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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

612-614

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

Gott. Implizite Voraussetzungen christlicher Theo­logie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 320 S. gr.8° = Studium Systematische Theologie, 4. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-525-56707-4.

Rezensent:

Markus Mühling

Der vierte Band der Reihe zur Systematischen Theologie von Gun­ther Wenz eröffnet die materiale Dogmatik und die Gotteslehre.
Metaphysik und subjektivitätstheoretische Ansätze, mithin die Traditionen Hegels und Schleiermachers, ergänzen sich notwendig, da Glaube ohne metaphysische Reflexion in den Subjektivismus fällt, Theologie ohne Reflexion vor dem Forum der Leitwissenschaft der Anthropologie aber auf Allgemeingültigkeit verzichten müsste. Theologie nimmt ihren Ausgangspunkt in der Selbstoffenbarung, bei der Gott als Urheber, Inhalt und Vollzugsgarant gedacht werden muss, dergestalt, dass sie sich geschichtlich vollzieht und in Jesus Christus so zu ihrer Vollendung gelangt, dass die Offenbarungsgeschichte Israels ihre bleibende Voraussetzung darstellt. Da die hegelianische Einsicht in die Identität von Identität und Differenz des wahrhaft Unendlichen zu einer Selbstrelativierung der Vernunft der Theologie führt, ist als implizite Voraussetzung einer Gotteslehre nicht nur die Offenbarungsgeschichte Israels, sondern auch die antike philosophische Tradition zu benennen. Da der Gottesbegriff in luthe­rischer Tradition unhintergehbar an den Glaubensbegriff gebunden ist und umgekehrt, besteht keine Alternative zwischen Got tesglauben und Atheismus, sondern zwischen rechtem und falschem Glauben, so dass die Explikation Gottes, wie er sich uns in Jesus Christus kraft des Heiligen Geistes schenkt, die vornehmste Aufgabe christlicher Theologie darstellt. Diese lutherische Einsicht lässt sich geschichtlich durch die Tradition der Gottesbeweise und ihrer Relativierung und Wiederinstandsetzung in der Philosophie der Moderne, insbesondere des 19. und 20. Jh.s, verfolgen und gipfelt in der Suche nach einer adäquaten Verhältnisbestimmung zwischen immanenter und ökonomischer Trinität. Dabei zeigt sich, dass dieses Verhältnis nur als Gottes freie Selbstentsprechung in seiner Offenbarung zu verstehen ist, so dass zwei einseitige Bestimmungen des Gottesbegriffs auszuschließen sind: die nicht selbstrelativierte Bestimmung durch reine Vernunftspekulation, die die Kontingenz der ge­schichtlichen Offenbarung überspielt, genauso wie die vermeintlich mögliche Beschränkung der Gewissheit des Glaubens auf das Stadium positiven Fühlens (7–45).
Aus dieser Grundlegung ergibt sich die Anforderung, die Gotteslehre, anders als sonst üblich, in »gleichsam historisierter« (5) Form dergestalt zu entwickeln, dass zunächst die Offenbarungsgeschichte Israels im Vergleich zur Begriffsgeschichte der antiken Philosophie dargestellt wird, was im Bd. 4 »Gott« geschieht, um sodann den Ursprung christlicher Theologie in Jesu Leben, Tod und Auferstehung zu beleuchten (Bd. 5 »Christus«). Zuletzt wird das durch den Geist erschlossene Gottesverständnis, wie es im trinitarischen Dogma seinen Ausdruck gefunden hat, zu besprechen sein (Bd. 6 »Geist«). Der vorliegende Band stellt damit faktisch den ersten von drei Teilen christlicher Rede von Gott dar.
Der erste Teil dieses Bandes behandelt von Wellhausen bis zu Assmann differenziert die Frage nach der »mosaischen Unterscheidung« und der Entwicklung des Monotheismus (69–85), die zu­nächst anhand der Frage nach Polytheismus und Jahwemonolatrie in der Geschichte von der sog. Landnahme Israels bis in assyrische Zeit zu behandeln ist (86–102). Es schließt sich eine Besprechung der Entstehung des Monotheismus von der Zeit Josias über die Ereignisse um das Jahr 587 und der Exilszeit und damit der Bedeutung der Prophetie für den Gottesbegriff an (103–124). Die Entstehung der Tora als innere Mitte der heiligen Schriften des Judentums in persischer und hellenistischer Zeit (125–141) und die Frage nach der Entwicklung der Tun-Ergehensproblematik in den weisheitlichen und poetischen Schriften (142–159) führen schließlich zur Eschatologisierung und Entwicklung der Apokalyptik in hasmonäischer und römischer Zeit (160–179), so dass eine Besprechung des Judentums zur Zeit Jesu den Abschluss des ersten Teils des Bandes und gleichzeitig den Übergang zum zweiten Teil bildet.
Der parallel aufgebaute zweite Teil setzt entsprechend mit der Frage nach hellenistisch-römischen Aspekten der Umwelt des Christentums in ihren Ursprüngen bei der »sokratischen Wende« ein (195–225) und zeichnet die Geschichte des Gottesgedankens in der hellenistischen Philosophie von den Vorsokratikern (225–239), Sokrates, Platon und Aristoteles (240–276), über Stoizismus und Epikureismus (277–292) bis hin zur Entwicklung der neuplatonischen Synthese (293–312) detailliert nach.
Aufbau und Inhalt des Bandes mögen in ihrer historischen Form überraschen, doch handelt es sich bei der Ankündigung des Vf.s, die christliche Gotteslehre über drei Bände hinweg in historisierter Form zu liefern, mitnichten um ein Bekenntnis zum Historismus, sondern dieser wird im Gegenteil eher überwunden, indem der Vf. mit seinem Programm einen äußerst wertvollen Beitrag zur nötigen Interdisziplinarität der binnentheologischen Disziplinen leistet und den genuin-theologischen Charakter der Ergebnisse der sog. historischen Disziplinen der Theologie nicht einfach a priori behauptet, sondern vielmehr ungezwungen durch ihren Inhalt darstellt. Die Besprechung der Offenbarungsgeschichte Israels und der Begriffsgeschichte der antiken Philosophie hat dabei nicht einfach kompendiarischen Charakter, sondern liefert eine differenzierte Besprechung auch einzelner Forschungsdebatten, und zwar stets vor dem Hintergrund von des Vf.s theologischem Interesse. In einer Zeit der zunehmenden Fragmentarisierung theologischer Forschung erscheint dieses Unternehmen als äußerst ambitionier t– und gerade in diesem Anspruch, soweit er von der Programmatik dieses ersten Bandes christlicher Gotteslehre vorgegeben ist, als gelingend – unabhängig, ob man den einzelnen positionellen Entscheidungen des Vf.s zustimmen mag oder nicht –, so dass man auf die beiden Folgebände gespannt sein darf. Hatte schon Robert Jenson 1997 den dezidierten Ausweis eines »patrologischen« Problems parallel zum christologischen und pneumatologischen Problem dergestalt gefordert, dass die Fragestellung, inwiefern der eine Gott die eine Person des Vaters sein könne (Systematic Theology, Bd. 1, Oxford, 115), die Explikation an einem eigenen Ort der Dogmatik erfordere, so kann dieser Band als notwen­dige Voraussetzung einer Antwort auf diese Forderung verstanden werden.