Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

610-612

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ruhstorfer, Karlheinz

Titel/Untertitel:

Christologie.

Verlag:

Paderborn: Schöningh 2008. 274 S. gr.8° = Gegenwärtig Glauben Denken. Systematische Theo­logie, 1. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-506-76443-0.

Rezensent:

Ulrich Kühn

Mit diesem Band wird eine neue, auf elf Bände ausgelegte Systematische Theologie eröffnet, »die beabsichtigt, den christlichen Glauben angesichts der Herausforderungen der Gegenwart vernünftig zu durchdringen und übersichtlich darzustellen« (9, Vorwort). Dabei sollen in allen elf, jeweils den traditionellen dogmatischen Hauptthemen gewidmeten Bänden nicht die biblischen Aussagen zum Ausgangspunkt genommen, dann durch die Darstellung des dogmen- und theologiegeschichtlichen Befundes ergänzt und schließlich zur eigenen systematischen Reflexion geführt werden. Vielmehr sind die biblischen Aussagen der jeweilige Zielpunkt der Darstellung, der »auf dem Weg von unserem eigenen geschichtlichen Ort über Postmoderne, Moderne, Neuzeit, das scholastische und patristische Zeitalter hin zur Wiege unserer Kultur« (ebd.) angegangen wird.
Der vorliegende erste Band dieser Reihe folgt dieser Methode, die noch eigens erläutert wird (11–21). Der Blick auf die »transzendentale Weisung«, wie sie im Zeugnis der Heiligen Schrift vorliegt, wird erreicht (II. Teil), nachdem zunächst auf etwa drei Vierteln des Gesamtumfangs der Darstellung die »kategorialen Verhältnisse« dargelegt werden (I. Teil), wie sie im postmodernen Denken und im modernen Denken, sodann in der Christologie der Neuzeit sowie derjenigen der Scholastik und der Patristik (einschließlich der altkirchlichen Konzilien und der frühen nachneutestamentlichen Christologie) begegnen. Den postmodernen Denkern – G. Vattimo, J. Derrida, M. Foucault – sowie den »modernen« philosophischen Entwürfen – Heidegger, Nietzsche, Marx – werden jeweils (in nicht völlig einleuchtender Zuordnung) theologische Optionen gegenübergestellt: den postmodernen Entwürfen (die im 1. Abschnitt unter dem Stichwort »Das Zeichen an der Grenze des Menschen« behandelt werden) die theologischen Reflexionen zum historischen Jesus, die Positionen von J. Hick, von J. B. Metz, der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, einiger christologischer Entwürfe aus China, Indien und Afrika sowie eines feministischen Entwurfs; den »modernen« Denkern (im 2. Abschnitt unter dem Stichwort »Die Wirklichkeit des neuen Menschen«) die Christologien von K. Rahner, K. Barth (lediglich des frühen Barth, vgl. 110), R. Bultmann, A. v. Harnack, S. Kierkegaard und nochmals das Problem des historischen Jesus. Der dritte Abschnitt des I. Teils (»Die Idee des Gottmenschen«) kommt ohne eine solche Gegenüberstellung aus, beschränkt sich vielmehr auf die Wiedergabe der jeweiligen christologischen Konzeptionen (beginnend bei Hegel und Fichte bis zurück ins 2. Jh., ein enormer Zeitraum). Dabei wird Luther neben Ignatius von Loyola zur »Christologie der Neuzeit« gerechnet (wobei die Luther gewidmeten 3,5 Seiten nun doch in einem Missverhältnis zu den 16 Seiten der Darstellung des Thomas von Aquin stehen). Bei der Interpretation der christologischen Formel von Nicäa 325 wird »homousios« nicht, wie üblich (vgl. z. B. Grillmeier) und notwendig, mit »wesenseins«, sondern mit »we­sensgleich« wiedergegeben (208 f., vgl. schon 14), was auf eine Zweigötterlehre hinausläuft.
Erst im Anschluss kommt im wesentlich kürzeren II. Hauptteil die »transzendentale Weisung« des Alten und des Neuen Testaments zur Sprache, nach nochmaligen Überlegungen zur Methode des Ganzen, einer Erörterung des Begriffs »transzendental« (zwischen Kant und Rahner) und der Zuhilfenahme des »semiotischen Dreiecks« von Signifikat, Referent und Signifikant (so schon 16 f., dort auf S. 17 Druckfehler: Es muss hier heißen »Signifikant«). Bei der Zitation von Jes 7,9 (222) wird dem Vf. die Vulgata-Übersetzung zum Verhängnis!
