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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

595–596

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schröder, Richard

Titel/Untertitel:

Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2008. 124 S. 8°. Geb. EUR 16,95. ISBN 978-3-451-29842-4.

Rezensent:

Annette Weidhas

Richard Schröder, Theologe und Philosoph, seit Jahresbeginn Emeritus der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, legt mit diesem Buch eine Streitschrift im besten Sinne vor, die an Eindeutigkeit und Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt. Er plädiert mit Verve für einen vernünftigen Diskurs zwischen Religion und Naturwissenschaft, der die jeweils interne Logik des Gegenübers ernst nimmt, aber vor allem auch – als Voraussetzung dafü r– die eigene Argumentation gewissen rationalen Ansprüchen unterwirft. We­nigstens sollte anerkannt werden, dass jede Diskussionsgrundlage abgebrochen wird, wo das, was man gemeinhin »gesunden Menschenverstand« nennt, weitgehend ideologischen Prämissen geopfert wird, deren Konsequenzen in die Absurdität führen.
Dieses Problem sieht S. bei Richard Dawkins’ im Jahr 2006 erschienenem Buch »Der Gotteswahn« gegeben und tut das s. E. einzig Mögliche – er spießt die Abstrusitäten auf. So zitiert er aus dem Gotteswahn den reizenden Satz: »Die Fähigkeit, uns die fremdartige Welt von Fledermäusen und Nashörnern, Ruderwanzen oder Maulwürfen, Bakterien oder Borkenkäfern auszumachen, gehört zu den Privilegien, die uns die Wissenschaft verschafft.« S.s Kommentar dazu: »Nebenbei bemerkt: ich weiß nicht, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Die Fähigkeit, sich vorzustellen, unter welchen Voraussetzungen nicht ganz dumme Menschen Gottesbeweise für überzeugend hielten ... ist ihm [Dawkins] leider nicht gegeben. Da hat er nur Hohn und Spott für die menschliche Dummheit übrig. Wie wär’s denn, wenn er sich einmal statt in Ruderwanzen in religiöse Menschen zu versetzen versucht?« (16) In der Art amüsiert S. seine Leser bei vielen Gelegenheiten und präsentiert als Draufgabe wissenswerte Fakten und präzise Analysen für einen breiten Leserkreis. Manche Hintergründe setzt er aber auch ungenannt voraus, so z. B., dass es zur Frage nach der Fledermaus eine bekannte philosophische Debatte gibt (vgl. Thomas Nagel, What is it like to be a bat? In: The Philosophical Review. Cornell University, Ithaca 83, 1974, 435–450). Nagel meint, dass die Wissenschaften in ihrer Methode generell auf eine Außenperspektive festgelegt seien, in der sich die Innenperspektive des Erlebens gar nicht fassen lasse.
S. gliedert sein Buch in fünf Hauptkapitel. Das erste ist überschrieben mit »›Eine Welt ohne Religion‹?«. Hier setzt er sich mit dem Darwinismus im Allgemeinen und Dawkins Memtheorie im Besonderen auseinander. »Meme« sind von Dawkins erfundene »Einheiten der kulturellen Vererbung«, die sich im »Mempool« verbreiten, »indem sie von Gehirn zu Gehirn überspringen« und sich mit ähnlicher »Pseudoskrupellosigkeit« verbreiten, »die auch er­folgreiche Gene an den Tag legen« – und ein solches Mem sei beispielsweise der Darwinismus (bei S.: 28.29). Ist derlei wissenschaftlich-religionsphilosophischer Solidität noch angemessen? Die Re­zensentin stimmt jedenfalls Wolfram Weimer zu, der schreibt, dass sich die Religionskritik inzwischen ihre eigene negative Theologie geschaffen habe, und dann im Blick auf die derzeit diskutierten »Populär-Atheisten« nach »dem Grad der Absurdität« fragt, den man »noch bereit ist zu akzeptieren« (Geleitwort zu Leszek Kolakowski, Falls es keinen Gott gibt, Gütersloh 2008, 7). S. ist an dieser Stelle intolerant. Er glaubt nicht, dass er sein Gehirn ist, und sieht den eigentlichen Bezugspunkt eines solchen biologistischen und zudem geschichtsvergessenen Atheismus in christlichen Fundamentalismen wie dem Kreationismus, wobei er die Vertreter des Letzteren aber noch