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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1094–1096

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Fischer, Konrad

Titel/Untertitel:

Prota, Eschata, Existenz. Bemerkungen zur Theologie Peter Brunners

Verlag:

Hildesheim-Zürich-New York: Olms 1994. 199 S. 8° = Theologische Texte und Studien, 5. Kart. DM 47,80. ISBN 3-487-09932-2

Rezensent:

Gert Hummel

Der Vf. der vorliegenden Studie über die Theologie des weithin vergessenen ehemaligen Heidelberger Systematikers Peter Brunner ist Pfarrer im Badischen Heddesheim, Dr. theol., und bisher mit Arbeiten über Bonaventura und Schleiermacher hervorgetreten. Seine Untersuchung möchte demgemäß die Brücke von systematischen zu praktisch-theologischen Fragen nach dem Woher und Wohin menschlicher Existenz schlagen. Brunners Theologie, der er nach eigenem Zeugnis viel verdankt, wird ihm dabei zum Leitstern. In drei Kapiteln ­ Erzählen (9-98), Denken (99-166) und Betrachten (167-189) ­ entfaltet er seine Überlegungen.

Ausgangspunkt des Brunner nachfolgenden "Erzählens" ist dessen Einsatz bei der "letzten Wirklichkeit" des Menschen: der Gott-Mensch-Relation. Diese ist radikal worthaft gefaßt. Demgemäß ist des Menschen "Vor-Sein" Gottes Gedanke, daß er, der Mensch, sein solle (13), der "Ruf" Gottes sein Eingang ins Leben und Gottes Wortlichkeit seine "ontologische Würde" (15). Inhaltlich ist dieses Wort die Liebe, wie sie im Sohn manifest wurde (18) und von daher das Seinsollen des Menschen und aller Kreatur kennzeichnet. Doch diesem Seinsollen folgt des Menschen Verweigerung, "kein Mythos" (29), wie Brunner konstatiert, sondern die Realität seiner selbstbezüglichen Freiheit, die zur Folge hat, daß der Mensch coram Deo nur noch existieren kann, wenn ihm sein Seinsfundament in der Verkündigung immer wieder zugesprochen wird (32). Warum der Mensch so ursündlich handelt, bleibt "protologisches Geheimnis" (38); Gott hätte anders gekonnt, wollte aber nicht, wie Brunner meint, weil er im Sohn ans Kreuz wollte, dem Bösen zum Gericht (60). Dort also ereignet sich die "innergöttliche Neujustierung der Schöpfung" (61): "Gott tötet Gott" (ebd.) auf Golgatha, dem "Urknall in Gott selber" (63, sic!). Und die Auferweckung Jesu ist das Vorweg des Eschaton, der Übergang seiner endlichen Leiblichkeit in ein universales Personsein (81f.), an dem der Glaube kraft der Verkündigung (85) und die Kirche seit Pfingsten (86) schon hier und heute teilhat, Angeld des Durchgangs durch den Tod (94), während Unglaube und Nichtgetauftsein in "unbeschreibliches Verderben" (92) führen, d. h. in Gottferne und Hölle.

Auf die Frage nach der Denkmethode, die hinter dieser schlechthin orthodoxen Position steht, findet das Nach-"Denken" F.s die Nähe Brunners zum Neukantianismus Natorps, der den transzendentalen Ansatz Kants (126 ff.) mit dem Erfahrungseinschlag Schleiermachers (128) verbunden hat. Das heißt: Gottes Wortlichkeit ist höchstes Selbstbewußtsein (102), das sich als Wille und Durchsetzung eines Urteilens über Welt und Menschen konkretisiert; der Glaube aber ist "Vollstreckungsgeschehen" (101) dieses Urteils, also ebenfalls wesentlich Bewußtsein. Die lebenswirkliche Wirklichkeit ist somit bestenfalls Adressat dieser gültigen, nicht gestammelten (sic!), Sätze Gottes (105), die zutiefst eschatologischen Sinn haben. Hier waltet eine "Mechanik des Logischen" (117), die letztlich ohne jede Ontologie auskommt (134); Sein ist nur eine Form oder Selbstbewegung des Logischen (137).

Daß Brunner als "mechanischer Logiker" (140), wie F. sagt, nicht vollständig in einem reinen Strukturdenken gefangen bleibt, verdankt er nur gewissen religionswissenschaftlichen Einflüssen von James, Otto oder auch Kierkegaard (140.152ff.). Neben der reinen Vernunft, die dies alles nur erkennt, steht für ihn das nicht erklärbare Ergriffensein des Glaubens und die "Stiftung einer neuen Personmitte" (149) durch das Heilswort der Verkündigung.

Das dritte, "betrachtende" Kapitel versucht im Rückblick auf Brunner den Ertrag für die gemeindliche Praxis zu finden. F. sieht ihn in einer Vierfalt: Für die Homiletik insofern, als Brunner dazu zwinge, den oft dunklen Schriftsinn, das "was Christum treibet", im genauen Hinhören und eigenem Erkunden immer neu aufzudecken (169), wobei die Klimax vom Heil zur Verlorenheit gehe, nicht umgekehrt; für die Poimenik insofern, als Brunners theologische Mitte dem Menschen die Konfrontation mit seiner Todes- und Höllenangst nicht erspare, aber nur in ihr oder mitten durch sie hindurch die religiöse Dimension (172) aufbreche, d. h. Heil erfahrbar werde; für die Ethik insofern, als Brunner auf der "Leiblichkeit der Kondeszendenz Gottes" (175) beharre, was theologische Ethik notwendig zur Konfliktethik und zur Ordnungsethik mache, d. h. konservativ sein läßt (178); für die Dogmatik schließlich insofern, als für Brunner " das Wort... alles (ist)" (180), weshalb Theologie geschichtlich zu betreiben sei und sich jeder Metaphysik zu enthalten habe, denn nur so bleibe die Freiheit des Geistes gewahrt (182).

Einzig an diesem letzten Punkt äußert F. Kritik an Brunners Position, weil das Wort ohne Seinsprädikation nicht wirklich und die Differenz zwischen der "Ontologie des Seins" und der "Logologie des Worts" im Grunde bei ihm nicht mehr auszumachen ist (183). Die Frage ist aber von daher, ob damit nicht der Kern des Ganzen getroffen und zerbrochen ist, ganz abgesehen davon, daß der gegenwärtige Mensch mit einer derartigen "konzentrierte(n) Sprachannäherung des Glaubens" (184) nichts mehr anzufangen weiß ­ nicht aus Unglauben, wie Theologie oder Kirche, sich selbst täuschend, vielleicht meinen, sondern um der Vielfalt und Macht dessen willen, was ihn "unbedingt angeht" (P. Tillich).

So bemühungsreich daher diese Hommage auf den leidenschaftlichen lutherischen Gelehrten und Hochschullehrer Peter Brunner auch sein mag, der Rez. bekennt unverblümt, daß solches theologisch-orthodoxe Denken der Vergangenheit angehört, zumindest heute.