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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

603-605

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Welz, Claudia

Titel/Untertitel:

Love’s Transcendence and the Problem of Theodicy.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XX, 437 S. gr.8° = Religion in Philosophy and Theology, 30. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-149561-8.

Rezensent:

Wolfgang Baum

Zweifelsohne kann die Verhältnisbestimmung von phänomenologischer Hermeneutik und theologischer Reflexion zu den schwierigen Diskursorten der Moderne gezählt werden. Dies liegt zunächst an den Vertretern der Phänomenologie selbst, die auf Grund ihrer Methode einen sehr autonomen Theologiebegriff entwickeln bzw. theologische Fragestellungen generell ablehnen. Daher ist allein der Versuch aller Ehren wert, aus dieser problematischen Ausgangskonstellation heraus sowohl für die Phänomenologie als auch für die Theologie konstruktive Querbezüge zu entwickeln und Gott als Gegenstand phänomenologischer Methodologie zu begreifen. Dieser anspruchsvollen Aufgabe stellt sich die Dissertation von Claudia Welz, Love’s Transcendence and the Problem of Theodicy, wobei W. mit der Frage nach der Theodizee gleichsam den Nerv theologischer Selbstbehauptung trifft, zumal nicht zuletzt im Schatten der Shoah die herkömmliche Theodizee als gescheitert zu bezeichnen ist und der Gottesbegriff allenfalls im Modus seiner (möglichen) Abwesenheit bzw. Verborgenheit verhandelbar erscheint: »The problem of theodicy is examined as the problem of how to interpret and to cope with the epistemic ambiguity of God’s transcendence, be it inter­preted as absence, distance or hidden presence of God’s love in human life, particularly in experiences of evil and suffering.« (15) Die sich hier abzeichnende Herkulesarbeit meistert W. in drei Teilen: Das erste Kapitel (21–87) klärt grundsätzliche Voraussetzungen problemgeschichtlicher Art: Die Verhältnisbestimmung von Transzendenz und Immanenz in der okzidentalen Denktradition, unter be­sonderem, weil für die Fragestellung konstitutivem Rückgriff auf die Religionsphilosophie von F. Schleiermacher, ferner die theologischen Implikationen der Phänomenologie E. Husserls, dessen Einsichten in die Bewusstseinsleistung menschlicher Subjektivität gerade am Ende der Unter­suchung erneut zur Geltung kommen, und schließlich die Bruchstellen im Kontext der Theodizeedebatte, vor allem in der Aus­einandersetzung mit den Systembildungen des deutschen Idealismus. Mit G. W. F. Hegel als kritischer Reibungsfläche schafft sich W. eine gelungene Ausgangsbasis, um gerade am Theodizeeproblem den philosophisch-theologischen Paradigmenwechsel durch S. Kierkegaard und F. Rosenzweig zu diskutieren. Die Hegelsche Philosophie des Geistes verfehlt sowohl die für den spezifisch christlichen als auch die für de n jüdischen Ansatz unabdingbare Grundvoraussetzung menschlicher Subjektivität. Mit Kierkegaard (89–181) und Rosenzweig (182–276) werden daher die historischen wie methodologischen Defizite des Hegelschen Idealismus unter besonderer Würdigung zweier Werke diskutiert: Die »Taten der Liebe« von Kierkegaard sowie »Der Stern der Erlösung« von Rosenzweig. Mit Kier­kegaard als dem renommierten Hegelkritiker beginnend, wird zunächst der Ansatz einer existenzphilosophischen Begründung des Glaubens als neuplatonisch-negative Theologie zu Recht bezweifelt (vgl. 99) – im Gegenteil: die apophatische Dimension des subjektiven Glaubensvollzuges setzt die Glaubensüberzeugung göttlicher Selbstoffenbarung voraus (vgl. 98). Gott wird so zum Abbild und zum »perfect mirror« des eigenen Selbst (113) und begründet damit einen Transzendenzbezug, der einerseits nicht in der Immanenz aufgeht, andererseits sich aber in deren kategorialer Vermittlung zeigt und ihrer bedarf. Die Ambivalenz göttlicher Selbsterschließung bei Kierkegaard eröffnet W. nun die Möglichkeit, sich kritisch sowohl mit der Hegelschen Phänomenologie des Geistes als auch mit späteren phänomenologischen Bestimmungen, vor allem bei E. Husserl und M. Heidegger, auseinanderzusetzen (vgl. 128–139), um im Anschluss daran eine detaillierte Erschließung der Liebesthematik