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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

571–573

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kaplan, Benjamin J.

Titel/Untertitel:

Divided by Faith. Religious Conflict and the Practice of Toleration in Early Modern Europe.

Verlag:

Cambridge-London: The Belknap Press of Harvard University Press 2007. XIV, 415 S. m. Ktn. gr.8°. Lw. US$ 29,95. ISBN 978-0-674-02430-4.

Rezensent:

Martin Ohst

Benjamin Kaplan – er lehrt Niederländische Geschichte in London und Amsterdam – will auf neue Weise die Frage nach der Entstehung religiöser Toleranz in Europa beantworten und bekämpft die These, die Aufklärungsbewegung im späten 17./frühen 18. Jh. habe nach den Katastrophen der Religionskriege ideen- wie realgeschichtlich den entscheidenden Durchbruch be­wirkt (zusammenfassend 356), als ein ideenpolitisches Konstrukt, das ebenso an der Realität vorbeigehe wie die Behauptung, die Reformation habe hier schon den entscheidenden Schritt getan (357).
K. entfaltet seine These in einer negativen und einer positiven Stoßrichtung: Negativ weist er nach, dass es auch nach dieser Zeit noch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen ist, in welchen religiös-konfessionelle Motive zumindest mitbestimmend waren. Die Fakten, die K. hier nennt, waren natürlich auch schon vor seinem Buch nicht gänzlich unbekannt; zwei Beispiele aus den Habsburgischen Erblanden, die Unterdrückung der Brüder-Unität in Böhmen und Mähren und den Versuch, das schlesische Luthertum auszurotten, erwähnt er nicht einmal. Und wenn man K. bei seinen vehementen Attacken zusieht, dann kann man kaum die Frage unterdrücken, welcher ernstzunehmende Historiker denn je die Meinung vertreten hat, dass durch »die Aufklärung« im Handumdrehen ein totaler Umschwung stattgefunden hätte? Baut sich K. hier nicht, politisch unkorrekt ausgedrückt, einen Türken, gegen den er sehr leichten Kaufs Siege erficht? Wichtiger ist denn auch die positive Seite seiner These, für welche die Negativseite lediglich die Funktion einer Hilfslinie hat: »Wir haben gesehen, dass in tausenden von Kommunen von Irland bis Polen Menschen aller Stände und Berufe vor den Problemen standen, welche die Teilung der Christenheit in rivalisierende Konfessionskirchen hervorbrachte, und wie viele es geschafft haben, auf Grund bestimmter praktischer Regelungen trotz ihrer religiösen Unterschiede friedlich zusammenzuleben« (354 f., dt. Übers. M. O.): Diese vielen Menschen haben ohne Rückgriff auf Bestände des theologischen oder philosophischen Überbaues Verhaltensmuster ausgebildet, die es ihnen ermöglichten, dauerhaft gedeihlich zu koexistieren und zu kooperieren. Das wurde möglich, indem Lebensbereiche ausgegrenzt wurden, in welchen es den differenten Gruppen möglich war, ihre Besonderheiten auszuagieren, ohne dass dadurch die verbindenden Gemeinsamkeiten auf den übrigen Lebensgebieten zerstört worden wären. Diese pragmatischen Regelungen der Ko­existenz resultierten oftmals aus Phasen gewalttätiger Auseinan­dersetzungen. Aus der Fülle der Fakten arbeitet K. ein immer wie­derkehrendes Grundmuster heraus, das auch wirksam war, als die Juden sich nach der spätmittelalterlichen Phase der Vertreibungen wieder in Europa ausbreiteten: Abgrenzung und Segregation haben der Sicherung des friedlichen Zusammenlebens gedient: »Good fences, they say, make good neighbors« (317). Auch gelegentliche Gewalteruptionen hätten diese Konstellationen dauerhaft eher stabilisiert als gefährdet. Die Glaubensdifferenzen der frühen Neuzeit haben, so K., vielfach die vorgegebenen Bande der familiären Zusammengehörigkeit sowie der politischen und wirtschaftlichen Interessen nicht lösen können, und diese Gemeinsamkeiten führten dazu, dass die religiösen Differenzen sich dergestalt partikularisierten und einkapselten, dass der gesellschaftliche Zusam­menhang trotz ihrer intakt und funktionsfähig blieb. Zu alledem habe es der Aufklärung gar nicht bedurft.
Die Belege für seine These bezieht er aus einer großen Fülle von regional- und lokalgeschichtlichen Einzeluntersuchungen; so präsentiert er Episoden und Momentaufnahmen aus einem Bereich, der von Schottland bis Südfrankreich und von Polen bis an den Atlantik reicht. Als Leser wird man auf Kreuz- und Querzüge mitgenommen, die auf einer Seite von Warschau über Augsburg nach Lyon und von dort nach Amsterdam führen: K. holt sich das Belegmaterial für seine Thesen nach Bedarf immer dort, wo er es gerade findet, ohne sich auch nur im Mindesten durch die Frage nach topographischen oder chronologischen Kontexten aus dem Konzept bringen zu lassen. Dass hier eine Methode, die sich viel auf ihre Nähe zur alltäglichen Lebenswelt zugute hält, letztlich in extremen Konstruktivismus umschlägt, liegt auf der Hand. K. geht eben nicht mit Fragen, sondern mit fertigen Thesen an seinen Stoff heran, und so ist die zirkuläre Bewegung der wechselseitigen Kritik von Vorannahmen und Quellenbeobachtungen sistiert.
