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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

601–602

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Stosch, Klaus von

Titel/Untertitel:

Gott – Macht – Geschichte. Versuch einer theodizeesensiblen Rede vom Handeln Gottes in der Welt.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2006. 429 S. 8°. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-451-29145-6.

Rezensent:

Wolf Krötke

Dieser fundamentaltheologischen Habilitationsschrift an der ka­tholischen Fakultät der Universität Münster aus dem Jahre 2005 geht es um zweierlei. Sie will 1. die Unerlässlichkeit des christlichen Redens vom »Handeln Gottes« darlegen und 2. das Verständnis dieses Handelns »sensibel« der Theodizeefrage und damit der Erfahrung des Leidens von Menschen aussetzen.
Darum werden zunächst die Argumente für und gegen die Möglichkeit, von einem »Handeln Gottes« zu reden (vgl. 22–174), geprüft. Das geschieht nicht im luftleeren Raum. Die »Kriteriologie« dieser Abwägung wird »der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus« entnommen (152). Das heißt: Es wird vorausgesetzt, dass Gott in jeder Hinsicht als »befreiende Liebe« (172) zu verstehen ist. Im Glauben an den Gott, in dessen »innertrinitarische(m) Leben Liebe und Freiheit immer schon vollkommene Realität sind« (46), ist Gott nur als freie »Person« zu verstehen, die sich im »Werben um die Liebe des Menschen« nur der »Mittel der Liebe« bedient (vgl. 23–29.318 f.).
Unter der Leitung dieser Kriteriologie ist die Verwendung der Kategorie des »Handelns« für Gottes Wirken als eines »Subjektes«, das »eine Transformation von Zuständen in der Welt bewirkt oder verhindert« (43), unvermeidlich. Sie wahrt die personale Freiheit Gottes und die Freiheit der Menschen bzw. die Selbständigkeit der Welt in einem »dialogischen« Verhältnis (vgl. 87). Gottes Handeln – per analogiam proportionalitatis zu menschlichem Handeln zu verstehen (vgl. 39–43) – ermöglicht die freie Antwort der Liebe von Menschen auf seine Liebe im Aufweis von »Handlungsalternativen« (86). Im Anschluss an die »Theorie der doppelten Täterschaft« spricht der Vf. sich für ein »Repräsentationsmodell« als Muster des Handelns Gottes aus (vgl. 76–85). Das bedeutet: Gott handelt durch das Handeln von Menschen, die sein Handeln »darstellen«. Dieses Modell ermöglicht es, von »besonderen Handlungen Gottes« zu sprechen (89), die als »Handlungsstufen« (170) verstanden werden: Neben der creatio ex nihilo und der creatio continua »handelt« Gott demnach besonders durch »intramentale« Akte von Menschen, durch die »kontigente Öffnung der Naturgesetze«, aber auch un­vermittelt »interventionistisch« in solchen Ereignissen wie der Inkarnation (vgl. 168–174).
In das entwickelte Grundmuster für das Verständnis des »Handelns« Gottes zeichnet der Vf. in einem zweiten Hauptteil das Theodizeeproblem als Widerspruchsproblem zwischen Gottes Allmacht und seiner Liebe ein (vgl. 175–317). Dabei geht es ihm einerseits darum, die Konsistenz des Glaubens an den allmächtigen Gott der Liebe angesichts des Leidens der Welt rational auszumitteln (vgl. 177 f.). Das Recht der »Warum-Frage« soll aber andererseits auch nicht zu Gunsten einer theologischen »Verblüffungsfestigkeit« (398) durch das Leiden eliminiert werden (303). Beide Anliegen verfolgt der Vf. nach einer Diskussion verschiedener »Lösungen« der Theodizeefrage (vgl. 184–228) unter Aufnahme der sog. free will defense (vgl. 229–269). Danach ist Gottes unbedingte Respektierung der Willensfreiheit des Menschen, der sich das male moralum verdankt und dem das malum physicum zuzuordnen ist (268), als der größere Wert gegenüber dem Dasein eines liebesunfähigen Menschen ohne Leiden anzusehen (vgl. 269–281).
