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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

674–676

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brayford, Susan

Titel/Untertitel:

Genesis.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. VIII, 468 S. gr.8° = Septuagint Commentary Series. Lw. EUR 169,00. ISBN 978-90-04-15552-7.

Rezensent:

Michaela Bauks

Parallel zu dem kanadischen Projekt A New English Translation of Septuagint (NETS), Oxford University Press, dessen Genesis-Übersetzung von R. J. V. Hiebert zeitgleich mit dem zu besprechenden Band erschien, ist in der jüngst vom Brill-Verlag eingeführten Kommentarreihe nach den Auslegungen zu Josua, Tobit und 1–2Makkabäer die erste Kommentierung zum Pentateuch erschienen. Sie stellt derzeit die umfassendste Kommentierung der Genesis-Septuaginta (wie folgt LXX) in englischer Sprache dar, da sie neben der Übersetzung Text, Inhalt sowie den Forschungsstand ausgiebig kommentiert und somit zu der bisher vorliegenden vorzüglichen Sammlung von »Notes on the Greek Text of Genesis« durch J. W. Wevers (Atlanta 1993) eine willkommene Ergänzung bietet.
Die Vfn. skizziert das zu kommentierende Werk als ein Textkorpus, das es den griechisch sprechenden Juden in hellenistischer Zeit ermöglichte, die heiligen Texte der hebräischen Bibel in der neuen lingua franca zu lesen. In Abgrenzung zu der durch Aristeas und Philo von Alexandrien bezeugten Legendenbildung schließt sie sich der von der Mehrheit der Kollegen vertretenen Hypothese an, dass das Projekt unter Ptolemäus II. Philadelphus durch Diasporajuden realisiert wurde und sich vorerst auf die Übersetzung der Tora beschränkte. Die LXX in einheitlicher Fassung mit gleichbleibenden Übersetzern und Redaktoren hat es also nicht gegeben (2). Von einem festgelegten Regelwerk für die Übersetzung will sie angesichts der besonderen historischen Situation – es handelt sich um die erste Übersetzung religiöser nichtwestlicher Texte überhaupt – nicht ausgehen. Auch sei kaum anzunehmen, dass sie das Produkt von »Fachübersetzern« sei. Vielmehr dürfte es sich um die Arbeit von hebräisch-muttersprachlichen Übersetzern handeln, die sonst die Übersetzung profaner Texte bei Hofe oder im Handel tätigten. Daraus könnte sich auch die Vorliebe für Standardübersetzungen erklären (Bickerman, Rabin). Ob es den Übersetzern um möglichst präzise und literale Übersetzungen oder ob es um kulturell angepasste Übersetzungen geht, ist von Buch zu Buch neu zu untersuchen.
An Stelle einer kritischen Textrekonstruktion (s. Göttinger Modell; auf dieser Basis fußt die Übersetzung durch Hiebert in NETS) dient der Übersetzung als Basismanuskript der Codex Alexandrinus (5. Jh.; in der korrigierten Fassung von H. B. Swete, Cam­bridge Septuagint) (7 f.24 f.), der trotz eines Hanges zu theologischen Glossen und trotz vermuteter hexaplarischer Einflüsse als das vollständigste und beste Manuskript anzusehen und deshalb dem gesamten Projekt zu Grunde gelegt ist.
Die Vfn. bevorzugt im Zuge ihrer Untersuchung der Übersetzungstechniken einen exegetischen Ansatz (vgl. Wevers), der für die LXX-Übersetzung weitaus mehr interpretative Freiheit voraussetzt, als es die Kolleginnen und Kollegen tun, die Varianten zuvorderst auf der Basis unterschiedlicher Vorlagen erklären wollen (20 f.). Zum anderen stellt sie eine ursprüngliche Intention der vorliegenden Übersetzung in Frage (in Abgrenzung zu NETS), um stattdessen in ihr ein textgeschichtlich zu erklärendes Produkt zu sehen. Näher steht ihrem Ansatz bzw. dem Ansatz des gesamten Projekts die Vorgehensweise der französischen Kommentarreihe »La Bible d’Alexandrie« in ihrer ausdrücklichen Berücksichtigung der Rezeption im griechischen Kulturkreis bei weitgehendem Verzicht auf einen Vergleich mit den hebräischen Vorlagen. Somit stellen Wevers Notes und Harls Genesiskommentar zwei wichtige Referenzwerke für die Erarbeitung dieses Kommentars dar. Textkritische Überlegungen fließen an den Stellen ein, in denen Codex Alexandrinus einen von den anderen Textzeugen deutlich verschiedenen Text präsentiert. Die Exegese des Texts berücksichtigt sein »Eigenrecht« bezüglich literarischer, historischer, sozialer und theologischer Sichtweisen. Die Unterschiede zu einer (proto-masoretischen) hebräischen Textstufe werden vermerkt, ohne ausgewertet zu werden, da die Gründe und Ursachen für die Differenzen letztlich nicht sicher zu klären sind. Erklärtes Ziel des Kommentars ist die Reflexion »on the manner in which the readers of ALEX[andrinus] might have understood and interpretated their Greek Genesis« (26). Somit ist also mit diesem Band ein exegetischer Kommentar der griechischen Genesis auf Grundlage des Manuskripts A vorgelegt. Fragen zur Übersetzungsweise ins Englische sind verhandelt unter Berücksichtigung der lexikalischen Konsistenz, des Umgangs mit Parataxe und Hypotaxe (und den entsprechenden Konjunktionen etc.) sowie der emphatischen Konstruktionen, um schließlich Übersetzungsäquivalenzen für das gesamte Korpus zu definieren.
Der Band präsentiert übersichtlich auf 170 Seiten den griechischen Text (mit wenigen Hinweisen auf die Textänderungen von Swete) mit der entsprechenden englischen Übersetzung auf der gegenüberliegenden Seite. Im Anschluss daran findet sich der fast 250 Seiten starke Kommentarteil. Der Kommentar diskutiert in breitem Ausmaß vor allem die englischsprachige Literatur bezüglich der grammatischen, semantischen wie auch textgeschichtlichen Analyse der griechischen Genesis. Einige Aspekte, die die Grundsätze der Vorgehensweise belegen, seien im Folgenden stichprobenartig dargestellt:

