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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

681–683

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Villanueva, Federico G.

Titel/Untertitel:

The ›Uncertainty of a Hearing‹. A Study of the Sudden Change of Mood in the Psalms of Lament.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2008. XIX, 285 S. gr.8° = Supplements to Vetus Testamentum, 121. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-90-04-16847-3.

Rezensent:

Beat Weber

Die in Bristol bei Gordon Wenham verfasste Dissertation des von den Philippinen stammenden Autors bietet einen Beitrag zu einer Thematik, die in jüngerer Zeit vermehrte Aufmerksamkeit erfahren hat. Längere Zeit vermochte die vor allem von Joachim Begrich vertretene Erklärung eines priesterlichen Heilsorakels als Grundlage für den sog. »Stimmungsumschwung« zwischen Klagebitte und Lobdank in der Psalmengattung »Klagelied des Einzelnen« zu überzeugen. Inzwischen mehren sich jedoch die Stimmen, die dieser »liturgischen« Deutung mit Skepsis begegnen und nach anderen Erklärungen für die Textphänomene suchen. In diese Diskussionslage der Psalmenforschung fügt sich die Studie ein. Sie richtet dabei den Fokus auf einen – wie V. sagt – vernachlässigten »Stimmungsumschwung«, nämlich die reversive Bewegung vom Lobdank zur Klagebitte. Wird der Wechsel von der Klage zum Lob mit Erhörungsgewissheit in Verbindung gebracht wird, so verbindet V. dieses gegenläufige Phänomen mit einer »Erhörungsungewissheit« (vgl. Haupttitel).
Im einleitenden Kapitel bietet V. die Forschungsgeschichte der Erklärungen zum »sudden change of mood« in den Psalmen. Sich auf Psalmen aus dem Psalterteilbuch I (Ps 1–41) beschränkend analysiert er zunächst repräsentative Psalmen mit der dominanten Entwicklungsrichtung von der Klage zum Lob (Ps 3; 6; 13).
Gleichsam als »Scharnierstück« in seiner Argumentation richtet V. anschließend sein Augenmerk auf Ps 22. Nach seinem Verständnis findet dort keine Entwicklung von der tephilla zur toda statt, vielmehr stehen die beiden formkritischen Größen bzw. Psalmteile zueinander in Spannung. Seine Interpretation einer (schroffen) Nebeneinanderstellung (juxtapositio) von V. 2–22 (Ps 22A) und V. 23–32 (Ps 22B) beruht auf einem spezifischen Verständnis des Schlussworts von V. 22. Er sieht nämlich die ursprüngliche Lesart in der LXX überliefert und bevorzugt die Deutung als Elendsbezeichnung: »meine arme (Seele)« o. Ä. Entsprechend schließt der erste Teil der Komposition Ps 22 nicht mit einer Erhörungsnotiz (so MT), sondern mit einem Moment der Ungewissheit, und der Übergang zum Lobdank ist als unvermittelt bzw. »plötzlich« einzustufen. Unter der Überschrift »From Praise to Lament« wird dann der Verlauf in den Psalmen 9/10; 27 und 40 nachgezeichnet. – Als Beispiel sei das alphabetische Akrostichon Ps 9 f. herausgegriffen. Als formkritische Hauptstruktur differenziert V. zwischen »Thanks­giving« (Ps 9,2–19) und »Lament« (Ps 9,20–10,18). Allerdings stimmt diese Gliederung nicht mit der Akrostichie überein, und auch die Verse 9,14–19 fügen sich mit den wiederholten Bitten an JHWH nicht zu dem, was üblicherweise unter die Gattungsbezeichnung »Danklied« gefasst wird. Der Wechsel vom Lobdank zur Klagebitte ist m. E. daher zwischen 9,13 und 14 anzusetzen.
Bei all diesen Psalmen konstatiert V. einen plötzlichen Um­schwung vom Danklied zur Klage. Dabei sieht er diese unübliche Reihenfolge darin begründet, dass damit die Spannung, die Leben und Glauben charakterisiere, unterstrichen werden solle.
