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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

627-629

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fopp, Simone

Titel/Untertitel:

Trauung – Spannungsfelder und Segensräume. Empirisch-theologischer Entwurf eines Rituals im Übergang.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 462 S. 8º = Praktische Theologie heute, 88. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-17-019944-6.

Rezensent:

Ursula Roth

Schon seit mehreren Jahrzehnten lenkt die Praktische Theologie bei ihrer Reflexion religiöser Praxis den Blick auch auf die Erfahrungen derer, denen die Praxis eigentlich gilt: den Predigthörenden, den Gottesdienstbesuchern, den Konfirmandinnen und Konfirmanden, den Seelsorgesuchenden, den Taufeltern und Brautpaaren. Diese rezipientenorientierte Zugangsweise soll helfen, den theoretischen Zugriff auf die christlich-religiöse Praxis an die Wirklichkeit zurückzubinden, und verhindern, dass sich die Praktische Theologie in leere Spekulation verwandelt. Um die Erfahrungen, die Menschen tatsächlich mit christlich-religiöser Praxis machen, zu erkunden und für die theoretische Rekonstruktion von Praxis verfügbar zu machen, sind in den vergangenen Jahren im­mer wieder empirische Studien erschienen, durch deren Er­kennt­nisse die Praktische Theologie an Realitätssinn gewinnen sollte.
In ihrer Berner Dissertation »Trauung – Spannungsfelder und Segensräume« hat sich auch Simone Fopp das empirische Interesse der Praktischen Theologie zu eigen gemacht und auf das Handlungsfeld der kirchlichen Trauung angewandt. Mit ihrer Arbeit nimmt sie sich einen »Perspektivenwechsel zur Sicht der Traupaare« (39) vor und will diesen für die praktisch-theologische Theorie wie für die kirchliche Praxis fruchtbar machen. 15 Interviews (z. T. Leitfadeninterviews, z. T. narrative Interviews) führte die reformierte Pfarrerin zu diesem Zweck mit insgesamt neun Schweizer Traupaaren, von denen sechs sowohl vor als auch nach der Trauung befragt wurden.
Den theoretischen Rahmen für die Deutung der Interviews setzt F. mit Hilfe einer Positionsbestimmung der Trauung, die der Präsentation ausgewählter Interviews vorangestellt ist. In der Auseinandersetzung mit ganz unterschiedlichen ›Makroerzählungen‹ (51) – biblische Texte sowie theologische und ritualtheoretische Theorien werden dabei ebenso herangezogen wie Hochzeitsszenen aus populären Hollywoodfilmen – begreift F. die Trauung im We­sentlichen als »Segensraum« (61–107), als »Ritual im Übergang« (108–157) und als »Beziehungsgeschichte« (158–211). Dabei orientiert sie sich insbesondere an den kasualtheoretischen Überlegungen Ulrike Wagner-Raus, der Ritualtheorie Victor Turners und Christoph Morgenthalers Ausführungen zur systemischen Seelsorge.
An die Präsentation der Interviews von vier Hochzeitspaaren anschließend formuliert F. in vier Thesen den Ertrag der Studie: 1. Die Trauung ist ein »ambivalentes Ereignis« (305), das sich nicht auf nur eine Funktion, etwa die der Vergewisserung, einengen lasse, wie F. in Ablehnung des von Rosemarie Nave-Herz geprägten Begriffs der Trauung als ›rite de confirmation‹ (316) formuliert. Vielfältige Ambivalenzen kennzeichnen die Erfahrung der Brautpaare (153 f.): öffentliche Präsentation und Bewahrung von Intimität, Ernst und Spiel, Bekräftigung und Verunsicherung, Zweifel und Gewissheit, Tradition und Individualität, Planbarkeit und Spontaneität. 2. Die Trauung ist ein »Ritual im Übergang«, wobei dieser »als gemeinsamer Erzählprozess aller an einer Trauung Beteiligten vollzogen« (322) wird. 3. Auf Grund des genderspezifischen Verhaltens des Brautpaars und dessen Familien ist die Trauung stets ein »latentes ›doing gender‹« (347) und ermöglicht zu­gleich ein kritisches ›Degendering‹ (352). 4. Im Mittelpunkt der Trauung steht für den Großteil der befragten Brautpaare das gegenseitige Versprechen (367).
Den Konsequenzen für die »Praxis Trauung« (373 ff.) gilt das abschließende Kapitel der Untersuchung. Dort mahnt F. einen differenzierten Umgang mit den beleuchteten Spannungsfeldern an, die Berücksichtigung des komplexen Erzählprozesses, der das Trauungsritual umspannt, und eine Gender-Sensibilisierung, die Wege aus festgefahrenen Beziehungsmustern aufzuzeigen vermag.