1,1: Die breite Diskussion, ob die Übersetzung des Buchanfangs Spekulationen zu einem Schöpfungskonzept im Sinne einer »creatio ex nihilo« zulässt, zeigt ein gewisses leitendes Interesse an Textgeschichte aus dem Blickwinkel der Auslegungsgeschichte (ähnlich die Ausführungen zu V. 26 ff., Gottebenbildlichkeit). – 1,9–13: Sowohl die ergänzte Erfüllungsnotiz als auch die divergierende Semantik von συναγωγή für~םווקמ bzw. הוקמ gibt Anlass zu Ausführungen zur zu Grunde gelegten Kosmologie der griechischen Erzählung, enthält aber darüber hinaus auch Reflexionen zur Textgeschichte und zu den vorgegebenen Vorlagen des hebräischen Texts. – 2,1: Die Einführung des abstrakten Kosmosbegriffs an Stelle von תואבצ Heerscharen dient der Vfn. nach zum einen der Vermeidung des martialen Aspekts der hebräischen Sprache und zum anderen der Wegführung von der Himmelssphäre. Auf weitergehende traditionsgeschichtliche Überlegungen bezüglich der philosophischen Herkunft des Denkens wird indes verzichtet. – 2,2: Das Beenden der Arbeit am 6. Tag wird als bewusste Korrektur des MT (7. Tag) verstanden »to avoid any implication that God may have done some work on the seventh day ... Thus the translator sacrifices the accuracy of the translation for the importance of the tradition« (225). Positionen werden mitunter sehr knapp resümiert, um den Leser in die eigene Recherche zu entlassen.

Der Kommentar enthält eine sehr breite Materialsammlung. Die Prämisse, den Codex A zu Grunde zu legen, ist nur an wenigen Stellen eigens thematisiert. Auf eine kurze Zusammenfassung der typischen inhaltlichen und philologischen Züge dieses Manu­skripts ist ebenfalls weitgehend verzichtet worden.

Auffällig ist auch die privilegierte Diskussion der englischsprachigen Literatur. So fällt z. B. das Fehlen der Studie von Monique Alexandre sowie der die Bibliographie von Jellicoe fortführenden Bibliographie durch Cécile Dogniez auf. Die umfassende Studie von M. Rösel zu Gen 1–12 LXX findet zwar Erwähnung (205), ist aber darüber hinaus in der Diskussion nicht berücksichtigt (z. B. bezüglich der philosophischen Anleihen in der LXX-Übersetzung der Urgeschichte, 209 f.216). Weiterhin fand der hebräische Kommentar von Moshe A. Zipor, The Septuagint Version of the Book of Genesis, Bar-Ilan University Press, Ramat-Gan 2005, keinerlei Erwähnung. Etwas unbeholfen wirkt der Umgang mit nichtenglischer Literatur (wiederholt ist z. B. von »Taterbericht« in der Abgrenzung zu Wortbericht die Rede, so 209).

Die methodischen Prämissen des Projekts im Hinterkopf, vermag der Leser bzw. die Leserin durch den Kommentar in die Sprach- und Gedankenwelt der griechischen Genesis auf der Basis eines Manu­skripts guten Zugang zu finden. Umfassendere traditions- und auslegungsgeschichtliche Erklärungsansätze finden indes – wie in nicht biblisch-theologischen Kommentaren durchaus üblich – nur in sehr geringem Umfang Berücksichtigung.