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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

566–568

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Smit, Peter-Ben

Titel/Untertitel:

Fellowship and Food in the Kingdom. Eschatological Meals and Scenes of Utopian Abundance in the New Testament.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XV, 496 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 234. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-149271-6.

Rezensent:

Stefan Schreiber

Die 2005 von der Fakultät für Altkatholische und Protestantische Theologie der Universität Bern angenommene und für den Druck revidierte Dissertation von Smit (Betreuer: U. von Arx, U. Luz) untersucht die Motivik des eschatologischen Gastmahls bzw. der eschatologischen Fülle an Nahrung im Neuen Testament. Während sich bisherige Untersuchungen entsprechender Texte in der Regel auf eine bestimmte neutestamentliche Schrift, insbeson­dere das Lukasevangelium, konzentrierten, besteht das Proprium von S.s Arbeit im Versuch der Zusammenschau verschiedener Schriften.
S. begegnet den Texten mit einer differenzierten Fragestellung. Er sucht nach einer Typologie der Texte, nach traditionsgeschichtlichen Beziehungen, nach literarischen Funktionen und dem Sitz im Leben und nach der weiteren religionsgeschichtlichen Stellung (12). Methodisch wählt S. einen historisch-kritischen Zugang, bei dem er sozialgeschichtliche Grunddaten der antiken Mahlpraxis integriert und besonders ein theologisch-motivgeschichtliches Interesse erkennen lässt.
Die Einführung (1–34) bietet neben einem kurzen Forschungsüberblick und Begriffsdefinitionen (S. verwendet »Utopie« als Oberbegriff, unter den er »Eschatologie« subsumiert) vor allem eine Typologie der einschlägigen neutestamentlichen Texte (21–30). Dabei werden zwei Hauptgruppen weiter untergliedert: 1. eschatological meals: celebratory banquet, destructive meals (nur in der Offb, vor allem 19,17 f.21), wedding celebration; und (2) utopian abundance: nutritional abundance, food of Eden (tree of life, water of life, manna). Als Ergebnis lässt sich eine ganze Fülle an Texten in diese Kategorien einordnen. Es fallen bei der Auswahl freilich bereits Entscheidungen, die den Fortgang der Arbeit prägen. So fehlen z. B. bewusst (19.31) die in den Evangelien erzählten Gastmähler Jesu. Dadurch gehen jedoch Verbindungslinien verloren, die Jesu Mahlverhalten, z. B. mit Sündern, als wesentlichen Bestandteil der begonnenen eschatologischen Königsherrschaft Gottes erweisen.
Doch nicht die erarbeitete Typologie, sondern die Orientierung an einzelnen Schriften des Neuen Testaments bestimmt den Aufbau der Arbeit. Das hat den Vorteil, dass die Mahltexte im Rahmen der Gesamtkonzeption einer Schrift verstanden werden. Fünf Kapitel behandeln die einzelnen Evangelien und die Offenbarung, wobei stets die Untersuchung der ausgewählten Texte im Zentrum steht (Kontext, Traditions- und Motivgeschichte, Interpretation). In das am Anfang stehende Markus-Kapitel sind zusätzlich allgemeine Überblicke zu sozialgeschichtlichen Realien und deren religiöser Anwendung integriert – zu antiken Hochzeiten (39–45), zum Schlaraffenland (54–63) und zur Mahlpraxis (83–96). Vielleicht wäre es geschickter gewesen, sie in einem eigenen Kapitel voranzustel len. Die Untersuchungen arbeiten die Funktion der eschatolo­gischen Mahl-Texte sowohl innerhalb der theologischen bzw. chris­tologischen Konzeption des jeweiligen Autors als auch bei der Profilierung des Gemeindeethos heraus. Ich referiere die behandelten Texte und einige Resultate:
Mk 2,18–20; 6,32–44/8,1–10; 14,25 (35–111): Die Vorstellung des eschatologischen Festmahls sei nur in Mk 14,25 angedeutet. Die Speisungswunder spiegeln Gemeindestrukturen sowie Bezüge zum letzten Mahl Jesu und zur Passion.
Lk 5,33–39; 6,21a; 9,10–17; 12,37; 13,28 f.; 14,15.16–24; 16,19–31; 22,16.18.30 (113–200): Mahlszenen (Symposien) besitzen insgesamt große Relevanz, in theologischer Hinsicht tritt die Option für die Armen hervor. Eschatologische Symposien fungieren als Lohn für die echte Jesus-Nachfolge und zeigen zugleich das rechte Ethos der Gemeinde (Dienststruktur und Jesus als Rollenmodell).
Mt 5,6; 8,5–13; 9,14–17; 14,13–21/15,29–39; 22,1–14; 25,1–13; 26,29 (201–258): Bezeichnend ist ein verstärktes Interesse an der Bildwelt des eschatologischen Hochzeitsmahls, die für die Konstituierung und für die Ethik der matthäischen Gemeinde beansprucht wird.
