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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

587–588

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller, Klaus

Titel/Untertitel:

Glauben – Fragen – Denken. Bd. II: Weisen der Weltbeziehung.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2008. XXIV, 864 S. gr.8°. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-402-00421-0.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Es handelt sich bei diesem Buch um den zweiten Band des auf insgesamt drei Bände angelegten opus magnum des Professors für philosophische Grundfragen der (katholischen) Theologie an der Universität Münster. Zur Erläuterung der generellen Absichten und Anliegen dieses insbesondere für den Studienbetrieb der neuen BA/MA-Studiengänge konzipierten Werkes verweise ich auf meine Besprechung des ersten Bandes in: ThLZ 133 [2008], 295–297. Entsprechend der groben Unterscheidung zwischen Grundlagenmodulen und Aufbau- bzw. Vertiefungsmodulen nimmt der nun vorliegende zweite Band die thematischen Erörterungen des ersten Bandes auf, um sie in drei großen Teilen (A: »Wissen und Wahrnehmen«; B: »Verstehen, Handeln und die Einheit der Vernunft«; C: »Ontologie«) eingehender in großen geistesgeschichtlichen Kontexten zu entfalten.
Daher hat dieser zweite Band im Vergleich zum ersten weit mehr als den doppelten Umfang. Ob angesichts dieser immensen Äußerlichkeit das Studienbuch auch tatsächlich von der Zielgruppe als solches wahrgenommen und genutzt wird, bleibt mir nach aller Erfahrung mit den Lesegewohnheiten der meisten Studierenden heutzutage mehr als fraglich, auch wenn dies wünschenswert wäre. Denn M. bietet in seinen genannten, allerdings verwirrend kleinteilig untergliederten großen drei Kapiteln inhaltlich ein nahezu enzyklopädisches Panorama abendländischer Philosophie gegen den vorherrschenden Trend des »Philo-Tainments« (3) in systematischer wie historischer Perspektive von der Antike bis zu den verzweigtesten aktuellen Gegenwartsdebatten. Dabei wird erfreulicherweise, wenn auch nur kurz, sogar Fernöstliches (Konfuzianismus; Taoismus; Buddhismus) mit einbezogen (C 2.2).
Mag sein, dass kaum ein(e) Studierende(r) das insgesamt überfordernde Buch mit seinen ungeheuren Stoffmassen kontinuierlich lesen und verarbeiten wird, so sind doch einzelne Kapitel durchaus je für sich genommen und mit Querverweisen auf Band 1 und den noch kommenden Band 3 mit großem Gewinn zu lesen– nicht zuletzt auch wegen der eingängigen, manchmal jedoch zu saloppen Diktion mit einer gekonnten Verbindung von schlichten Beispielen aus dem Alltag mit solchen aus Dichtung und Kunst zur Erläuterung manch spröder philosophischer Gedankengänge insbesondere erkenntnistheoretischer (A 1) und ontologischer Art. Hier gelingt es M. besonders gut, die scholastische Transzendentalienlehre nahezubringen (C 4.5).
Allerdings sind die einzelnen Kapitel und Unterkapitel durchaus von unterschiedlicher Qualität. Gut und hilfreich sind in jedem Fall mehr oder weniger ausführliche biographische Hinweise zu den angesprochenen Philosophen, ebenso die oft ausführlichen Zitate von Quellentexten sowie die in Fußnoten vermerkte weiterführende Sekundärliteratur. Wenn man einen roten Faden sucht und zur Strukturierung der Stoffmassen finden möchte, dann bietet sich am ehesten das Stichwort »Begründbarkeit« bis hin zur »Letztbegründung« (121) an, das seinerseits auch die theologische Relevanz und Brisanz der behandelten Themen zwischen Wissen, Meinen und Glauben von der Gottes- bis zur Sakramentenlehre kennzeichnet. Damit stellt sich M. mit Recht »gegen den Trend zur Abschwächung starker Geltungsansprüche« (183). Die Zuordnung der Mystik zu dieser erkenntnistheoretischen Triade als vierte Möglichkeit (A 1.4) ist dabei jedoch problematisch, wenn auch bedenkenswert. Denn so gerät ihr in erster Linie soteriologisches Anliegen im Ringen um Einheit aus dem Blick. Auch die Einwände der Skepsis werden von M. in diesem Zusammenhang zu wenig bedacht (299), ebenso wenig angemessen die Möglichkeiten des Utilitarismus in der Ethik gerade in Zeiten des Pluralismus (B 6.3).
Sehr gut gelungen sind dagegen diejenigen Kapitel, die sich mit den Anliegen von Hermeneutik und Ästhetik – nicht als Fortschreibung, sondern als Kritik einer oberflächlichen, konsumorientierten »Weltverhübschung« (577) – im Sinne einer Ersten Philosophie befassen (A 3.32 und das ganze Kapitel B 9), insbesondere da, wo überraschende kritische Bezüge zur biblisch-theologischen Tradition hergestellt werden, wie z. B. im Blick auf Zusammenhänge von Hermeneutik, Kenosis-Christologie und caritas im Anschluss an G. Vattimo (A 3.33) oder von Virtualität und Apokalyptik (A 4.42), um nur zwei Beispiele zu nennen. Leider bleiben in diesen Zusam­menhängen die fundamental-ästhetischen Arbeiten evangelischer Theologen von P. Tillich bis zu O. Bayer und K. Stock unbedacht.
Insgesamt gelingt es M., nicht nur die Relevanz der Philosophie für die Theologie im Für und Wider einer »Hellenisierung des Chris­tentums« (A. v. Harnack) aufzuzeigen, sondern ebenso die Prägungen der abendländischen Philosophie – z. B. im Falle Heideggers auf dem Weg zu »Sein und Zeit« (333) – bis hinein in gegenwärtige Religions- und Ideologiekritik durch elementare Ge­halte des christlichen Glaubens im Sinne einer »Christizität« (730) deutlich werden zu lassen. Glauben und Wissen sind dann nicht einander über- oder unterzuordnen, sondern gleich­ursprüngliche und gleichwertige, einander bedingende »Weisen der Weltbeziehung« (36). Solche Thesen implizieren durchaus auch eine kritische Zu­rück­weisung eines z. B. von J. Ratzinger (Papst Benedikt XVI.) vertretenen ungeschichtlichen Metaphysikverständnisses mit seiner einlinig positiven Verhältnisbestimmung von fides und ratio (135 f.) in Gegenstellung zur neuzeitlichen Reflexionsphilosophie (364), an die M. durchaus (kritisch) anknüpfen kann, insbesondere an J. G. Fichte (545 ff.).
Das Bekenntnis zum »Fragment« (Vorwort, XXIV) wirkt allerdings angesichts der schwergewichtigen Systematik des insgesamt informativen, das eigene Nach- und Weiterdenken fördernden und insofern empfehlenswerten Buches eher humoristisch (im Sinne Kierkegaards), besonders dann, wenn man bedenkt, dass noch ein dritter umfangreicher Band bald folgen soll, der sich eingehend mit Fragen der Anthropologie, der Natur- und Religionsphilosophie befassen wird (854).