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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1088–1091

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Brüntrup, Godehard

Titel/Untertitel:

Mentale Verursachung. Eine Theorie aus der Perspektive des semantischen Anti-Realismus

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1994. 283 S. gr. 8° = Münchener philosophische Studien, 11. DM 69,80. ISBN 3-17-013224-5

Rezensent:

Wolfgang Pfüller

Für die Analyse und Lösung des psychophysischen Problems (Leib-Seele-Problem) hat die analytische Philosophie einen beträchtlichen Teil ihres außerordentlichen Scharfsinns verwendet. Ein neuerliches Beispiel solch beeindruckender Subtilität gibt die anzuzeigende Abhandlung Brüntrups, die im Jahr ihres Erscheinens zugleich der FU Berlin als Dissertation vorlag.

Dabei will der Vf. das genannte Problem in charakteristischer Weise einschränken. Es geht ihm nicht um eine "umfassende Abhandlung zum Leib-Seele-Problem in Gestalt der Frage nach der Möglichkeit mentaler Verursachung". Vielmehr geht es ­ und zwar unter Beschränkung "auf die jüngsten Debatten in der analytischen Philosophie" ­ darum, Zusammenhänge herzustellen zwischen der Diskussion des Problems der mentalen Verursachung und der Diskussion um den sogenannten Anti-Realismus. (12) Auf diese Weise soll nicht nur das Problem der mentalen Verursachung weiter geklärt (nicht schon gelöst!) werden; es sollen auch die beiden Diskussionsschwerpunkte in der analytischen Philosophie der letzten Jahrzehnte in systematischer Absicht zusammengeführt werden: die Philosophie des Geistes und der Semantik. (9)

Der Problemknoten, den der Vf. aufzulösen unternimmt, schürzt sich gleichsam in drei prinzipielle Annahmen, "aus deren logisch-begrifflicher Inkonsistenz das Problem der mentalen Verursachung allererst besteht". Die Annahmen lauten: 1. "Die physische Welt ist kausal lückenlos"; 2. "Aus der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt folgt die kausale Wirkungslosigkeit mentaler Ereignisse"; 3. "Mentale Ereignisse sind kausal wirksam". (13)

In einem ersten Kapitel (11-99) überprüft der Vf. die Konsequenzen, die sich aus der jeweiligen Negation einer der prinzipiellen Annahmen ergeben (schematische Darstellung der argumentativen Varianten: 14). Sein Interesse liegt freilich sichtlich darin, Annahme 1 und Annahme 3 aufrechtzuerhalten; deren Negation diskutiert er nur kurz (15-26). Denn weder möchte er die schwerwiegenden Konsequenzen einer Aufhebung des Kausalitätsprinzips auf sich nehmen (andeutungsweise dazu: 19) noch möchte er das Problem der mentalen Verursachung dadurch lösen, daß er es auflöst (26. vgl. auch 100). Bleibt also die Überprüfung der Negation von Annahme 2, der sich der Vf. unter Bezug auf die entsprechende Diskussion in der analytischen Philosophie für den Rest des ersten Kapitels ausführlich widmet (26-99). Ich kann nun diese subtile Diskussion hier auch nicht im entferntesten verdeutlichen. Ihr Resultat ist, daß die diskutierten Argumentationen ausnahmslos entweder an der Skylla einer Verneinung von Annahme 1 oder an der Charybdis einer Verneinung von Annahme 3 zerschellen, solange sie an der Position eines "metaphysischen" Realismus festhalten (vgl. 27). Angesichts dieser aporetischen Konstellation legt sich mithin die Aufgabe dieser Position mehr als nahe. Will man demnach Annahme 2 verneinen, muß man eine anti-realistische Position beziehen (99).