Joh 2,1–11; 3,29; 4,1–42; 6,1–15.22–71; 7,37–39 (259–324): Eschatologische Mähler kommen nicht vor, doch das Motiv vom Nahrungsüberfluss prägt die Vorstellung des ewigen Lebens (Kana-Wunder). Die Christologie wird entfaltet »by turning the feeder into the true and more than satiating (cf. Jn. 6:35) foodstuff« (323). Die Bildwelt des Schlaraffenlandes verarbeitet Johannes in der Symbolik vom Brot bzw. Wasser des Lebens (mit Bezügen zum Exodus und zur Tora).
Offb 2,7.17; 3,20; 7,16 f.; 19,7–9; 21,1–8; 22,1–5.14.17.19 (325–377): Die Teilhabe am Baum bzw. Wasser des Lebens und die Teilnahme an der Tischgemeinschaft mit dem kommenden Herrn dienen als eschatologischer Lohn für die Standhaften – was für die Gemeinde als unterdrückte Minorität Relevanz gewinnt. Das Motiv des hie­ros gamos (zwischen dem himmlischen Jerusalem und dem Lamm) ermöglicht die motivierende Einladung an die treuen Ge­meindeglieder.
Die Interpretationen sind gut begründet. Erwähnt sei nur die interessante Deutung des Kana-Wunders Joh 2,1–11 (263–274), die den zeitgeschichtlichen Hintergrund – »a wedding as a social event« (267) – zum Ausgang nimmt und so ungute Allegorisierungen vermeidet; Jesus erscheint als Bringer utopischer Fülle und Freude und zugleich als Konkurrent zu Dionysos (als Weinspender), der zudem die Ehre des Brautpaars und seiner Familien rette (272).
Bei der Fülle der diskutierten Texte kann es nicht ausbleiben, dass manche Positionen Fragen aufwerfen. Wenn sich S. unkritisch der These Zimmermanns (2003) anschließt, »Bräutigam« sei ein frühjüdischer Messias-Titel (44), tritt das Problem einer (zu) weiten Definition von »Messias« zu Tage; zu wenig differenziert bleibt auch die Rede von Jesus als »messianic groom« (257; zu Mt 9,15). Die Deutung von Mk 14,25 auf einem martyrologischen Hintergrund (103 f.) ist m. E. eine Engführung, die den Kontext der Basileia Gottes und eines damit verbundenen Festmahls aus den Augen verliert. Fraglich scheint mir S.s Zurückhaltung gegenüber dem Gedanken, dass Jesu irdische Mähler im Lukasevangelium bereits als Vollzug eschatologischer Mähler gelten können (199); dabei wird der Präsenz der Basileia in Jesu Wirken (Lk 11,20; 10,18) zu wenig Gewicht beigemessen. Warum S. (beim Kana-Wunder) von »utopian expectations« und vom »Schlaraffenland« spricht (323), aber die Rede vom »Eschaton« vermeidet, leuchtet mir nicht ein. Schließlich scheint mir die Deutung des himmlischen Jerusalem von Offb 21 f. als Tempel, die S. vornimmt (360–363), unbegründet; prägend für den Text ist doch gerade das ausdrücklich hervorgehobene Fehlen eines Tempels in der Stadt (Offb 21,22), das die direkte Gegenwart JHWHs bei seinem eschatologischen Volk an­visiert.
Die abschließende Zusammenfassung (379–394) bündelt noch einmal recht detailreich und teilweise etwas redundant die Ergebnisse der einzelnen Kapitel. Ich nenne nur einige übergreifende Linien: In traditionsgeschichtlicher Hinsicht fügen sich die behandelten Motive in einen weiten kulturellen (hellenistischen und frühjüdischen) Traditionsstrom; nur in Ausnahmefällen ist eine konkrete Bezugnahme auf Prätexte nachweisbar (z. B. bei den wunderbaren Speisungen). Die soziale Funktion antiker Mahlpraxis, nämlich Grenzziehung und Spiegelung der Gesellschaftsordnung, wird im Neuen Testament signifikant genutzt: Unübliche Mahlteilnehmer und veränderte Sitzordnungen führen zu einer Option »for an egalitarian, if not outright subversive stance« (385) – ein Ergebnis, das weiterzuentwickeln sich lohnen würde. Wichtig scheint mir auch die Beobachtung, dass das Motiv des Überflusses an Nahrung im gesamten Neuen Testament sehr zurückhaltend verwendet wird: »utopian satiation is provided or promised, but never in a ›decadent‹ way« (388). Wo Jesus im Neuen Testament als Garant der Nahrungsversorgung fungiert, wird er auf dem kulturellen Hintergrund seiner Zeit im Stil des idealen Herrschers, der als Repräsentant Gottes die rechte soziale Ordnung verwirklicht, gezeichnet – im Gegensatz zu den aktuell erfahrbaren Herrschern (389–391). Das Ziel ist eine neue, gerechte Welt (393).
Die Stärke der Arbeit liegt in detaillierten Traditions- und Mo­tiv­analysen, die viel Material zu den einzelnen Texten bereitstellen und so wichtige Grundlagen für die Auslegung bieten. Die breite Verarbeitung der Sekundärliteratur äußert sich in einer hohen Zahl an Fußnoten. Damit steht eine solide Informationsbasis für die Beschäftigung mit einem prominenten neutestamentlichen Motivfeld zur Verfügung. – Zur Weiterarbeit laden schließlich die ausführliche Bibliographie (395–439) sowie diverse Indizes (Ancient Sources, Authors, Topics: 441–496) ein.