Diese eigentümliche Starrheit der Untersuchungsperspektive ist auch für die spezifisch kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlichen Partien der Untersuchung charakteristisch. K.s Blick auf die unterschiedlichen Kirchen und Konfessionskulturen will als der des neutralen Beobachters gelten. Er ist jedoch mitnichten voraussetzungslos, sondern beruht auf der undiskutierten These von der Funktionsäquivalenz aller religiösen Bezugssysteme in der Frühen Neuzeit, und dieser Funktionsäquivalenz dürfen die Differenzen in ihren Vorstellungswelten sowie in ihren kultischen und ethischen Normensystemen keinen Abbruch tun. Die Behauptung, dass zwischen den Konfessionskirchentümern der Frühen Neuzeit der blanke Hass geherrscht habe (vgl. 337), zeigt nur, dass K. für die Feinheiten und Differenzierungen in den wechselseitigen Wahrnehmungen und Deutungen kein Sensorium hat. Für eine triviale Einsicht wie die, dass »Toleranz« in einer zumindest der Idee nach auf Freiwilligkeit beruhenden Täufergemeinde etwas völlig anderes ist und meint als in einem Konfessionskirchentum, das an seinem Ort die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit zu prägen beansprucht, ist kein Raum. Und erst recht die Frage, ob eine der Kirchen und Konfessionskulturen aus sich selbst heraus vielleicht einen höheren Grad an Toleranz-Affinität besessen hat als eine andere, blendet K. methodisch von vornherein aus. So beschreibt er das Wirken professioneller katholischer Konversionsprediger in Frankreich und beteuert sogleich: »the Catholic Church was hardly the only institution to imagine such a scenario« (271). Ein Quellenbeleg folgt nicht; dem Postulat wird zugemutet, selbst für seine Plausibilität zu bürgen. Dass die Katholische Kirche in der Frühen Neuzeit vielerorts Anstrengungen zur Gewinnung von Konvertiten unternahm, die alle vergleichbaren Aktivitäten anderer Kirchentümer in den Schatten stellten, dass sie dafür (spätestens!) seit dem Donatistenstreit theologisch sorgfältig ausgearbeitete Gründe hatte, wird nicht erwähnt, und es darf nicht erwähnt werden, weil ja bekanntlich nicht sein kann, was nicht sein darf.
Nichtsdestotrotz: K.s These, dass die Alltagstoleranz in ge­mischtkonfessionellen Kommunen den »großen« juristischen, phi­losophischen und theologischen Toleranzentwürfen vorangegangen ist, wird sicherlich ihre Produktivität in weiteren Debatten erweisen. Aber Bedenken bestehen doch gegen seinen Versuch, die Wirkungen der Aufklärung (der Kürze halber sei der Begriff in seiner Allgemeinheit hier gestattet!) zu minimalisieren, zumal dann, wenn man die Phänomene in größere Zusammenhänge einordnet: Es geschah ja in der Frühen Neuzeit nicht zum ersten Mal, dass sich in Europa auf kommunaler und regionaler Ebene ein modus vivendi der Vertreter und Anhänger konträrer religiöser Wahrheitsansprüche herausbildete: Im späten 12./frühen 13. Jh. arrangierten sich in den zersplitterten Territorien des Languedoc und in den Städten Norditaliens auf durchaus vergleichbare Weise Katholiken und Ketzer. Hier allerdings hielten sich die Arrangements auf die Dauer nicht: Besonders deutlich kann man es an den legislatorischen Maßnahmen der Päpste (Innozenz III., Gregor IX.) und Kaiser Friedrichs II. ablesen, wie kirchliche und weltliche Gewalten höchst effektiv an den (politischen) Selbsterhaltungstrieb, aber auch schlichtweg an die Habgier und Gewinnsucht der katholischen Christen appellierten, um diese zur Aufkündigung der Toleranz zu bewegen. In der Frühen Neuzeit dagegen haben weltliche und kirchliche Autoritäten die Toleranz je länger je mehr gefördert und auch gegen Widerstände durchgesetzt. Es ist doch wohl eine unleugbare und als Geschichtsfaktor nicht wegzudisputierende Besonderheit aufgeklärten Denkens und seiner Folgegestalten, die Toleranz nicht lediglich aus pragmatischen Gründen zu fordern, sondern in normativer Absicht gerade im Wesen der vernünftig sich verstehenden Religion die Gründe dafür aufzusuchen, dass diese um ihrer selbst willen tolerant sein muss, ja, dass die Toleranz nur eine Stufe auf dem Weg zur wechselseitigen Anerkennung sein darf (Goethe).