Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

625-626

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fallberg Sundmark, Stina

Titel/Untertitel:

Sjukbesök och dödsberedelse. Sockenbudet i svensk medeltida och reformatorisk tradition

Verlag:

Skellefteå: Artos & Norma 2008. 304 S. u. 18 Tfn. m. Abb. = Bibliotheca Theologiae Practicae, 84. Kart. ISBN 978-91-7580-373-9.

Rezensent:

Heinrich Holze

Die vorzustellende Untersuchung »Krankenbesuch und Sterbebereitung« ist im Grenzbereich von Kirchengeschichte und Pastoraltheologie angesiedelt. Sie geht zurück auf eine Dissertation, die Stina Fallberg Sundmark, Forschungsassistentin an der Theologischen Fakultät der Universität Uppsala/Schweden, im Frühsommer 2008 verteidigt hat. Das Thema lautet, wie es im Untertitel heißt, »Der Gemeindebesuch in der schwedischen mittelalterlichen und reformatorischen Tradition«. Im Zentrum der Arbeit steht die Frage nach der Begründung und Gestaltung kirchlicher Begleitung am Lebensende eines Menschen: Wie vollzog sich der Besuch des Priesters am Kranken- und Sterbebett eines Menschen? Wie ordnet er sich in den Zusammenhang kirchlichen Lebens ein? Was verändert sich in Ablauf und Deutung durch die Reformation? Die Arbeit richtet den Blick auf eine konkrete Lebenssituation, die außerhalb des kirchlichen Raums, im alltäglichen Umfeld der Gemeinde, ihren »Sitz im Leben« hat. Damit berührt sie nicht nur (pastoral-)theologische, ekklesiale und liturgische Fragen, sondern auch Aspekte der Seelsorge und der Frömmigkeit. Als Zeitraum werden das 12. bis 16. Jh., also Mittelalter und Reformation, ins Auge gefasst – zwei Epochen, die in der schwedischen Geschichte, und so auch in dieser Untersuchung, weniger gegeneinander abgegrenzt als vielmehr in ihren Zusam­menhängen und Übergängen gesehen werden.
»Krankenbesuch und Sterbebereitung« haben in der kirchenhis­torischen Forschung bisher wenig Beachtung gefunden. Während über Krankheit und Tod im 15. und 16. Jh. mehrere kulturgeschichtliche Arbeiten vorliegen, ist das pastorale Handeln am Kranken- und Totenbett nur in Grundzügen bekannt. Die Vfn. unternimmt in ihrer Arbeit erstmals den Versuch, so konkret wie möglich zu beschreiben, wie der priesterliche Besuch im Sterbehaus verlaufen ist, was seine Voraussetzungen waren und welche Deutungen ihm gegeben wurden. Den Ausgangspunkt bildet die mittelalterliche Tradition; von ihr ausgehend wird der Blick auf die Reformation gerichtet und gefragt, was sich verändert hat. Die Vfn. greift auf umfassendes Quellenmaterial zurück. Dazu ge­hören kirchenrechtliche Texte, Stiftsordnungen, liturgische Handbücher, Kirchenordnungen, pastoraltheologisches und ho­mile­tisches Ma­terial, Gebetsbücher sowie Ars moriendi-Literatur. Herangezogen werden auch nichtschriftliche Quellen: bildliche Darstellungen, liturgische Gegenstände, Kelche, Textilien und an­dere Gegenstände von liturgischer Bedeutung. Sie sind in einer repräsentativen Auswahl in einem Bildteil abgedruckt (Kapitel 1).
Die Arbeit untersucht den priesterlichen Krankenbesuch in allen seinen Facetten. Die Handlung und das Verhalten der beteiligten Personen werden rekonstruiert, die Worte, Texte und Ges­ten beschrieben und die verwendeten Gegenstände erläutert. Es zeigt sich, dass es sich um einen komplexen Geschehensablauf handelt, dessen Phasen aufeinander aufbauen und ineinander verschränkt sind. Den Auftakt bildet die Nachricht an den Priester, die sicherstellen soll, dass dem Sterbenden pastoraler Beistand gewährt werden kann (Kapitel 2). Die Texte unterstreichen die Verantwortung der Angehörigen, dem Küster die Nachricht zukommen zu lassen, damit er diese rechtzeitig dem Priester weiterleiten kann. Auch die Verpflichtung des Priesters, nach Erhalt der Nachricht nicht zu zögern, wird eingeschärft. Als schwere Sünde gilt, ohne Erhalt des Sakraments zu sterben. In der Reformation wird der Akzent auf das Bekenntnis der rechten Lehre gelegt, was ein klares Bewusstsein voraussetzt. Beide Traditionen betonen die Wichtigkeit pastoralen Beistandes und legen Bußleistungen bei Versäumnissen fest.
