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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

701–704

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Christiane

Titel/Untertitel:

Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. XX, 689 S. gr.8° = Ancient Judaism and Early Christianity, 69. Geb. EUR 208,00. ISBN 978-90-04-15812-2.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Angesichts der langen, in Dogmatik und Philosophie ebenso wie in der alttestamentlichen Wissenschaft geführten Diskussion um eine »Theologie des Gottesnamens« muss es verwundern, dass dieses Thema in der neutestamentlichen Exegese bisher nur am Rande behandelt worden ist. Während die christologischen Hoheitstitel zum zentralen Gegenstand neutestamentlicher Theologie avancierten, traten die Gottesbezeichnungen des Neuen Testamentes ganz in deren Schatten zurück und wurden weitgehend nur in christozentrischer Perspektive wahrgenommen.
Die vorliegende Untersuchung, eine Berliner Habilitationsschrift aus dem Jahr 2005, nimmt sich dieser Thematik erstmals in monographischer Breite an. Dabei fügt sie nicht nur zu einem Gesamtbild zusammen, was bislang an verstreuten Mosaiksteinen schon hier und da erarbeitet wurde. Vielmehr stellt sich die Vfn. dem Anspruch, die verschiedenen Funktionen neutestamentlicher Gottesbezeichnungen miteinander in Beziehung zu setzen. Dass dabei eine Auswahl unumgänglich ist, liegt auf der Hand. Nach einem Überblick über den Gesamtbestand an neutestamentlichen »Gottesbezeichnungen« erfolgt deshalb eine Konzentration auf sechs zentrale Bereiche. So entsteht eine solide Basis, auf der weitere Detailstudien aufbauen und weiterarbeiten können.
Im Kern der Arbeit geht es um eine philologische Analyse jener sprachlichen Ausdrucksformen, die in den neutestamentlichen Schriften vorzugsweise für den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs als den Vater Jesu Christi gebraucht werden – also jener Metaphern, »die das Prädikat θεός in frühchristlichen Texten genauer bestimmen und/oder an seine Stelle treten und θεός in einer Referenz auf den einen jüdisch-christlichen Gott kennzeichnen« (22). Als promovierte Gräzistin verfolgt die Vfn. dabei einen methodischen Ansatz, der die Bedeutung der »Kennzeichnungen« Gottes zuerst aus den konkreten Kontexten zu erheben versucht. Darin sind jedoch die »diachronen Kontexte«, d. h. die jeweiligen sprachlichen Konventionen, mit einbezogen. Für jede einzelne Bezeichnung wird deshalb nach der Befragung ihrer traditionsgeschichtlichen Entwicklung der Befund auf der Ebene der relevanten neutestamentlichen Schriften ermittelt.
Unter »I. Einleitung« erfolgt die Klärung der wichtigsten Vorfragen. Das betrifft vor allem das Phänomen einer »Theo-logie« des Neuen Testaments im unmittelbaren Sinn des Wortes – seine theologischen Implikationen, seine sprachphilosophische Dimension und seine bisherige Wahrnehmung in der Forschung. Das Problem der Terminologie (Namen, Epitheta, Prädikate usw.) wird zu Guns­ten des Begriffes »Gottesbezeichnungen« entschieden. Als Kriterium für eine sinnvolle Auswahl gilt die möglichst breite Repräsentanz; in den folgenden sechs großen Kapiteln werden vor allem solche­ Bezeichnungen aufgenommen, die bereits einen »In­sti­tutiona­lisie­rungsprozess« durchlaufen haben. Um eine erste Orien­tierung zu den maßgeblichen sprachlichen Konventionen zu ermöglichen, steht bereits in diesem ersten Teil ein Überblick über die Geschichte von Gottesbezeichnungen im Alten Testament (hebräisch, aramäisch und griechisch) und in den frühjüdischen Schriften sowie über die Geschichte von Götterbezeichnungen in griechischen paganen Texten und in der politischen Herrschertitulatur. Für den weiteren Gang der Untersuchung bleiben diese Referenzbereiche durchgängig präsent. Auch die doppelte Perspektive, die sich daraus ergibt (intra- und interreligiös), wird grundsätzlich reflektiert und in den folgenden Exegesen immer wieder überprüft.