Die Studie enthält zahlreiche Beobachtungen und Anregungen zur Praxis und Theorie der Trauung, das Spektrum der zur Kenntnis genommenen Diskurse ist beachtlich. Einen diskussionswür­digen Impuls stellt etwa der erzähltheoretische Zugriff zum Thema dar, dem zufolge sich die Trauung selbst aus den vielfältigen, in unterschiedliche Erzählzusammenhänge eingebundenen narrativen Prozessen rekonstruieren lasse.
Problematisch erscheint hingegen – und das betrifft den Ansatz der Arbeit insgesamt – die von F. vorgenommene Interpretation des empirischen Materials. Als kritischer Dreh- und Angelpunkt er­weist sich insbesondere die als Interpretationshorizont konzipierte Rahmentheorie, die den Interviews ebenso gerecht werden soll wie den kulturellen Deutungstraditionen zur Trauung. Der Deutungsrahmen soll zudem F.s eigener Sicht auf die Trauung Ausdruck verleihen und einen kritischen Blick auf die geschlechtsspezifischen Rollenmuster der Trauung werfen (54 ff.).
Durch diese Überfrachtung des Deutungsrahmens verengt F. jedoch bedauerlicherweise ihren eigenen Blick auf die Interviews, anstatt ihn für die Breite des dort Präsentierten zu öffnen. Den aufgezeichneten Interviews vermag sie damit teilweise nicht gerecht zu werden. Das zeigt sich etwa im Blick auf eine der Hauptthesen, die Trauung sei als Segensraum zu verstehen – eine Deutung, die sich in den Interviews gerade nicht nachzeichnen lässt. Nicht der Segen, sondern das gegenseitige Versprechen steht aus der Perspektive der Brautpaare bei der Trauung im Vordergrund, darauf macht F. selbst aufmerksam. Diese sachliche Differenz hätte Ausgangspunkt für eine kritische Revision der in Theologenkreisen beliebten Hochschätzung des Segensaspektes sein können. F. versucht stattdessen, die Spannung aufzulösen, indem sie den Segensbegriff dergestalt ausweitet, dass sich ganz verschiedene Erfahrungen des ›Wohl-Seins‹ darunter subsumieren lassen. Segenserfahrungen spürt sie gleichermaßen in Aussagen über das persönliche Glücks­empfinden, über die schöne Atmosphäre am Hochzeitstag, über die Zufriedenheit der Hochzeitsgäste oder das schöne Wetter auf (365). Anstatt ernst zu nehmen, wie die Befragten selbst das Erlebte deuten, ordnet F. die Aussagen in ihr eigenes Verständnis der Trauung ein und ist stets bemüht aufzuzeigen, was die Interviewten ›eigentlich‹ meinten.
Dieser in letzter Konsequenz bevormundende Zugriff auf das empirische Material spiegelt sich auch in F.s Auseinandersetzung mit der empirisch-soziologischen Hochzeitsstudie von Nave-Herz wider (114 ff.316). Während diese in ihrer Untersuchung zu den Motiven zur Eheschließung tatsächlich nur jene als spezifisch religiöse gelten lässt, die von den Interviewten als solche beschrieben werden, will F. auch jene Aussagen berücksichtigen, die nur ›implizit‹ religiös sind. Wer sich für die kirchliche Trauung entscheidet, weil das der Tradition entspricht oder weil man so der eigenen Freude Ausdruck verleihen kann, handelt F. zufolge womöglich ebenso aus einer religiösen Bedürfnislage wie jemand, für den der göttliche Segen im Vordergrund steht.
Der angestrebte Perspektivwechsel zur Sicht der Betroffenen wird durch dieses Vorgehen konterkariert. Im Zentrum der Untersuchung steht so gerade nicht die Sicht der Befragten, sondern die subjektiv geprägte, theologisch positionelle Sicht F.s auf die Aussagen der interviewten Hochzeitspaare.
Das der Studie zu Grunde liegende Forschungsvorhaben ist anerkennenswert und die Erhebung und Aufbereitung des empirischen Materials, von dem man gerne noch mehr gelesen hätte, verdienstvoll. Dass es auf Grund des engen Blickwinkels letztlich jedoch nicht gelingt, die Sicht der Brautpaare tatsächlich zur Geltung zu bringen, zeigt einmal mehr, wie anspruchsvoll und herausfordernd die Rückbindung praktisch-theologischer Forschung an die Wirklichkeit ist und wie schwierig es ist, theoretisch vorab Vermutetes oder theologisch Gewünschtes durch empirische, oft auch ernüchternde Daten zu revidieren.