gegen Dawkins in Schutz nimmt, da selbst für die »fundamentalistischsten christlichen Fundamentalisten« im Gegensatz zu Dawkins immer noch gilt, dass das Neue Testament das Alte interpretiert (83). S. beendet das Kapitel mit kritischen Bemerkungen zu einem konsequenten Utilitarismus und erläutert, warum Dawkins nicht darüber überrascht hätte sein dürfen, dass ein »rücksichtsloser Manager« erklärt habe, er sehe sich durch das Buch Das rücksichtslose Gen (1976, 22007) »bestätigt« (85). Damit ist die Überleitung zum zweiten Kapitel »Religion – ein widerborstiges Phänomen« gegeben, in dem es neben anderem um Ethik geht. Als Grund für Dawkins’ Desaster im Blick auf die Ethik gibt S. im dritten Kapitel »Wissen, Meinen, Glauben – Einübungen ins Unterscheiden« zutreffend das Fehlen einer interpersonalen Perspektive an. Wieder zitiert S. seinen Antihelden: »Nüchtern be­sehen, ist eine Art von ›Viellieberei‹ vernünftiger als das fanatisch-monogame Engagement, zu dem wir neigen.« Man könne durchaus mehrere Angehörige des gleichen Ge­schlechts lieben, »wie man auch mehrere Weine, Komponisten, Bücher oder Sportarten liebt«. S. dazu lakonisch: »Da hat er einen kleinen Unterschied übersehen: Weine und Bücher lieben ihrerseits nie.« (115) Und, so würde die Rezensentin hinzufügen, es gibt nicht nur verschiedene Formen der Liebe, die man tunlichst auseinanderhalten sollte, sondern auch einen Unterschied zwischen »Liebe« und »Gefallen«, »gern mögen« und »hoch schätzen« usw.
Den Unwägbarkeiten menschlichen Differenzierungsvermögens sah sich schon der »wissenschaftliche Atheismus« kommunis­tisch-sozialistischer Prägung nicht gewachsen. S. schreibt denn auch an vielen Stellen explizit aus dem Erfahrungshintergrund seiner ostdeutschen Vergangenheit und hält diese dem Briten Dawkins, der auf den angelsächsischen Kontext fixiert ist, als Spiegel vor. In vielfältiger Weise interessant und über die Auseinandersetzung mit Dawkins hinausgehend ist das vierte Kapitel »Atheis­mus«, das vom »Atheismus der Antike« (1. Unterpunkt) bis zum »Atheismus der Gleichgültigkeit« (10. Unterpunkt) reicht. Dabei sieht S. das »Hauptgebrechen« des Marxschen Denkens darin, »dass es Unterscheidungen nur als aufzuhebenden Widerstreit deuten kann« und keine »legitimen, klärenden, heilsamen Unterscheidungen« kenne (186). Schon im Ethikteil hatte S. darauf verwiesen, dass im Falle einer Ersetzung der Religion durch Ethik die Verheißung »von der Auflösung aller Widersprüche« verschwinden würde, »die, wenn sie hier und jetzt gefordert wird, zerstörerisch wirkt« (105). Auch wenn die Argumentation mit Millionen von Toten immer problematisch ist – offenbar ist es gelegentlich nötig, daran zu erinnern, welche Mitschuld die dümmliche und brutale Säkularisierung religiöser Eschatologie an der oft ganz bewussten »Opferung« unzähliger Menschenleben um des »guten« Zieles willen in den kommunistischen Herrschaftsgebieten des 20. Jh.s hatte. Und es ist kein Zufall, dass die sozialistische Utopie mit einem antidemokratischen Affekt verbunden war und ist.
Nach Dawkins aber war das Christentum »die blutigste Religion aller Zeiten«. S. versieht dieses durchaus rufmörderische Diktum mit einem Fragezeichen und stellt es über sein letztes, das fünfte Kapitel. Diese Seiten sind ein Lehrbeispiel kluger und differenzierter Apologetik, die heute offenbar wieder nötig ist. Schon die christlichen Apologeten der Frühen Kirche schrieben nicht aus bloßer Rechthaberei, sondern mussten sich oft gegen wenig intelligente oder gar bösartige Vorwürfe verteidigen. Das schließt Selbstkritik ein, die aber auch aufklären und historisch bilden sollte. Genau das tut S. hinsichtlich der Kreuzzüge und Hexenverbrennungen. Und an das Ende seines Buches stellt er eine Schlussbemerkung zum Altruismus, den Dawkins, logisch unerwartet und uneinsichtig, in nun gar »reiner« Manier proklamiert (223). Der vergöttlichte Mensch – das wahre »reine« Gute?