Was die Analyse der ausgewählten Gottesbezeichnungen konkret zu Tage fördert, kann angesichts der großen Detailfülle in dieser Rezension nur angedeutet werden. Als instruktiv erweist sich, dass hier ein Gesamtrahmen vorgelegt wird, innerhalb dessen sich auch die spezifischen Profile und Entwicklungen einzelner Gottesbezeichnungen gegenseitig erhellen. Dadurch gelingt es, gängige und etablierte Sichtweisen gelegentlich mit neuen Vorzeichen zu versehen.
Die konkreten Untersuchungen beginnen mit »II. Der Vater«. In Auseinandersetzung mit der komplexen, lange Zeit von Joachim Jeremias dominierten Forschungslage löst sich die Vfn. aus der Fixierung auf den Vokativ der Gebetssprache und unternimmt einen breit angelegten Survey durch die jüdische und pagane Literatur, bevor sie an die neutestamentlichen Belege herantritt. Dort spielt unter den 21 behandelten Textkomplexen das »Vatergebet« erwartungsgemäß eine zentrale Rolle. Tief in jüdischer Gebetspraxis verwurzelt besteht sein besonderer Akzent darin, dass hier eine »Zusammenstellung von ›Vater‹ und βασιλεία unter betonter Voranstellung der Vateranrede« (87) stattfindet. Sorgfältig wird die Bezeichnung dann durch alle weiteren Schriften verfolgt, wobei vor allem bei Joh eine Art Paradigmenwechsel zu erkennen ist: Das absolute »der Vater«, das dem absoluten »der Sohn« korrespondiert, basiert auf dem Verständnis präexistenter Vaterschaft Gottes in Bezug auf Jesus; »der Vater lässt sich nur noch über den Sohn erkennen« (123).
Den breitesten Raum nimmt »III. Der Herr und Herrscher« ein. Hier wird zunächst die lange Diskussion um die Übertragung des Tetragramms durch den Begriff κύριος vor dem Hintergrund einer weiter bestehenden Eigenständigkeit von Adonaj sowie anderer »Ersatznamen« aufgenommen. Die breit gefächerte Bestandsaufnahme der Konnotationen von κύριος in der LXX und in den frühjüdischen Schriften sowie seiner Verwendung in der hellenis­tisch-römischen Religiosität und Herrschertitulatur bietet die Basis für eine erschöpfende Analyse aller neutestamentlichen Belege. Besonderes Gewicht kommt dabei der doppelten Referenz der κύριος-Bezeichnung auf Gott und Christus (namentlich in der Briefliteratur) sowie den häufig zitierten alttestamentlichen Prätexten selbst (namentlich in den Evangelien und in der Apostelgeschichte) zu. Das Moment einer Kontrastierung lässt sich eher im politischen als im religiösen Bereich erkennen. In diesen Zusam­menhang gehört dann auch die Analyse von Bezeichnungen wie παντοκράτωρ/der Allmächtige, βασιλεύς/der König, δεσπότης/ der unumgängliche Herr, δυνάστης/der dynastische Herrscher sowie aller Aussagen von Gottes δύναμις. »Dennoch sind all diese Bezeichnungen nicht allein als pure Machtlexeme zu verstehen ... sondern konnotieren für die Glaubenden die Überzeugung, dass Gott allein es ist, der sie aus der Situation der Not und Bedrohung retten kann.« (342) Deshalb sind sie vor allem in hymnischen, doxologischen und epikletischen Texten zu finden.
Für »IV. Der Schöpfer« steht nur eine vergleichsweise schmale Textbasis zur Verfügung – im Gegensatz zu der breiten Entfaltung des ganzen Vorstellungskreises in Altem Testament und Frühjudentum sowie im paganen Ursprungsdenken, auch wenn Gottes Schöpfermacht selbstverständlich vorausgesetzt wird. Auffällig ist die terminologische Variabilität der Bezeichnungen, die zwischen partizipialen und nominalen Wendungen changiert. Zentrale Bedeutung gewinnt Röm 4,17 mit dem Bezug des lebenschaffenden Handelns Gottes auf die Schöpfungsgeschichte in Gen 1. Dass darin auch Christus einbezogen werden kann, zeigen Kol und Eph. Weitere Belege bieten lediglich noch Mt, Apg, Apk, 1Petr und Hebr.