Unter der Rubrik »Die Rückkehr zur Klage« werden im nächsten Kapitel die Psalmen 12 und 28 erörtert. Dabei werden neu auch Überlegungen zu Platzierung und Kontextualisierung der beiden Psalmen innerhalb des Psalters angestellt. – Bei Ps 12 konstatiert V. als Auffälligkeit, dass nach der hoffnungsvollen Aussage von V. 8 im Schlussvers eine Wendung zur Klage erfolge und der Psalm mit dieser – ohne Auflösung bzw. Klärung – schließe. Allerdings relativiert sich die Problematik, wenn man beachtet, dass der linearen Struktur eine mittezentrierte unterlegt ist (ABA’). Dann fügt sich die eröffnende Bitte (V. 2) zur abschließenden Klage (V. 9) mittels der poetischen Strukturfigur einer inclusio. Die Auflösung der Not bzw. Behebung der Klage ergibt sich – der Gesamtanlage entsprechend – von der Psalmmitte her (V. 5 f.), wo dem Frevler-Wort das Gerichtswort JHWHs gegenübergestellt wird.
Als letzte Variante formkritischer Anordnung referiert V. Beispiele von Psalmen, in denen eine Alternierung von Klage und Dank zu konstatieren ist. Dazu zählt er die Psalmen 31 und 35. Bei Ps 35 sieht dieser Wechsel im Einzelnen so aus: V. 1–8 »Klage« + V. 9 f. »Lob« // V. 11–17 »Klage« + V. 18 »Lob« // V. 19–26 »Klage« + V. 27 f. »Lob«. Der Psalm lässt nach Ansicht V.s deutlich werden, »that the movement is not just one-way or linear« (183).
Zuletzt untersucht V. zwei Texte außerhalb des Psalters, nämlich Jer 20,7–18 und Thr 3. In ihnen nimmt er, mit den aufgeführten Psalmen vergleichbar, ebenfalls eine Spannung zwischen Klage und Lob wahr. Damit wird über die Psalmen hinaus die Bedeutung des plötzlichen Stimmungswechsels in die ungewohnte Richtung einer »Uncertainty of a Hearing« unterstrichen. In der Schlussbilanz kritisiert V. die übliche formkritische Sichtweise, die einlinig die Bewegung von der Klage zum Lob nachzeichnet und gegenläufige Strukturen abblendet. Eine derartige Interpretation werde den Spannungen des Lebens und Glaubens, die den Psalmen zu Grunde liegen, nicht gerecht. Zudem wird seiner Ansicht nach das Klagen vor Gott weithin nur als »Übergang« angesehen, damit entwertet und einer zu optimistischen Weltsicht gefrönt.
Die Studie ist als Diskussionsbeitrag in einer für das Verständnis vieler Psalmen wichtigen wie schwierigen Fragestellung zu begrüßen, zumal diesbezüglich nach wie vor Klärungsbedarf be­steht. Die Monographie zeugt von einer profunden Kenntnis der Thematik, und V. nimmt die wesentliche Literatur zu diesem Forschungsgebiet zur Kenntnis. Er bietet zu den einzelnen Texten beachtenswerte Einsichten. Ob die Psalmenforschung zu stark einem ziel- bzw. lösungsorientierten Denken westlicher Prägung anheimgefallen ist, wie der V. mit seinem kulturell anderen (asiatischen) Hintergrund vermutet, muss anhand der Texte und der Kenntnisse altorientalischen Gebetsverhaltens diskutiert werden. Die Feststellung von Spannungen – »Tension« ist ein Schlüsselwort in dieser Studie! – im Gebetsablauf der Psalmen und der sich darin abbildenden Notverarbeitung führt m. E. allerdings nicht wesentlich weiter.
Dass dem so ist, braucht nicht bestritten zu werden. Als Gegenbewegung zu bisherigen Ansätzen droht V. der Gefahr zu erliegen, das schroffe und plötzliche Aufeinandertreffen von Klage und Lob respektive umgekehrt in der Tendenz überzubetonen und Prozesse innerhalb eines Psalms zu gering zu veranschlagen. Me­tho­do­logisch gesehen ist zudem der verspoetischen Eigenheit, dass Psalmen nicht nur als lineare Sprachbewegungen strukturiert sind, sondern eine »räumliche« bzw. »zyklische« Dimension aufweisen, zu wenig Rechnung getragen. Einige dieser »Stimmungsumschwünge« treten dann nochmals in ein anderes Licht. V.s Studie regt jedenfalls zur weiteren Beschäftigung mit einer wichtigen Fragestellung des biblisch-alttestamentlichen Betens an, und da­für ist V. zu danken.