Vor dem Krankenbesuch hat der Geistliche mancherlei Vorbereitungen zu treffen (Kapitel 3). Im Mittelalter gehören Hostienschale, Ölkanne, Weihwassergefäß, Kerzen, Weihrauch und eine kleine Glocke zum Reisegepäck. Das Manual mit der Krankenbesuchsordnung und die rechten Gewänder dürfen ebenfalls nicht fehlen. In der Reformationszeit ändert sich die Zusammensetzung aus theologischen Gründen erheblich: Der Kelch mit dem Wein tritt hinzu, anderes, was mit der katholischen Tradition verknüpft wird, fällt weg. Noch deutlicher zeigen sich Veränderungen bei der Reise des Geistlichen zum Haus des Kranken (Kapitel 4). Im Mittelalter wird die Reise als ein geistliches Geschehen gedeutet, als liturgische Prozession des sakramental gegenwärtigen Christus, der durch die Gläubigen angebetet und verehrt wird. In der Reformationszeit wird die Reise zu einem rein weltlichen Geschehen, weil die Christuspräsenz in der Hostie nicht mehr besteht und darum keine liturgische Ehrerbietung gebietet.
Das Geschehen im Krankenzimmer am Bett des Sterbenden vollzieht sich in einem geregelten mehrstufigen Ablauf (Kapitel 5). In der mittelalterlichen Tradition nimmt der Priester durch Weihwasser und Gebete eine symbolische Reinigung der Anwesenden vor, während der reformatorische Pfarrer sich auf eine allgemeine Vermahnung beschränkt. Es schließt sich die Beichte mit Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung an, die in beiden Traditionen von zentraler Bedeutung ist. Mit ihr wird die Kommunio n– ob sub una (im Mittelalter) oder sub utraque (in der Reformation) – vorbereitet, deren Ziel die Vergebung der Sünde und die Erlangung des ewigen Lebens ist. Die Salbung ist in der mittelalterlichen Tradition von zentraler Bedeutung; in den reformatorischen Kirchen wird sie zu­nächst ebenfalls, wenn auch als freiwillige Handlung, praktiziert, kommt aber seit den 1530er Jahren außer Gebrauch. Gebet und Segen beschließen die Handlung am Krankenbett. Mit der Rück­reise wird der Krankenbesuch des Geistlichen beendet (Kapi-tel 6). Die Unterschiede in den Traditionen werden hier wieder besonders deutlich: Während die Reise nach mittelalterlichem Verständnis als liturgisches Geschehen mit mehreren geographischen Stationen gedeutet wird und am Hostienschrein der Kirche endet, in den die verbliebenen Hostien gelegt werden, hat die Reise nach reforma­torischem Verständnis keine besondere geistliche Dignität.
Die Ergebnisse werden abschließend in einer ausführlichen englischen Zusammenfassung präsentiert (Kapitel 7). Das ist zu begrüßen, weil die Dissertation Fragen behandelt, die nicht nur für die schwedische Kirchengeschichte, sondern darüber hinaus von allgemeiner Bedeutung sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient diese Arbeit bei denen, die sich mit Deutungen und Gestaltungen pastoralen Handelns im Mittelalter und in der Reformationszeit beschäftigen. Die Untersuchung wird durch zahlreiche Abbildungen ergänzt und illustriert. Es handelt sich um Photos liturgischer Gefäße sowie Bilder, welche die Prozession des Priesters, die Kommunion am Krankenbett sowie die Rückkehr der Hostie in die Kirche darstellen.
Wer erfahren möchte, wie sich in dieser Zeit die Begegnung des Priesters bzw. Pfarrers mit den Menschen im Alltag der Gemeinde vollzog und wie Sterben und Tod pastoraltheologisch gedeutet und liturgisch begleitet wurden, wird in dieser Untersuchung reich belehrt. Die Arbeit der Vfn. wurde in Schweden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die erste Auflage ist bereits nach einem Jahr vergriffen gewesen. Derzeit wird eine zweite Auflage vorbereitet. Es ist zu wünschen, dass die Ergebnisse dieser bemerkenswerten Untersuchung auch über Schweden hinaus bekannt werden.