Als damit verwandt, doch weitaus breiter belegt, erweist sich »V. Der Lebendige, der lebendigmachende Gott und Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat«. Auch wenn hier vermutlich »ein aus dem Diasporajudentum übernommenes Bekenntnis« (386) aufgegriffen wird, erhalten gerade diese Bezeichnungen in christologischer Perspektive ein besonderes Profil. Neben ihrer Beheimatung in einer Art »Umkehrsprache« wird das Bekenntnis zu Gott als dem, der Jesus Christus lebendig gemacht hat, zu einem entscheidenden Proprium des christlichen Gottesbildes überhaupt. Darin eröffnet sich die Verheißung von Leben in eschatologischer Perspektive für alle, die an Christus glauben, in einzigartig neuer Weise.
Zum jüdischen Erbe lenkt »VI. Der Einzige« zurück. Wiederum bleibt die Textbasis schmal, doch in diesem Falle beschreiben die Belege zugleich ein Problem, das erst in der späteren Dogmenbildung zu seiner vollen Entfaltung kommt. In Relation zu dem monotheistischen, in ständiger Konfrontation mit der polytheis­tischen Religiosität seiner Umwelt stehenden jüdischen Grund­bekenntnis aus Dtn 6,5 beschreibt die von Paulus favorisierte Formel εἱ῀ς ὁ θεός eine Gratwanderung, die am prägnantesten in 1Kor 8,4 ff. zum Ausdruck kommt.
Das Moment des Kontrastes schließlich findet in »VII. Der höchs­te Gott« seinen faszinierendsten Ausdruck. Vor dem Hintergrund des religionsgeschichtlich bedeutsamen Kultes eines »El Eljon/θεὸς ὕψιστος« wird die Bezeichnung im hellenistischen Judentum in interreligiöser Perspektive popularisiert. Die wenigen neutestamentlichen Belege zeigen, dass etwa Lk für die Bezeichnung eine auffällige Vorliebe hegt; andere Schriften scheinen sie eher zu meiden. Die interreligiöse Perspektive schlägt sich im Neuen Testament vor allem in den Exorzismuserzählungen nieder.
Mit »VIII. Überblick und Ausblick« endet die materialreiche Untersuchung, in der die Belege der behandelten Gottesbezeichnungen erschöpfend analysiert worden sind. Als allgemeines Fazit kann gelten: In den Gottesbezeichnungen des Neuen Testamentes kommen zentrale Eigenschaften und Funktionen Gottes zum Ausdruck, »die einerseits erzählerisch oder argumentativ entfaltet werden, die jedoch andererseits vor allem in bekennenden, preisenden oder gebetsartigen Texten ihre Aufgabe im Dialog mit Gott erfüllen« (603). Kurze Ausblicke stellen noch einmal Charakteristika in den Gottesbildern einzelner Schriften heraus und unterstreichen dadurch die längst schon dokumentierte Vielfalt in der Rede von Gott.
Eine umfangreiche Bibliographie (617–674) erschließt die Lite­ratur in einer bislang noch nicht erreichten Vollständigkeit. Das knappe Stellenregister (477–689) erleichtert die Navigation durch die große Informationsfülle des exegetischen Hauptteiles.
Mit diesem Buch liegt eine fundierte Untersuchung vor, deren Wert weniger in einer neuen These als in der minutiösen Aufarbeitung und Aufbereitung eines breiten Quellenmaterials besteht. Wer sich zukünftig mit den Gottesbezeichnungen des Neuen Testaments befasst, findet hier eine umfassende Orientierung, eine Fülle detaillierter Beobachtungen sowie zahlreiche Anregungen und weiterführende Impulse.