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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

576–578

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lotz-Heumann, Ute, Mißfelder, Jan-Friedrich, u. Matthias Pohlig [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. 563 S. m. 15 Abb. 8° = Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 205. Kart. EUR 49,95. ISBN 978-3-579-05761-3.

Rezensent:

Marcel Nieden

Die nach wie vor intensiv geführte Diskussion um die Konfes­sionalisierungsthese ist um einen interessanten Beitrag reicher geworden. Der Band versammelt überarbeitete Referate einer Tagung, die vom 9. bis 11. Dezember 2004 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand und Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus verschiedenen historischen Disziplinen zum Ge­spräch über das Thema »Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit« vereinte. Anvisiert war nicht das Konversionsphänomen im weiteren Sinn des Wortes (»Religionswechsel«), sondern in der speziellen Fassung »der innerchristlichen Konversion im Kontext der konfessionellen Gesellschaften Europas vom 16. bis zum 18. Jahrhundert« (12). In dieser gewissermaßen konfessionshistorischen Verengung bietet der Konversionsbegriff nicht wenige definitorische Problemzonen, zu denen der Eingangsbeitrag der drei Herausgebenden einige hilfreiche »systematische Perspektiven« (9) beisteuert: angefangen von der Abgrenzung gegenüber der religiösen Neu- und Re-Orientierung Einzelner im Zusammenhang der Reformation bis hin zur Unterscheidung von den gleichfalls innerchristlichen Phänomenen der Bekehrung, des Konfessionswechsels und der Alternation.
In einem den drei Sektionen programmatisch vorangestellten religionssoziologischen Aufsatz definiert Detlef Pollack Konversion als radikalen Wandel des individuellen Selbst- und Weltverständnisses. »Konversion ist kein Kommunikationsgeschehen, sondern ein Bewußtseinsphänomen.« (49) Wie wird die Herausforderung eines solchermaßen auf die Innen-Seite hin akzentuierten, modernen Konversionsbegriffs historischerseits aufgenommen?
Die um die Pole »Religiöse Authentizität und Politik« kreisenden Beiträge der ersten Sektion eröffnend, konstatiert Cornel Zwierlein auffallende Parallelen zwischen der rein politisch-empirischen Wahrnehmung der Konfessionen in der außenpolitischen Strategiedebatte, die um 1600 an der römischen Kurie über mögliche Konversionen protestantischer Reichsfürsten geführt wurde, und der zeitgenössischen politiktheoretischen Diskussion. In seiner Untersuchung der Konversion des Grafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578–1653) im Jahr 1613 gelangt Eric-Oliver Mader zu dem Ergebnis, »daß dieser Glaubenswechsel zwar eine politische Eigenlogik besaß, gleichwohl nicht ohne die Annahme einer religiös-theologischen Ebene erklärt werden kann« (114). Jan-Friedrich Mißfelder weist an Berichten über städtische Massenkonversionen von Hugenotten nach, dass im Frankreich des frühen 17. Jh.s Konversionen zum Katholizismus als »politische Handlungen und De­monstrationen des Gehorsames dem Monarchen gegenüber gewertet« (169) wurden, und versucht von daher, Konversionsberichte als Beiträge zum politischen Diskurs zu verstehen. Am Konversionsverhalten der letzten calvinistischen Hochadelsfamilien im Frankreich des späten 17. Jh.s zeigt Leonhard Horowski die nicht zu unterschätzende Bedeutung des familiendynastischen Drucks für den Konfessionswechsel auf. Mit nur indirektem Bezug auf das Tagungsthema untersucht sodann Ulrich Rosseaux das konfliktreiche Zusammenleben von Lutheranern und Katholiken in Dresden nach der Konversion Augusts des Starken (1696).
