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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

607-610

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Marschler, Thomas

Titel/Untertitel:

Die spekulative Trinitätstheologie des Francisco Suárez S. J. in ihrem philosophisch-theologischen Kontext.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2007. X, 789 S. gr.8° = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge, 71. Kart. EUR 96,00. ISBN 978-3-402-10281-7.

Rezensent:

Markus Kremer

Die Trinitätstheologie des spanischen Jesuiten Francisco Suárez (1548–1617) gehört – wie seine dogmatischen Traktate überhaupt – zu den weder von seinen Zeitgenossen noch von der heutigen Forschung nachhaltig rezipierten Abhandlungen. Unter der deutschsprachigen Literatur des 20. Jh.s zu Suárez (vgl. die hilfreiche Online-Bibliographie unter www.scholasticon.fr) finden sich nur vereinzelt solche mit dogmatischem Inhalt – hauptsächlich zur Gnadentheologie – und nur eine einzige zur Gotteslehre (Josef Leiwesmeir, Die Gotteslehre bei Franz Suárez, Paderborn 1938). Die Gründe für diese mangelnde Beachtung der suarezischen Dogmatik dürften weniger inhaltlicher Natur als vielmehr darin zu finden sein, dass die großen Streitfragen (mit Ausnahme des bis ins 11. Jh. andauernden Streits um das filioque) seit den Ökumenischen Konzilien der frühen Kirche weitgehend beigelegt waren und sich die scholastische Diskussion des Hochmittelalters auf philosophische Detailfragen wie z. B. nach der absoluten (statt bloß personalen) Subsistenz Gottes erstreckte. Betrachtet man ferner den stark enzyklopädischen Charakter des suarezischen Werkes, das nicht nur die Diskussionen der vorangegangenen Jahrhunderte detailliert wiedergibt und zusammenfasst, sondern diese darüber hinaus einer breit angelegten Kritik unterzieht, so wird die Zurückhaltung der theologiegeschichtlichen Forschung leichter verständlich.
Dass sich die Beschäftigung mit der Theologie des Suárez dennoch lohnt, beweist die 2007 erschienene Habilitationsschrift des Augsburger Dogmatikers Thomas Marschler, die dem seit der neuthomistischen Kritik am »Suarezianismus« im 19. Jh. bestehenden und somit in erster Linie innertheologisch verursachten Trend der Vereinnahmung des Suárez durch die Philosophie und die Völkerrechtswissenschaft auf wohltuende Art und Weise entgegenwirkt. Gegen eine vermeintlich »aufgeklärte« Lektüre des Suárez stellt M. fest: »Die Betrachtung der Trinität, so waren die scholastischen Theologen überzeugt, ist … letztes Ziel und oberster Zweck allen Theologietreibens und schließlich Inhalt der beseligenden Schau in der Ewigkeit.« (46) Dieser Eindruck bestätigt sich bei der überaus anspruchsvoll durchgeführten Vertiefung in die Gedankenwelt der spanischen Scholastik, die den Leser in einen nicht voraussetzungslosen theologischen Diskurs hineinführt. Von M. darf deshalb erwartet werden, dass er die Funktion eines Hermeneuten einnimmt, der die verklausulierte scholastische Terminologie in verständliche Glaubenssprache (»Theo-logie« im Wortsinn) übersetzt. Zugleich soll er aber das spekulative Niveau der vorgegebenen Texte nicht unterbieten. An erster Stelle einer solchen akademischen Lehrschrift muss daher die notwendige Reduktion und Elementarisierung des theologischen Stoffes stehen, ohne die es nur schwerlich gelingen wird, Licht in das Dunkel der scholastischen Trinitätsspekulation zu bringen. Bedenkt man ferner, dass es dabei in das dogmatische Denken eines zwar bedeutsamen, aber bis heute nur selektiv wahrgenommenen Autors einzuführen gilt, so erklärt sich die Gründlichkeit, mit der M. sich der geschilderten Aufgabe auf 789 Seiten stellt.