Es ist das Anliegen dieses christologischen Entwurfs, die biblischen christologischen Aussagen als »Vernunft des Anfangs« zu erweisen und ihre Spuren auch in der scheinbaren Gottferne der Gegenwart zu finden (15). Die Wahrheit des biblischen Christuszeugnisses soll vor dem Forum der Vernunft verantwortet werden, so dass sich methodisch dogmatisches und fundamentaltheologisches Fragen innerlich verbinden (12). Dass dies ein legitimes Anliegen ist, ist auch der neueren evangelischen Fundmentaltheologie bewusst. Allerdings wird man mit dem Vf. darüber nachzudenken haben, ob der Widerspruch des modernen Lebensgefühls und Denkens gegen die Zumutung der christlichen Christusverkündigung nicht doch grundsätzlicher ist und auf ein Entweder-Oder hinausläuft, als es der Vf. zugestehen möchte. Gewiss spricht er von der »prinzipiellen Negation« des metaphysischen Denkens und der christlichen Grundwahrheit etwa durch die Proklamation des To­des Gottes (20 f.). Aber man gewinnt den Eindruck, als sei diese Negation doch nur ein Schritt auf dem Wege zu jenem »Primat der Zeichen und Strukturen« (Signifikat), wie er uns unter dem Stichwort »Tod des Menschen« in postmodernen Entwürfen entgegentritt. Und diese postmodernen Entwürfe zeichnen sich durch eine bemerkenswerte neue Offenheit für die Dimension des Religiösen aus, wie die – auch in sich selbst sehr informativen – Darstellungen dieser Entwürfe zeigen (22–44). Gegen Ende wird behauptet: »Deshalb ist der Geist Christi überall da gegenwärtig, wo Vernunft, Freiheit und Menschlichkeit gelebt werden.« (223) Könnte es sein, dass wir es hier mit einer so umfassend universalen – und in diesem Sinne katholischen – Christologie zu tun haben, dass ihr dem Menschen Widersprechendes letztlich auf der Strecke bleibt?
Eine weitere Frage stellt sich im Blick auf den II. Hauptteil dieses Entwurfs, die Darstellung der »transzendentalen Weisung« im Alten und im Neuen Testament. Der Vf. kündigt selbst an, dass die frohe Botschaft des Neuen Testaments im Wesentlichen »kommentarlos« zur Sprache gebracht wird (224). Das bedeutet in der Durchführung, dass der neutestamentliche Schlussteil (236–264) im Grunde eine schlichte zitierende Nacherzählung dessen ist, was im Neuen Testament zu lesen ist – mit der Heraushebung einiger Grundgedanken zum Wesen Gottes, zum Glauben und besonders zur Liebe. Die an früherer Stelle angekündigte hermeneutische Bedeutung des im I. Hauptteil Gesagten für das Verstehen der neutestamentlichen Botschaft wird nicht eingelöst (bis auf eine einzige Stelle, 244, wo das »heilsexklusivistische« Denken des Paulus im Lichte der Neuzeit als Option für das »Heil aller Menschen« uminterpretiert wird). Man bleibt am Ende nach der mit großem Aufwand betriebenen »kategorialen« Bestandsaufnahme etwas ratlos zurück. Und man vermisst die Erörterung von christologischen Problemen, die sich im Neuen Testament selbst stellen, etwa beim christologischen Titel »Sohn Gottes« oder bei der vielschichtigen Problematik der Interpretation des Kreuzestodes Jesu im Neuen Testament, nicht zu sprechen von den Fragen, die das Auferstehungszeugnis des Neuen Testaments aufgibt. An solchen »traditionellen« Fragen muss sich die aufgeklärte Vernunft ja wohl auch abarbeiten.
So bleibt nach der Lektüre ein zwiespältiger Eindruck zurück. Der mit großem Aufwand (und vielen Einsichten) betriebene »archäologische« (vgl. 13) Rückweg aus der Geschichte von Glaube und Vernunft stößt am Ende auf eine Darlegung des biblischen Zeugnisses, die der »einmaligen Rolle des biblischen Wortes« (14) hinsichtlich dessen immanenter Probleme nicht gerecht wird.