Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

591–593

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Puntel, Lorenz B.

Titel/Untertitel:

Struktur und Sein. Ein Theorierahmen für eine systematische Philosophie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XXV, 687 S. gr.8°. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-148963-1.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Das anzuzeigende Buch bietet die systematische Philosophie, an welcher der Münchener Philosoph seit fast drei Jahrzehnten arbeitet. Diese Philosophie führt P. nach einer »Einleitung« (1–28), die sein Vorhaben angesichts der gegenwärtigen Lage der Philosophie kurz umreißt und sein Projekt in relativer Nähe zu Nicholas Reschers Philosophie verortet, in sechs umfangreichen Kapiteln durch. Angesichts der Dichte und der Fülle von P.s Ausführungen können im Folgenden nur die Leitgedanken skizziert werden.
Das erste Kapitel trägt die Überschrift »Globalsystematik: Standortbestimmung der struktural-systematischen Philosophie« (29–98). Der Ausgangspunkt ist die – an Rudolf Carnaps Begriff des Sprachrahmens anknüpfende – Einsicht, dass sich jede theoretische Aussage auf einen »Theorierahmen« bezieht, insofern sie nur im Zusammenhang einer bestimmten Begrifflichkeit, Sprache, Logik und aller ihrer maßgeblichen Implikationen verständlich ist. Die Entwicklung eines Theorierahmens für eine systematische Philosophie ist ein schwieriges Unterfangen. In einer ersten, fundamentalen Bestimmung formuliert P.: »Die struktural-systematische Philosophie ist die Theorie der universalen (allgemeinsten) Strukturen des unbegrenzten universe of discourse« (35). Was es damit auf sich hat, zeigt die Erläuterung der Begriffe. Als struktural-systematisch kann eine Philosophie gelten, die auf die Vollständigkeit und den erwiesenen Zusammenhang dessen zielt, was differenziert und geordnet ausgedrückt werden kann. Damit wendet sich P. seines Erachtens einem Desiderat der analytischen Philosophie zu. Mit der Rede von der Theorie meint P., dass es der Philosophie nicht um ein gelingendes Leben (Praxis) oder um die Schaffung von Kunst (Ästhetik) geht, sondern um die Wahrheit. Das »universe of discourse« steht für das Gegebene überhaupt, wovon die Rede sein kann. Und die »universalen (allgemeinsten) Strukturen« sind diejenigen differenzierten und geordneten Zusammenhänge, die aus der Sicht des gesamten »universe of discourse« gewonnen werden können. Der Titel des Buches »Struktur und Sein« besagt dann, dass die differenzierten und geordneten Zusammenhänge des Gegebenen überhaupt auszuarbeiten sind. Dies schließt die Überzeugung ein, dass sich das Gegebene und die Explikationsstrukturen nicht fremd gegenüberstehen. Doch ist P. nicht der Ansicht, dass es dabei nur eine einzig mögliche Sicht gibt. Viele Theorierahmen sind denkbar. Wichtig ist jedoch die nachvollziehbare philosophische Methode. P. schweben vier Stufen vor: Zuerst muss das Material einer Theorie gesucht werden. Die dabei informell angelegten Theoriefragmente sind zweitens eigens darzustellen. Drittens sind die einzelnen Theoriefragmente in einen systematischen Gesamtzusammenhang zu bringen und viertens ist dessen Wahrheit zu untersuchen. Letzteres führt zur Frage nach der Selbstbegründung einer systematischen Philosophie, die auf der Metaebene so entschieden werden kann, dass derjenige Theorierahmen sich idealerweise durchsetzt, dem die höhere Kohärenz eignet.
Das zweite Kapitel »Theoretizitätssystematik: Die philosophische Darstellungsdimension« (99–206) legt dar, dass die Sprache zentral für eine philosophische Theorie ist. Die normale Alltagssprache ist für die Philosophie jedoch nur der Ausgangspunkt: Die normale Sprache ist gleichsam so zu läutern und zu reinigen, dass sie theoretisch durchsichtig wird. Grundsätzlich bestehen P. zu­folge Theorien nicht aus Sätzen der Form »Subjekt S glaubt/er­kennt/weiß, dass p«, sondern »Es verhält sich so, dass p«: Die partikulare Perspektive des erkennenden Subjekts ist für eine ihren Namen verdienende Theorie überflüssig, wenn sie im Sinn einer objektiven Perspektive verstanden wird. In Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Theoriebegriffen entwickelt P. seinen strukturalen Theoriebegriff, wonach das Verhältnis der Strukturdimension S und der Dimension U des »universe of discourse« entscheidend ist. Dieses Verhältnis zu klären, ist der systematischen Phi­ losophie aufgegeben. Diese Klärung nimmt die Form einer Wahr­heitstheorie an. Letztere bezeichnet die Operation und das Ergebnis, dass eine in ihrem Status unterdeterminierte Sprache in eine volldeterminierte Sprache überführt wird.
