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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

593–594

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schlegel, Friedrich

Titel/Untertitel:

Schriften zur Kritischen Philosophie 1795–1805. M. e. Einleitung u. Anmerkungen hrsg. v. A. Arndt u. J. Zovko.

Verlag:

Hamburg: Meiner 2007. LXIV, 240 S. 8° = Philosophische Bibliothek, 591. Lw. EUR 48,00. ISBN 978-3-7873-1848-3.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Aktuell spielt in der deutschsprachigen Theologie auf evange­lischer und katholischer Seite besonders in hermeneutischer, fundamentaltheologischer und dogmatischer Hinsicht der Deutsche Idealismus eine wichtige Rolle. Dieser Ausrichtung auf den Deutschen Idealismus kann im Fachdiskurs eine einseitige Fixierung auf die auf einem hohen Niveau stagnierende Hegel- und Fichte-Forschung vorgeworfen werden. Mit diesem Vorwurf verbindet sich das Unbehagen an der idealistischen Überzeugung von der einseitigen Abhängigkeit der Wirklichkeit vom Bewusstsein, die sich besonders im Gefolge Fichtes zur These von der Absolutheit des Ichs steigern kann. Es ist von daher verständlich, dass – auch im Sinn der Alltagserfahrung – nach alternativen Theorien Ausschau gehalten wird, die dieser Überzeugung auf der argumentativen Höhe des Deutschen Idealismus widersprechen. Neben Schellings Spätphilosophie kommt hier besonders die Frühromantik in Frage, deren Hauptvertreter Friedrich Schlegel ist. Dabei galt es bisher als problematisch, dass die Frühromantik-Forschung erst in der jüngsten Zeit über eher atmosphärische Schilderungen des vermeintlichen frühromantischen Irrationalismus hinausgekommen ist.
Einen wichtigen Beitrag zur chronologischen, philologischen und philosophischen Erschließung von Sch.s Denken stellt nun das anzuzeigende Buch dar, das zwei exzellente Schlegel-Kenner herausgegeben haben. Es enthält Texte von Sch.s Anfängen bis 1804/05, also aus der ersten Phase seiner Entwicklung. Diese Phase kann im Anschluss an eine Selbsteinschätzung von Sch. – wie im Titel der Veröffentlichung – als »Kritische Philosophie« aufgefasst werden. Denn diese Philosophie bildet sich in dem Gespräch und in der Aus­einandersetzung mit Kants kritischer Philosophie heraus. Die we­sentlichen Begriffe der kritischen Philosophie Sch.s werden von den Herausgebern in der ausführlichen »Einleitung« (VII–LXIV) im Zusam­menhang von Sch.s philosophischer Entwicklung überzeugend und allgemeinverständlich erläutert und geklärt. Diese »Einleitung« der Herausgeber ist äußerst hilfreich, weil das Frühwerk Sch.s aphoristisch, essayistisch und fragmentarisch angelegt ist. So hat der frühe Sch. seine Philosophie in ihrer Einheit nie zusammenhängend dargestellt, sondern viele einzelne Texte hinterlassen, die auch noch so verschiedenen literarischen Genres wie Essay, Rezension oder Notizheft angehören. Unter den von den Herausgebern ausgewählten Texten ragen neben der »Rede über die Mythologie« (96–103) und dem Aufsatz »Über die Unverständlichkeit« (104–116) besonders Sch.s Überlegungen zu Lessing (117–200) und Platon (201–224) heraus. Aus evangelischer Sicht ist der im Zusammenhang der Lessing-Beschäftigung abgefasste Text »Vom Charakter der Protes­tanten« (181–190) interessant, den Sch. vor seiner Konversion zum Katholizismus ab­fasste. Danach erscheint Lessing als mustergültiger Protestant, insofern er mutig für die Wahrheit und die Freiheit des eigenständigen Denkens kämpft. In diesem positiven Verständnis ist »Polemik« das protestantische Prinzip.
Philosophisch ist für den frühen Sch. die Anknüpfung an die Theorie der transzendentalen Dialektik in Kants »Kritik der reinen Vernunft« zentral. Kant bestimmt die Dialektik als unvermeidlichen und illusionären Schein, den die Vernunft erzeugt, wenn sie die Totalität ihrer Erkenntnisbedingungen und damit das Unbedingte begreifen will. Doch Sch. vermag, in dieser Dialektik mehr als täuschenden Schein zu erkennen: Der dialektische Schein ist die Erscheinung des Unendlichen im Endlichen. Im Erfassen ihrer Grenzen kann die Vernunft sich nämlich selbst überschreiten, wie Sch. mit einem nachmals von Hegel wiederholten Argument unterstreicht: Eine Grenze als solche realisiert zu haben, schließt ihre Überschreitung ein. An der Grenze der Erkenntnis wird der Gegensatz von Unendlichem und Endlichem allegorisch und symbolisch greifbar, worauf auch Sch.s Rede von der neuen Mythologie hinweist. In der Ironie hebt sich die Vernunft zu Gunsten einer ursprünglichen Kreativität auf, die Gegensätzliches zusammenbringt (conicidentia oppositorum). Dies kann zu einem offenen Prozess des Philosophierens führen, in dem sich zart das Unendliche andeutet: Ironisch kann der Menschen seine Endlichkeit artikulieren, sie damit überschreiten und sich über sie unendlich erheben. In diesem Sinn ist Ironie nicht primär das Zeichen städtischer Gesprächskultur, sondern Mittel der Philosophie. Diese Philosophie bietet kein System, wie es etwa Fichte populär gemacht hat, sondern orientiert sich am dialektischen Philosophieren Platons: Nicht von einem einzigen Grundsatz ist auszugehen, der dann die ganze Welt erschließt, sondern von einem Prozess gemeinsamen und kritischen Philosophierens (»Symphilosophieren«). Dies schließt den Sinn für das Individuelle, Geschichtliche und Einmalige bei Sch. explizit ein.
Den Herausgebern ist sprichwörtlich ein großer Wurf gelungen: Sie erschließen frühe Texte Sch.s, die gegenwärtig und begründungstheoretisch höchst anregend sind. Dabei helfen die vorzüg­liche Einleitung der Herausgeber, ihre Anmerkungen zu den einzelnen Texten sowie das Personenregister bei der Orientierung. Weiterführende Literatur bietet eine Auswahlbibliographie. Das Buch ist unbedingt empfehlenswert.