, katholisches Ritual mit stetem Hinblick auf die Agenden der Protestanten" (1811). Die Verbindung mit den gleichgesinnten Evangelischen überwindet die Trennung der Konfessionen.

Bemerkenswert bleibt, daß der Vf. feststellt, daß die Aufklärung auf dem Friedhof in ihrer Wirkungsgeschichte Episode geblieben ist. So ist etwa die Ablösung des lateinischen Ritus durch die muttersprachliche Beerdigungsfeier nicht fortgesetzt worden ­ bis zum 2. Vatikanischen Konzil und seinen Umsetzungen in "Die kirchliche Begräbnisfeier in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebiets (l972)." In diesem Rituale finden manche Anliegen der Aufklärung ihre (späte) kirchenamtliche Fixierung.

Die Studie ist methodisch überzeugend angelegt. Sie breitet gelehrt das Material aus, vergleicht und bündelt mit großem Geschick die Gegenstände und vertieft theologisch angemessen. Sie entläßt den Leser reich belehrt über ein bislang kaum erschlossenes Gebiet, so daß man wünschen kann, daß auch andere sich der katholischen Aufklärungsliturgik zuwenden. Hier ist immer noch viel zu tun (z.B. der Ritus der Eheschließung und der Firmung). Die vorliegende Untersuchung zeigt jedenfalls, daß eine bisweilen theologisch wenig geschätzte Epoche uns heute durchaus zu interessieren vermag, wenn sie einen so kompetenten Bearbeiter findet, der es überdies noch versteht, trotz notwendiger, eher statistischer Mitteilungen gut lesbar zu schreiben.

Übrigens: Württemberg ist Königreich und Baden Großherzogtum ­ nicht umgekehrt (12).