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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

683–685

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zaman, Luc

Titel/Untertitel:

Bible and Canon. A Modern Historical Inquiry.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2008. XV, 714 S. gr. 8° = Studia Semitica Neerlandica, 50. Geb. EUR 139,00. ISBN 978-90-04-16743-8.

Rezensent:

Magne Sæbø

Diese Studie stellt einen in mehrfacher Hinsicht wichtigen Beitrag zur neueren theologischen Forschung dar, zumal sie – mehrere Disziplinen umfassend – das neuerdings große Interesse am biblischen Kanon in eine historische Perspektive einfügt, die einen längeren Zeitraum umfasst.
Die Monographie »Bible and Canon« weist allerdings selbst einen längeren Werdegang auf, »the long and laborious genesis of this study«. Sie hat erstens ihre Grundlage in einer Arbeit, die 1984 angefangen wurde und in eine Dissertation mündete, die Z. 2004 an der Universitätsfakultät für Protestantische Theologie in Brüssel eingereicht hat; doch im Verhältnis zu seiner Doktorarbeit ist dieses Buch »a revised and augmented version«. Zweitens ging Z.s Dissertation 1984 eine kleinere Studie über Rolf Rendtorffs Buch »Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch« (1977) voraus. So spiegelt seine Monographie eine recht lange Beschäftigung mit dem im Titel angegebenen Thema wider. Der Mentor auf dem langen Weg war zunächst Z.s erster Doktorvater H. Jagersma, der ihm 1984 die Konzentration auf das Thema des biblischen Kanons angeraten hatte, und nach Jagersmas Emeritierung K. A. D. Smelik, während der Neutestamentler P. J. Tomson als »joint su­pervisor« fungierte.
Die Arbeit hat einen übersichtlichen und weithin überzeugenden Aufbau und ist insgesamt gut geschrieben und hergestellt. (Doch leider wird das Bild durch unnötige Fehlschreibungen getrübt: ›canon‹ als ›cannon‹, ›Neukirchen‹ als ›Neunkirchen‹ oder ›Cullmann‹ als ›Cüllmann‹; die Korrekturlesung lässt also einiges zu wünschen übrig). Der Wert des Buches wird schließlich durch eine recht ausführliche Bibliographie (599–688) und durch Register der Bibelstellen sowie mehrerer »Key Terms« (699–714) noch we­sentlich erhöht. Z. hat sich in die sehr umfassende einschlägige Literatur gut eingelesen, wie vor allem aus den vielen (1432) und oft langen Anmerkungen hervorgeht.
Das Thema der Monographie ist, wie im Titel kurz und treffend angegeben, das von »Bible and Canon«. Der Hintergrund der Studie ist das erneut große Interesse an der die letzten Dezennien umfassenden Diskussion über den biblischen Kanon. Weil aber diese Debatte – aus der Sicht von Z. – der geschichtlichen Entwicklung des Kanons nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist das methodische Verfahren seiner eigenen Untersuchung ein durchaus geschichtliches, was auch im Untertitel deutlich wird: »A Mo­d­­ern Historical Inquiry«. Der geschichtliche Weg führt Z. hinter die moderne Kanondebatte, die forschungsgeschichtlich aufgearbeitet wird, zu ›Kanonansätzen‹ in der Bibel selbst – und zwar »to the preceding process of the canon’s growth«, »into the genesis of the canon«, wie es im »Prologue« heißt. Dabei kommen zwei Hauptanliegen Z.s zum Vorschein, die für die Struktur des Buches mit bestimmend sind.
Die Untersuchung ist dementsprechend sinnvollerweise in zwei Hauptteile gegliedert. Von einem in die aktuelle Problemlage einführenden »Prologue« (1–12) und dem abschließenden Kapitel 8 (mit »Conclusions« sowie einem »Epilogue«, 538–598) umrahmt, erörtern die fünf Kapitel des kürzeren Hauptteils I forschungsgeschichtlich und kritisch »The Historical Investigation into the Biblical Canon: Present State and Task« (13–211). Und der längere Hauptteil II untersucht, in zwei Kapiteln, »The History of the Formation of the Biblical Canon« (212–537), was Z. als sein neuer Beitrag wohl am wichtigsten ist. Allerdings werden dabei weithin Fragen aufgegriffen, die üblicherweise der alttestamentlichen ›Ein­leitung‹ überlassen werden. Im Übrigen liegt der besondere Griff der Monographie im Zusammenhang und Zusammenhalten dieser zwei Hauptteile mit ihren jeweiligen Anliegen.