Das erste Kapitel seiner Untersuchung gibt eine gute Einführung in den geistesgeschichtlichen Kontext der spätscholastischen Trinitätstheologie und zeugt zugleich von der profunden Quellen- und Literaturkenntnis M.s weit über das suarezische Opus hinaus. Zusammen mit dem 11. Kapitel (»Ergebnisse«) bildet es den Rahmen der sich nun den trinitätstheologischen Hauptthemen (Hervorgang, Dreiheit und Einheit, Relationen und Proprietäten der göttlichen Personen) widmenden Abhandlung. Dass zu diesem Zweck erst einmal erkenntnistheoretische und metaphysische Prämissen zu klären sind (Kapitel 2 und 3), ist für ein angemessenes Verständnis der scholastischen Theologie unabdingbar. Dazu gehören für Suárez etwa die strikte Trennung von natürlicher und übernatürlicher Offenbarung und die Zuschreibung der Personalität zum Begriff der Existenz (Gottes). Gerade die univoke Verwendung des Personbegriffs zeigt aber, dass es sich bei natürlicher und übernatürlicher Offenbarung keineswegs um zwei separate Er­kenntnisweisen handelt. Vielmehr sei es Aufgabe der endlichen Vernunft, die Offenbarungswahrheiten denkerisch zu durchdringen. In der spekulativen Entfaltung der (vorgegebenen) Glaubenswahrheiten werde, so M., »die Grundstruktur der theologischen Wissenschaftslehre des Aquinaten – Theologie als Konklusionswissenschaft, die ihre Prämissen nicht selbst zu begründen vermag – bei Suárez gewahrt« (75). Diese dem strikt offenbarungstheologischen Charakter des Trinitätsglaubens geschuldete Auffassung erweist sich indes auf anderen Gebieten – etwa der Naturrechtslehre des Suárez – als nicht durchhaltbar. Vielmehr konnte mittlerweile gezeigt werden, dass zwischen der göttlichen Vernunft (lex aeterna) und der Schöpfungsordnung (lex naturalis) ein gegenseitiges Partizipations- und Konvenienzverhältnis vorliegt, welches beide Größen einander produktiv zuordnet und die eigenständige Erkenntnisfähigkeit der (geschaffenen) philosophischen Vernunft wahrt (vgl. Markus Kremer, Den Frieden verantworten, Stuttgart 2008, 83 ff.).
In den folgenden Kapiteln (4–7) steht »[mit] der Frage nach der Vereinbarkeit einer einzigen göttlichen Natur mit der Dreiheit personaler Subsistenzen … das Kernthema des gesamten Trinitätstraktates« (175) im Mittelpunkt der Erörterung. Suárez habe in dieser Frage betont, dass die essentia divina ungeteilt und real in den göttlichen Personen vorhanden sei und so zum Formalkonstitutiv der personalen Subsistenzen werde, ohne dass diese zur Bestimmung des göttlichen Wesens notwendig seien (inclusio essentiae in relationibus). Hinsichtlich des Problems der Identität zwischen Wesen und Person(en) in Gott plädiere Suárez auf Grund der vollkommenen Einfachheit (Unzusammengesetztheit) Gottes für deren Realidentität bei gleichzeitiger gedanklicher Unterscheidung (distinctio rationis). Die These, dass Suárez sich auf diese Weise »zwischen den Extremmodellen in Thomisten- und Nominalistenschule« (687 f.) positioniert, durchzieht das Referat M.s von Beginn an; sie beruht auf einer kritischen rélecture der von Suárez umfangreich referierten zeitgenössischen Positionen, insbeson­dere des Scotus und seiner Schule. Dies erschwert es dem Leser, die genuine Position des Suárez in nuce zu erkennen. Die detaillierte Darstellung von dessen Ausführungen hat bei M. deshalb über große Strecken eher den Charakter eines theologiegeschichtlichen Kompendiums als einer systematischen Zusammenfassung des dogmatischen Entwurfs des Suárez.
