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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

585–587

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Cobb Jr., John B. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Back to Darwin. A Richer Account of Evolution.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2008. XVI, 434 S. gr.8°. Kart. US$ 36,00. ISBN 978-0-8028-4837-6.

Rezensent:

Hubert Meisinger

Das Buch geht auf eine Konferenz über »Evolution und Religion« zurück, die im Oktober 2004 vom Center for Process Studies in Clarement, Kalifornien, veranstaltet wurde. Der Herausgeber, John B. Cobb Jr., ist emeritierter Professor der Claremont School of Theology und Founding Co-Director des Center for Process Studies. Über die Teilnehmenden erfahren wir neben einem kurzen Curriculum Vitae, dass die meisten am Gespräch zwischen Naturwissenschaft und religiösem Glauben interessiert sind und sich darin auch einen Namen gemacht haben, so dass das Buch dieses Thema im Blick hat.
Die entscheidende Motivation zur Herausgabe dieses Buches laut Cobb (398) ist, dass noch offen ist, wie Naturwissenschaft und Religion in Zukunft aufeinander bezogen sein werden. Cobb hofft, auf diese zukünftige Beziehung Einfluss nehmen zu können, wenn auch realistischerweise nicht unbedingt in großem Maßstab. Um dieses Ziel zu verfolgen, konzentriert sich das Buch auf zwei Fragestellungen: Wie kann die evolvierende Welt wirklich beschrieben werden? Und: Wenn wir, die wir Gott verehren, damit nicht vollkommen in die Irre gehen, was trägt dieser Eine, den wir verehren, zur evolvierenden Welt bei (391)?
Der Umgang mit diesen Fragen geschieht vor dem Hintergrund der Prozessphilosophie und Prozesstheologie. Und er geschieht vor dem Hintergrund der amerikanischen Kultur, in der ein enormer Konflikt, ja geradezu ein Krieg (3) zwischen konservativen christlichen Gruppen und naturwissenschaftlichen Anhängern eines Neo-Darwinismus stattfindet, der über das Thema Evolutionslehre an öffentlichen Schulen ausgetragen wird.
Der skizzierte Friedensweg zielt weg vom Dualismus auf eine Integration und Synthese, die sowohl in den Naturwissenschaften wie in der Theologie den Wechsel auf eine prozessphilosophische Metaphysik voraussetzt. Eine Metaphysik, die analog der Intelligent-Design-Bewegung den Neo-Darwinismus kritisch betrachtet, die aber im Gegensatz zu ID die Idee des »Designs« ablehnt, dem Zufall eine wichtige Rolle einräumt und keinen Lückenbüßer-Gott lanciert, sondern Gott als Faktor in allen vollständigen Erklärungen natürlicher Ereignisse voraussetzt.
Während sich die Theologie vereinzelt schon seit der Veröffentlichung von Alfred North Whiteheads großem Werk »Prozess und Realität« im Jahre 1929 auf die prozessphilosophische Metaphysik eingelassen hat, stellt dieser Ansatz für die Naturwissenschaften eine völlig neue Herausforderung dar. Genau darin liegt die Be­sonderheit des Buches: Nicht nur wird der Materialismus als die dem gegenwärtig dominierenden Neo-Darwinismus in den Na­tur­wissenschaften zu Grunde liegende, der gelebten Realität ferne Metaphysik entlarvt und als unvollständig hinsichtlich der Be­schreibung der Realität (im Sinne eines »Fehlschlusses einer deplatzierten Konkretheit«, 397) in seine Grenzen gewiesen. Vielmehr wird ein alternativer Ansatz entwickelt, der im interdisziplinären Gespräch friedlichere Erfolge verspricht, indem er auf eine Revision der naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie in ihrer neo-darwinistischen Variante zielt. Dies erfordert in erster Linie ein Umdenken auf Seiten der Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler – weg von »reiner« Objektivität und dem »Nichts-als« der materialistischen Weltanschauung, hin zum Einbeziehen der Subjektivität, des Möglichen, der Selbst-Bestimmung und der Gerichtetheit in das naturwissenschaftliche Unterfangen (391 ff.) selbst.