Allerdings kann diese Argumentation nur dann Bedeutung haben, wenn die vom Leiden betroffenen Menschen sie sich auch anzueignen vermögen (vgl. 281–288) und wenn sie die »Sensibilität« der Theologie für das Leiden nicht überspielt. Für sich und als solche führt diese Argumentation gegenüber der atheistischen Negation des Daseins eines Gottes, der solches Leiden zulässt, in eine »Pattsituation« (306). Für den Glaubenden aber löst sie sich durch das existenzielle Vertrauen zu dem Gott, der selbst in weltlicher Ohnmacht und Kenose nicht aufhört, »neue Lebensmög­lichkeiten« zu eröffnen und – in eschatologischer Perspektive – Hoffnung auf sein unausrechenbares neues Handeln zu begründen (vgl. 315 f.).
Im Schlusskapitel über »Koordinaten einer theodizeesensiblen Rede von Gottes Handeln in der Welt« (vgl. 318–399) unternimmt der Vf. u. a. den Versuch, »Auschwitz als Bewährungsprobe (!?) der erarbeiteten Kriteriologie« zu begreifen (vgl. 30–337). Ob das wohlgetan ist, kann angesichts der Beispiele, die hier für eine Theorie des »besonderen Handeln[s]« Gottes in Anspruch genommen werden, be­zweifelt werden.
Es gibt ein Leiden in der Geschichte, zu dem auch der Theologe nur klagend und betend schweigen kann. Darum erscheint es angemessener, dass die Pointe der Arbeit in der Zukunft, nämlich in »Ansätzen« einer »trinitarischen Perspektivierung der Rede von Gottes Handeln« (vgl. 337–399) gesucht wird. Unter Voraussetzung der perichoretischen Einheit des trinitarischen Gottes und der in ihr begründeten heilsökonomischen Ap­propriationen kann das besondere »Handeln« von Vater, Sohn und Geist präzisiert werden: Der Vater verweist als schöpferischer Urgrund allen Seins auf das bleibende Geheimnis seines göttlichen Handelns, das uns nur in der »Weise des Vermissens« (346) bei seiner »nie verstehbaren Lenkung der Geschichte und des Einzel­schick­sals« (352) gegenwärtig ist. Der Logos im Menschen Jesus versichert uns dessen, dass Gott nur »in Knechtsgestalt« liebt und um die Liebe von Menschen wirbt (vgl. 370–374). Der Geist aber ist Gott, der Menschen verwandelnd ergreift, so dass sie in der durch ihn geschenkten Erkenntnis und Kraft selbst zu Liebenden werden, welche für die Würde von leidenden Menschen in der Hoffnung auf Gottes Überwindung alles Leidens eintreten (vgl. 375–391.392–399).
Der Vf. hat sich auf dem Wege der Erarbeitung dieses Ausblicks auf eine trinitarische Geschichtskonzeption, welche das Theodizeeproblem offenhält, aber ihm zugleich auch standhalten möchte, viel zugemutet. Gemeint ist damit nicht nur die respektable Leistung des Sichtens und Reflektierens einer weit verzweigten Literatur, in der diese Arbeit voranschreitet. Beeindruckend an ihr ist vor allem, wie hier eines der schwierigsten Probleme, vor denen die Theologie und jede christliche Kirche in unserer Zeit stehen, mit dem Willen und der Fähigkeit zu intellektueller Klarheit einerseits und mit einem empfindsamen Realitätssinn andererseits behandelt wird. Nicht immer stimmt beides gut zusammen und kann es wohl auch nicht.
Bei den Passagen, in denen der Vf. die Möglichkeiten auslotet, vom »Handeln Gottes« und vom Vorzug des Gottesglaubens gegenüber dem Deismus und Atheismus zu reden, fühlt sich der Leser zuweilen in so etwas wie ein Schachspiel Gottes im Namen des Glaubens an ihn hineinversetzt. Auf der anderen Seite scheint zu viel gesagt zu werden, wenn Gottes »Handeln« direkt inmitten von Leiderfahrungen verifiziert wird. Aber die gewissen Grenzüberschreitungen dessen, was christlicher Theologie angesichts der Problematik, der sich diese Arbeit stellt, möglich ist, sind nirgendwo ab­schre­ckend.
Ich verstehe sie als Herausforderungen und Einladungen nicht nur an die spezielle theologische Zunft, sondern vor allem an eine heranwachsende theo­logische Generation, sich einem der Kernprobleme des christlichen Glaubens an Gott auf eine dem Lebensnerv dieses Glaubens verpflichtete und klare Weise zu stellen. Weil dieses Buch dies vermag, ist es ein gutes Buch.