bei Kierkegaard anzufügen. Von hohem Ertragswert erweisen sich hier die Be­sonderheiten der dänischen Terminologie, auf die W. verweist und damit auf interessante Deutungskategorien aufmerksam macht, die dem der Landessprache unkundigen Leser ansonsten verschlossen blieben. Der Bezug zum Leidmotiv der Theodizee lässt sich als Abschluss und Überleitung zum zweiten Hauptteil der Untersuchung verstehen. Kierkegaards Interpretation der Hiob-Thematik führt in diesem Zusammenhang allerdings nicht zu einer Verschärfung der Theodizee, sondern reformuliert allenfalls herkömmliche Pädagogik-Modelle der klassischen Theologie (vgl. 181). Nicht zuletzt aus der Sicht einer Theologie nach Auschwitz fällt damit der Blick zwangsläufig auf das jüdische Pendant der postidealistischen Philosophie.
Rosenzweig verbindet mit Kierkegaard die fundamentale Kritik an der »Hegelei« und dem sich darin begründenden Anspruch, die prädikative Wesensmetaphysik zu überwinden. Im Blick auf die frankophone Rezeption existenzphilosophischer Reflexion deuten sich bei Rosenzweig zudem zukunftsweisende Paradigmenwechsel an: die Relevanz der Sprache (vgl. 193–195), die phänomenologische Beschreibung von Welt als Ort göttlicher Selbstoffenbarung und damit die Möglichkeit ihrer phänomenalen Selbstgegebenheit, die sich für Rosenzweig bereits in einer performativen Deutung des Tetragrammes, die sich jedweder substanzontologischer Aufhebung ins Allgemeine widersetzt, abzeichnet (vgl. 198 f.). Bezüge zur Kabbalah, die schon aus der Gesamtkonstruktion von Rosenzweigs Hauptwerk erkennbar sind, werden von W. ebenso referiert wie bislang nur peripher wahrgenommene Parallelen zu den »Weltalter«-Fragmenten von F. W. J. Schelling (vgl. 206 f.). Das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz, das einer Phänomenologie göttlicher und menschlicher Liebe zu Grunde liegt, konstituiert einen dialogischen und nicht dialektischen Liebesbegriff, der die Erfahrung nicht dem Denken unterordnet (vgl. 222–224) und auch die emotionale Dimension von Liebe nicht ausschließt (vgl. 245–251). Wie auch am Ende der Ausführungen zu Kierkegaard, so bildet ebenso bei Rosenzweig die Frage nach dem Leid die Brücke zum abschließenden Teil der Studie, die mit E. Levinas (277–326), J. Derrida (327–351) und J.-L. Marion (351–374) zentrale Vertreter der französischen Phänomenologie zitiert. Auf Grund der dazwischen liegenden historischen Zäsur der Shoah kommt W. nicht umhin, das Problem der Theodizee in neuer Radikalität zu stellen, da gerade im Schatten von Auschwitz die Frage nach einem »theological turn« innerhalb der Postmoderne höchst umstritten ist. Insofern können lediglich Motive und mögliche Parallelen eruiert werden: Gerade von Levinas wird die phänomenale Gegenwart Gottes grundsätzlich in Frage gestellt und mit dem Begriff der »Illeität« der Solipsismus Heideggers zu Gunsten einer unhintergehbaren moralischen Herausforderung durch »den Anderen« postuliert. Während Gottes Liebe allenfalls indirekt im Modus der menschlichen Begegnung greifbar ist, erweist sich Derridas Phänomenologie des Geschenks als möglicher Bestimmungsort göttlicher Liebe, auch wenn Derrida einer derartigen theologischen Inanspruchnahme skeptisch gegenübersteht. Mit Marion zeigt W. abschließend einen möglichen Ausweg aus der Aporie, insofern Gott als »gesättigtes Phänomen« zwar nicht in seiner Selbstgegebenheit als objektiver Gegenstand dem Bewusstsein gegenübertritt, wohl aber in der Kategorialität der Lebenswelt durch diese vermittelt und damit erfahrbar bleibt.
W. hat eine beeindruckende Studie vorgelegt, die insbesondere durch umfangreiche Quellenarbeit und Stoffmenge besticht. Da­mit erreicht sie eine Tiefendimension in der Erschließung der Fragestellung, die zum einen auf Vorkenntnisse des Lesers zurückgreifen muss, zum anderen neue systematische Einsichten ermöglicht und somit Forschungsarbeit im besten Sinne darstellt. Dass dabei mitunter das komplexe Problem der Theodizee, wie im zweiten Teil des Titels angekündigt, etwas auf Kosten der Frage nach der phänomenalen Gegenständlichkeit Gottes als Liebe in den Hintergrund tritt, sollte allerdings keineswegs den herausragenden Gesamtwert dieser Studie schmälern.