Die Studien der zweiten Sektion bewegen sich im Spannungsfeld von »Indifferenz und Radikalität«. Im multikonfessionellen Sondermilieu Ostfrieslands identifiziert Nicole Grochowina beim »gemeinen Mann« eine Form von »Indifferenz« (im Sinne einer Überzeugung von der Gleichgültigkeit und -wertigkeit der Konfessionen und nicht-konfessionellen religiösen Gruppen), die »Bekehrungen in größerer Zahl ermöglichte, vereinfachte und zumindest auf der Ebene der Gemeinden akzeptabel erscheinen ließ« (247). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch Christine Kooi in ihrem Überblick über die Konversionssituation in den Niederlanden des 17. Jh.s; sie ermittelt eine Gruppe von Konvertiten, die offensichtlich eine permanente religiöse Identität ablehnte und gerade um der vielfältigen Wahlmöglichkeiten willen den Glauben wechselte, ohne doch deswegen religiös weniger authentisch zu sein. Gegen eine Überbewertung des Utilitätsmotivs präsentiert Petr Mat’a den aus dem böhmischen Hochadel stammenden Oberstkanzler Wilhelm Slawata (1572–1652) als einen ausgesprochenen »Überzeugungstäter«, der nach seiner Konversion zum Katholizismus zu einem der wichtigs­ten Protagonisten der Gegenreformation in Böhmen aufstieg und sich geradezu als religiöser Eiferer selbststilisierte. Einen besonderen Positionierungszwang frühneuzeitlicher Gelehrter hinsichtlich der öffentlichen Konfession behauptet Matthias Pohlig auf Grund der in diesen Kreisen stark individuell-intellektuell ausgeprägten Religiosität. Am Beispiel der re­ligiösen Biographie zweier eidgenössischer Konvertiten des 17.Jh.s, einem reformierten Pfarrer und einem Benediktinerpater, arbeitet Heike Bock verschiedene geistliche Konversionstypen heraus. Dagmar Freist geht in ihrem Beitrag über »Kinderkonversionen« weniger den theologischen als vor allem den konfessionspolitischen Positionsbestimmungen nach, die bis ins 18. Jh. hinein in Deutschland eine eindeutige Festlegung des Konversionsalters verhinderten.
Die dritte und letzte Sektion widmet sich den »ästhetischen und rhetorischen Strategien«, mit denen Literatur und Kunst den Konversionsprozess beeinflussten oder zu beeinflussen suchten. Was die Präsenz des Konversionsthemas im frühneuzeitlichen Theater anbelangt, so muss Kai Bremer eine Fehlanzeige aufgeben: Konversion als Konfessionswechsel wurde nur äußerst selten auf die Bühne gebracht – im Unterschied zur »Bekehrung« (»conversio«) als Hinwendung zum Christentum oder konfessionsinterner Glaubensintensivierung. Auch der »Simplicissimus« Grimmelshausens zeigt sich am Konfessionsthema wenig interessiert und lässt sich, wie Andreas Merzhäuser darlegt, nur von einem modernen, weiter verstandenen Konversionsbegriff her als Geschichte eines radikalen Wandels im Welt- und Selbstverständnis lesen. In speziell kunst­historischer Perspektive versucht dann Jens Baumgarten an Bildbeispielen aus Rom und Glatz eine jesuitische »Überwältigungsästhetik« aufzuweisen, eine auf Mission und Konversion zielende Verbindung von emotionaler Bildwirkung und rationaler Überprüfbarkeit des katholischen Glaubens. Alexander Schunka widmet sich den narrativen Strategien verschiedener Revokationspredigten konvertierter Geistlicher des 17. Jh.s und stellt fest, dass diese Predigten eher der konfessionellen Abgrenzung als der religiösen Selbstauslegung dienten. An vier irischen Beispielen aus dem 17. Jh. schält Ute Lotz-Heumann schließlich sozial differenzierte Kommunikationsmuster frühneuzeitlicher Konversionserzählungen heraus, deren entlastende Topik der Formulierung von Individualität offenbar Raum bieten konnte.
Wie die Andeutungen zeigen, konzentrieren sich die Beiträge des Bandes vorrangig auf die institutionellen, sozialen und kommunikativen Dimensionen der Konversion. Konfessionalität wird dadurch als Phänomen bestimmter sozio-kultureller Kontexte und kommunikativer Praktiken sichtbar. Das ist kein geringer Forschungsertrag. Etwas unterbelichtet bleiben dabei freilich, trotz der Steilvorlage Pollacks, die komplexen, methodisch zweifellos schwerer zugänglichen Verhältnisse auf der Innen-Seite christlicher Existenz. So wenig für die Frühe Neuzeit einfach ein autonomes religiöses Selbst vorausgesetzt werden darf, so wenig dürften sich etwa die auffallend häufigen Konversionen zum Katholizis­mus allein »kontextuell« erklären lassen.