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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

623-624

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Beyer, Franz-Heinrich

Titel/Untertitel:

Geheiligte Räume. Theologie, Geschichte und Symbolik des Kirchengebäudes.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008. 231 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-534-20480-9.

Rezensent:

Thomas Erne

Die Lust auf Kirchen ist gegenwärtig größer als die Lust auf Kirche. Wenn die Heiligkeit der Räume größeres Interesse weckt als die Gemeinschaft der Heiligen, dann entsteht theologischer Klärungsbedarf. Da kommt ein Buch gerade recht, das nicht nur eine These zur Religiosität des Raumes verspricht, sondern auch den theologischen Sinn in den sinnlichen Erscheinungsformen von Kirchengebäuden in ihrer geschichtlichen Entwicklung darzustellen vermag.
Leider hält das Buch sein Titelversprechen nur ansatzweise, er­reicht aber umso besser ein etwas bescheideneres Ziel – nämlich »Grundinformationen zum christlichen Kirchengebäude bereitzustellen« (10). Schwerpunkt der Darstellung sind für Franz-Heinrich Beyer, Professor für Praktische Theologie in Bochum, die Kirchen in Deutschland im Mittelalter (III), die Teil der konfessionellen Spaltung wurden (IV) oder in der Periode des Staatskirchentums bis zu dessen Ende (V–VI) neu entstanden. Der Abschnitt (VII) skizziert dagegen nur einige Entwicklungslinien bis in die Gegenwart, während Kapitel II die antiken Grundlagen beschreibt, die für die Entwicklung des Kirchenbaus maßgeblich sind. Auch die Artikel in RGG und TRE bieten einen handlichen Überblick über die Ge­schichte des Kirchenbaus. Das Besondere an diesem Band ist daher nicht die Fülle an historischem Material, sondern sein Ansatz bei einer geschichtlichen Symbolik. Methodisch sind Kirchen religiöse »Ausdruckgestalten in Stein und Beton« (201). Ausdrucksgestalten sind durch Sinnaspekte ge­schichtlich geformte sinnliche Erscheinungen. So lassen sich Gebäude, Innenräume, Prinzipalstücke im Blick auf die sie formenden Kontexte entschlüsseln. Altar und Kanzel werden durch Luthers neues Verständnis religiöser Räume ebenso revolutioniert (vgl. 87) wie durch die ba­rocke Gegenreaktion der katholischen Kirche (vgl. 130). Aber auch Industrialisierung und Urbanisierung im 19. Jh. formen durch neue Baumaterialien den Kirchenbau im frühen 20. Jh. (vgl. 169 f.).
Religiöse Ausdrucksgestalten in Stein und Beton sind in Deutschland im Zeitraum, der Schwerpunkt der Darstellung ist, nicht nur evangelische oder katholische Kirchen, sondern auch Synagogen, nicht aber Moscheen. Die erste Moschee in Deutschland wird erst 1914 von Kaiser Wilhelm für kriegsgefangene Muslime gebaut (vgl. 190). Besondere Aufmerksamkeit verdiente der religionstopographische Faktor, den der Vf. für die Formierung der Kirchenbauten ansetzt. Der Hinweis auf die Stadtanlage von Jerusalem um 400 n. Chr. als »Steinwerdung des christlichen Credo« (27), eine topographisch situierte Liturgie, in der das christliche Kirchenjahr wie in einer Art religiösen Landschaftsarchitektur fundiert ist, wäre ein eigenes Buch wert. Eine religionstopographische Variante ist neben den Bauten der Mormonen in USA die raumbezogene Phantasie Friedrich von Bodelschwinghs, der im 19. Jh. in Bethel das Heilige Land nachbaute, um den schmalen Weg der Er­lösung als konkrete Prozession begehbar zu machen. Je nach Sicht der Dinge sind die liturgischen, zeitgeschichtlichen, religions­geographischen und theologischen Aspekte religiöser Bauten ge­schickt in eine Fülle historischer Details verwoben bzw. unnötig in ihnen versteckt. Positiv gesagt: Es könnte das Pathos des Historikers sein, der sich nicht über seinen Gegenstand erhebt und über seine Methode nicht anders Rechenschaft geben kann als durch die Ergebnisse, die sie liefert. Das hätte man als Leser gern gewusst.
So endet der Band im Gestus der Darstellung, die nicht wirklich endet. Es gibt keine These und kein Ergebnis. Obwohl der Vf. im Eingangskapitel eine Frage stellt, die für den Umgang mit Kirchengebäuden heute wesentlich ist: »Das christliche Kirchengebäude – was ist das?« (11) Aber sein Durchgang durch die Geschichte und Symbolik des Kirchenbaus liefert offenbar kein belastbares Resultat. Vermutlich ist die Antwort, dass das Proprium des christlichen Kirchenbaus, etwa im Unterschied zur Moschee, die Fülle seiner geschichtlichen Erscheinungen ist. Das Buch ist eine Fundgrube, in der ein Schatz verborgen liegt. Leider ist die Ausstattung bescheiden, die Textgestaltung unruhig, die Qualität der Schwarzweißfotos dürftig (vgl. 88). Dafür bietet der Band grundlegendes Basiswissen und überraschende Perspektiven auf religiöse Ausdrucksgestalten aus Stein und Beton.