Die Theorie der Wahrheit beinhaltet dabei Strukturen, die im dritten Kapitel unter der Überschrift »Struktursystematik: Die fundamentalen Strukturen« (207–328) entwickelt werden. Formal sind die logischen und mathematischen Strukturen fundamental, inhaltlich sind es die semantischen und ontologischen Strukturen. Mit der letzteren Aussage ist schon angedeutet, dass für P. Semantik und Ontologie zwei Seiten derselben Sache sind. Eine der wichtigsten Thesen lautet dabei, dass Sätze der Subjekt-Prädikat-Form auf Grund der damit verbundenen Substanzontologie für eine philosophische Sprache unannehmbar sind. Vielmehr sind Sätze wie »es regnet« primär. In ihnen werden »Primärpropositionen« ausgedrückt, die als »semantische Primärstrukturen« gedeutet werden können. Entsprechend kann ontologisch von »Primärtat­sachen« die Rede sein. Diese sind relational vernetzt. Der Zusam­menhang der fundamentalen formalen, semantischen und onto­logischen Strukturen artikuliert sich in einer Wahrheitstheorie. Danach ist die Wahrheit nichts anderes als der vollbestimmte Zu­stand des Zusammenhangs dieser drei fundamentalen Strukturen. Bezieht man diese Einsicht auf P.s These von der Pluralität möglicher Theorierahmen, stellt sich die Frage des Wahrheitsrelativismus. Darauf antwortet P.: Am Begriff der absoluten Wahrheit ist festzuhalten, wenn damit keine von irgendwelchen Theorierahmen unabhängige Wahrheit, sondern die in allen Theorierahmen einsichtige Wahrheit verstanden wird.
Das vierte Kapitel »Weltsystematik: Theorie der Weltdimensionen« (330–476) entfaltet eine systematische Ontologie, indem der entwickelte Theorierahmen konkretisiert wird: Die Wirklichkeit erscheint als die Welt der (anorganischen) Natur, des Lebens und des Menschen. Dabei kommt der Mensch als geistige Person in den Blick. Mit dem Menschen ist das Soziale, Ethische, Ästhetische und schließlich die Welt als ein Gesamtzusammenhang verbunden, der kosmisch, religiös und geschichtlich zu erfassen ist.
Das fünfte Kapitel »Gesamtsystematik: Theorie des Zusam­menhangs aller Strukturen und Dimensionen des Seins als Theorie des Seins als solchen und im Ganzen« (477–611) macht plausibel, dass die Differenz zwischen dem erkennenden Subjekt und der erkannten Welt in der Sprache schon immer überwunden ist: Der Ausschnitt der Welt, den man thematisiert, ist »ausdrückbar«. Weiter ergibt sich aus der Theorie des Seins bei P. ein Ansatz zu einer Theorie des Absoluten. So ist zwischen der kontingenten und der absolut-notwendigen Dimension des Seins zu unterscheiden. Letztere wird von P. im Anschluss an Thomas von Aquin gedeutet. Das absolut-notwendige Sein gilt P. als geistig und personal. Der argumentativ ausschlaggebende Punkt für das absolut-notwen­dige Sein ist, dass für P. die Annahme eines absoluten Nichts haltlos ist.
Das sechste Kapitel »Metasystematik: Theorie der relativ maximalen Selbstbestimmung der Systematischen Philosophie« (613–646) geht der Frage nach, welchen Theorierahmen diese Gesamtsys­tematik als Theorierahmen darstellt. Denn als universale Wissenschaft, die nicht auf andere Wissenschaften rekurrieren kann, muss die Philosophie ihre eigene Metasystematik formulieren. Dies ist nichts anderes als die Frage der Selbstbegründung der Philosophie. P.s Antwort lautet, dass es eine Pluralität von Theorierahmen gibt, die als solche letzte Theorierahmen auftreten können. Einen schlechthin absoluten Theorierahmen, der aller Problematisierung enthoben ist, kann der Mensch nicht erreichen.
Bilanzierend kann festgehalten werden: P.s opus magnum macht auf dem Boden der analytischen Philosophie einsichtig, dass die Philosophie als streng systematische Theorie der Gesamtwirklichkeit im Gefolge der großen Tradition der Metaphysik nicht hinfällig ist, wie postmodern oft verlautet, sondern eine plausible und diskutable Option darstellt: Das Buch dürfte eine Diskussion er­öffnen. Dabei reizt philosophisch wie theologisch besonders P.s Anspruch, die Aporien des subjektivitätstheoretischen Ansatzes überwunden und die Rede von der absoluten Wahrheit mit der Pluralität verschiedener Theorierahmen ausgesöhnt zu haben. Zweifellos ist P. ein Werk gelungen, das auch für die Theologie lehrreich ist, wenn sie sich auf dem Niveau der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie, Logik und Methodologie bewegen will. Ein Namen- und ein Sachverzeichnis helfen, sich in dem umfangreichen Buch zurechtzufinden, das in der bewährten Qualität des Verlages ausgestattet ist. P.s Stil ist mitunter so akkurat, dass er manchmal das Lesen nicht ganz einfach macht.