Nachdem der Personbegriff von Suárez schon an früherer Stelle zur ontologischen Grundkategorie der Gotteslehre erklärt wurde, führen die Kapitel 8 und 9 zur trinitätstheologischen Personlehre des Suárez, die im Wesentlichen um die (zum Schöpfungsakt) analog gedachten Hervorbringungsmodi (Zeugung, Hauchung) und die den göttlichen Personen eigenen Besonderheiten (Proprietäten) kreist.
Kapitel 10 wendet sich mit der »Sendung der göttlichen Personen« in der gebotenen Kürze dem ökonomisch-heilsgeschichtlichen As­pekt des Trinitätsglaubens zu und vervollständigt damit das bisher gezeichnete Bild. Mit der – schon für die Frage nach der Wesenseinheit der göttlichen Personen relevanten – Unterscheidung zwischen dem gemeinsamen Wirken der Personen nach außen und ihrer (personal-relationalen) Beziehung nach innen gelingt es Suárez, die Schöpfung als ungeteilte Wirkung des einen Gottes (opera indivisa ad extra) zu erkennen, ohne die Fundamentaldifferenz zwischen göttlichem und kreatürlichem Bereich aufzuheben.
Mit diesen Hinweisen ist der Rahmen umrissen, in dem sich die Untersuchung M.s bewegt. Sie beschränkt sich auf immanente Trinitätstheologie im strengen Sinn, was sich nicht nur aus der notwendigen inhaltlichen Beschränkung ergibt: Die heilsgeschichtlichen Wirkungen des Glaubens an den dreifaltigen Gott sind ohnehin vielmehr Gegenstand der Schöpfungs- oder Gnadentheologie und können deshalb ohne Abstriche außen vor bleiben. Ohne zu sehr zu paraphrasieren oder zu interpretieren, bewegen sich die Ausführungen M.s durchgehend auf dem hohen Niveau der scholastischen Referenztexte. In großer sachlicher Nähe zu den Quellen werden die über verschiedene Stellen seines Opus verstreut zu findenden trinitätstheologischen Aussagen des Suárez zusammengefasst; ein eher referierender Duktus lässt sich dabei kaum vermeiden. Die häufigen Sprünge im Werktext suggerieren aber zugleich, dass eine fertige Trinitätstheologie bei Suárez von Anfang an vorgelegen habe. In anderen Zusammenhängen (etwa der Glaubens- oder der Gerechtigkeitslehre) konnte jedoch gezeigt werden, dass das theologische Denken des Suàrez durchaus einer inneren Entwicklung unterworfen war. Jeder systematischen Darstellung zur spanischen Scholastik sollte daher eine kritische werkgenetische Synopse vorausgehen.
Auffällig ist bei dieser Arbeit auch die überproportionale Verwendung scholastischer Fachsprache, die dem Leser die unvoreingenommene Lektüre erschwert. Indem M. methodisch den Stil des Suárez über weite Strecken imitiert (extensive Diskussion möglichst aller relevanten Meinungen zu einer Frage), lässt er didaktisches Gespür vermissen; die pistologische Relevanz spätscholastischer Theologie bleibt dabei weitgehend auf der Strecke. So richtet sich seine Untersuchung in ihrem Charakter als akademische Lehrschrift denn auch in erster Linie an Fachkreise, insbesondere an ausgewiesene Kenner scholastischer Dogmatik, die den vergleichsweise hohen Preis des Buches in Kauf nehmen. Wer sich jedoch von der vorgelegten intellektuellen Messlatte nicht abschrecken lässt und M. in die dialektischen Verästelungen des spätscholastischen Diskurses zu folgen bereit ist, wird von der Lektüre dieser Abhandlung profitieren.