Im »Prologue« wird das Buch mit dem einfachen Satz: »The canon is in« eröffnet, um so den Fragen dazu: warum? und: auf welche Weise? kritisch nachzugehen. Nach einer sehr raschen Skizze des von der Bibel bis zur Gegenwart reichenden und dabei sich mehrfach ändernden Kanonverständnisses (Kapitel 1, 13–23) sowie der ›Kanon‹-Terminologie (Kapitel 2, 24–49) beginnt im Kapitel 3 die ausführliche Erörterung der Kanondebatte im Rahmen der übrigen Theologie (50–165), und zwar in der Form einer »Evaluation of Modern Canon Study«, die selbst noch einmal dreigeteilt ist: Zunächst wird die Periode »From the Reformation to 1970« (50–98), dann kurz »From 1970 to the Present« (98–108) und schließlich breiter »Biblical Research after 1970« (108–165) erörtert. Die geschichtliche Untersuchung spitzt sich auf eine kritische Bestandsaufnahme zu. Dabei wird in Kapitel 4 »The Present State of Historical Study of the Canon« (166–189) dargelegt, woraufhin sich Kapitel 5 der aktuellen Aufgabe: »A New Historical Study of the Canon: The Task« zuwendet. Bei alledem wird das Augenmerk vor allem auf Fragen der Hermeneutik gerichtet (190–211). Die Wasserscheide beim Jahr 1970 ist besonders von den profilierten Forschungen von B. S. Childs und J. A. Sanders inspiriert – ihnen wird, vor allem in den Kapiteln 3 bis 5, gebührend Aufmerksamkeit gewidmet. Wenn auch der erhebliche Einsatz von Sanders und Childs vielfach ge­rühmt wird, ist Z. jedoch der Meinung, dass Childs sein methodisches Anliegen nicht hinreichend durchgeführt habe (4–5). Diesen Mangel will er nun selbst ausfüllen. Das geschieht im nächsten Hauptteil.
Im »Part II: The History of the Formation of the Biblical Canon« (212–537), durch den ersten Hauptteil vorbereitet, wird dann der für Z. methodisch und argumentativ wichtige modus procedendi im Einzelnen ausgeführt. Um nicht nur einen geeigneten »starting point«, sondern auch eine Basis für seine Darlegung der langen Entstehung des Kanons zu ermitteln, die auch als Orientierungspunkt fungieren kann, konzentriert er sich zunächst synchronisch auf »The Canon Process around 560–521 BCE« (Kapitel 6, 212–267). Von da aus bewegt er sich im 7. Kapitel diachronisch – »The Period before 560 BCE« – zurück zu den älteren »traditions« sehr verschiedener Art (267–537).
Zentral in Z.s Geschichtsanalyse des Werdegangs des alttestamentlichen Kanons ist somit die Aktivität und das literarische Werk der Deuteronomisten, das er als »the single narrative running from Gen. to 2 Kgs« versteht. In Bezug auf dieses »single narrative« geht es ihm zunächst darum, »unifying ties and themes«, »the general tendency of the Deuteronomistic contribution to the Single Narrative« sowie seine typische »concentration and selection« des vorgegebenen und verwandten Materials aufzuzeigen, dann aber auch darum, seine »dynamic loyalty to tradition« und »author­ity« zu erörtern. Auf diese vielfache Weise erweist sich das große deuteronomistische Geschichtswerk als der vornehmste »Pioneer in the Canonical Process« und die Periode des Exils als »a time of canonical upsurge« (561–576).
Zu dem vereinheitlichenden Bild des deuteronomistischen Ge­schichtswerkes gehört aber auch eine vielgestaltete »pre-history«. Dabei werden zunächst »the legal traditions as source of the Dtr Single Narrative«, besonders das Bundesbuch (283–329), die Beiträge des »prophetic input« (329–495), die der »historical sources« (496–523) sowie schließlich die der »wisdom sources« (524–537) relativ ausführlich behandelt. Das Ganze ergibt ein recht langes und komplexes Bild der Entstehung des alttestamentlichen bzw. biblischen Kanons.
So darf die umfassende und gut dokumentierte Untersuchung – auch unabhängig von einer vollen Haltbarkeit ihrer besonderen Thesen und ihrer Struktur – als eine wahre Fundgrube für jeden gelten, der sich über die verschiedenen schwierigen Fragen zum Kanon orientieren will. Die Studie wird sicherlich zur weiteren Kanondebatte vielfältig und positiv beitragen.