Der Aufbau des Buches ist vor diesem Hintergrund wohl überlegt und auch der »klassische« Neo-Darwinismus kommt ausreichend zu Wort. Die Beiträge aus Abschnitt I liefern umfangreiche thematische Hintergrundinformationen sowohl in historischer wie in biologischer Perspektive. Abschnitt II wendet sich dann der Fragestellung zu, wo die Hauptströmung evolutionären Denkens, i. e. der Neo-Darwinismus, verbreitet und modifiziert werden kann. So wird es den Leserinnen und Lesern ermöglicht, die Gültigkeit und Relevanz einer Vielzahl zusätzlicher Reflexionen aus biologischer, thermodynamischer, chemischer Perspektive und weiteren Perspektiven einschätzen zu lernen. In Abschnitt III diskutieren die einzelnen Beiträge die Konsequenzen und Beschränkungen, die der Neo-Darwinismus als Metaphysik mit sich bringt. Der Begriff der »Subjektivität« gerät ausführlich in den Blick und vor allen Dingen der Beitrag von Philip Clayton eröffnet mit seinen Überlegungen zur Diskussion um den Emergenz-Begriff einen wichtigen Anknüpfungspunkt für eine prozessphilosophisch ge­prägte Metaphysik einer revidierten Naturwissenschaft.
Damit ist die erste der oben genannten Ausgangsfragen in drei sich ergänzenden Zugängen erörtert und der folgende Abschnitt IV stellt abschließend die zweite Ausgangsfrage in den Mittelpunkt: Kann ein naturwissenschaftlicher Zugang zur Welt in einen theistischen Zugang eingegliedert werden? Die einzelnen Beiträge zeigen, dass Überlegungen, die auf eine Kompatibilität der verschiedenen Zugänge zielen, für die Integrität der Naturwissenschaften keine Bedrohung darstellen – aus ihnen selbst heraus, aus theologischer, vor allem aber in einer prozessphilosophischen Perspektive.
Das Buch weist deutlich darauf hin, dass es im Gespräch zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen neuer Aufbrüche bedarf, die über die bisher vorherrschenden Methoden und Systematiken hinausgehen. Es geht nicht länger um ein demütiges Beugen des theologischen Hauptes vor naturwissenschaftlicher Erkenntnis – ein Ansatz, der durch die John-Templeton-Stiftung vorangetrieben wird (7). Vielmehr steht die Einsicht im Vordergrund, dass eine selbstbewusste Beteiligung einer am Prozessdenken orientierten Theologie am interdisziplinären Gespräch möglicherweise ihrerseits Naturwissenschaftler bewegen kann, religiöse Werte und Einsichten ernst zu nehmen, ja zu bekräftigen. Dass die Beiträge in diesem Buch damit (noch) eine Minderheiten-Meinung im nationalen und internationalen Dialog darstellen, wird freilich konstatiert (311 f.).
Wichtig erscheint mir außerdem, dass der Herausgeber in seinen Beiträgen deutlich die Verquickung des interdisziplinären Gesprächs mit zwei Themen herausstellt, die von fundamentaler Bedeutung für Anthropologie und Kosmologie sind: die Beziehung des Menschen zu (anderen) Tieren, die aus einer prozessphilosophischen Perspektive als Kontinuum angesehen werden muss (Kapitel 14), und die Bedeutung des interdisziplinären Gesprächs in Zeiten des »Megathemas« Klimawandel.
Es kann zu Recht gesagt werden, dass dieses Buch Pionierarbeit leistet – die sich lohnt, weitergeführt zu werden. Zum einen über eine prozessphilosophisch und -theologisch fundierte Beschäftigung mit der Frage, wie der Einfluss der Welt auf Gott zu sehen ist– diese Fragerichtung wird im Buch nicht thematisiert (318). Eine Weiterführung ist aber nicht allein durch Prozesstheologie und -philosophie erforderlich, sondern auch auf anderen Gebieten. Denn der prozessphilosophische Ansatz unterliegt mit seinem deutlich platonischen Hintergrund (316 f.) selbst wieder Beschränkungen, denen eine eigene Untersuchung gewidmet werden könnte. Darüber hinaus ist m. E. die Einbeziehung der Spiritualität, der Kunst, der Poesie und der Musik unbedingt erforderlich, um dem Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie neue Impulse zu geben. Impulse im Sinne eines »dritten Ortes«, die ansatzweise schon formuliert sind (siehe A. Peacocke/A. Pedersen, Music of Creation, 2005, und H. Meisinger/J. C. Schmidt, Physik, Kosmologie und Spiritualität, 2006) und deren weitere Beachtung und Ausformulierung spannende und ertragreiche neue Dialogmöglichkeiten eröffnen werden – als Impulse, die dem etwas ins Stocken geratenen interdisziplinären Gespräch neu Lebendigkeit verleihen werden.