Was letzteres besagt, erörtert der Vf. im zweiten Kap. seiner Arbeit (100-188). Genauer geht es darum, "in gezielter Auswahl eine Analyse der Idealismus-Realismus-Debatte in der analytischen Philosophie" durchzuführen, "um die anti-realistischen Grundintuitionen präziser zu fassen" (104). Schwerpunktmäßig wird die Kritik H. Putnams am metaphysischen Realismus diskutiert (126-177). Wichtig ist darauf hinzuweisen, "daß Realismus und Anti-Realismus hier essentiell als semantische Theorien begriffen werden" (107). Nicht nur ist hierbei "in nachkantischer Tradition" die Erkenntnistheorie der Ontologie vorgeordnet (107), sondern es wird auch in methodologischer Hinsicht die semantische Analyse der epistemologischen sowie metaphysischen vorgeordnet (109 f.). Wurde bisher pauschal die Aufgabe der Position eines metaphysischen Realismus gefordert, so zeigt sich nun, daß die Kritik am Realismus differenzierter erfolgen muß. Sie ist erforderlich zunächst als Kritik an einer "wahrheitskonditionalen Semantik" (semantische Ebene) und daraufhin als Kritik an der "Intelligibilität einer absolut geistunabhängigen Welt" sowie an der Auffassung einer "geist-unabhängig strukturierten Welt" (epistemologische und metaphysische Ebene). (109) Im folgenden entwickelt der Vf. begriffliche Differenzierungen (Schema: 108), um die Positionen des semantischen Realismus sowie des semantischen Anti-Realismus schärfer zu erfassen (110 ff.), woraufhin die bereits erwähnte Realismuskritik Putnams dargelegt wird. Dabei werden nicht nur die Schwierigkeiten des (semantischen, epistemischen, metaphysischen) Realismus aufgezeigt. Es zeigt sich auch, daß der Anti-Realismus v. a. epistemischer und semantischer Natur ist. "Der Anti-Realist streitet nicht ab, daß es eine extramentale Welt gibt, die bereits vor der Entwicklung menschlicher Sprache existent war. Diese Welt ist jedoch nur im Rahmen einer Theorie gegeben und in diesem Sinne eben nicht sprachunabhängig... Der Begriff einer sprachunabhängigen Welt ist nur innerhalb einer Theorie verständlich." (178) Der entscheidende Punkt in der Auseinandersetzung mit dem metaphysischen Realismus ist somit der, daß der Anti-Realist bestreiten wird, daß "die Vorstellung eines radikal sprachunabhängigen Dinges an sich überhaupt sinnvoll ist". (176) Die These von der Unhintergehbarkeit der Sprache sowie ein verifikationistischer (gegen einen korrespondenztheoretischen) Wahrheitsbegriff bilden die argumentative Basis des (metaphysischen) Realismus. Fällt indes infolge dieses Wahrheitsbegriffs auch die Auffassung, wonach prinzipiell nur eine der vielen möglichen Theorien/Erklärungen die wahre sein kann, so eröffnet sich "die Möglichkeit der Koexistenz mehrerer, eventuell inkommensurabler, Begriffswelten" (189).

Damit befinden wir uns am Beginn des dritten, abschließenden Kapitels des Buches (189-257). In ihm wird die Tragweite der antirealistischen Position im Blick auf die philosophische Analyse des Problems mentaler Verursachung erwogen. Gewiß liegt der diesbezügliche Vorteil einer anti-realistischen Position auf der Hand. Die oben erwähnten prinzipiellen Annahmen 1 und 3 können in dem Sinne aufrechterhalten werden, daß ihre Gültigkeit relativiert wird auf den jeweiligen Theorierahmen, wodurch eine Negation von Annahme 2 leicht möglich wird. Physische und mentale Kausalerklärung eines Ereignisses etwa schließen sich nicht aus, da sie nur innerhalb ihres jeweiligen Theorierahmens vollständig sind. Ungeachtet dieses sofort einsichtigen Gewinns will der Vf. zum einen den zunächst nur angezeigten Gewinn weiter ausführen und zum andern die mit diesem Gewinn verbundenen Kosten überprüfen. Hierzu argumentiert er zunächst gegen realistische Kausalitätstheorien (195 ff.), entwickelt sodann "Grundzüge einer anti-realistischen Theorie der Kausalität und der Erklärung" (210 ff.), um anschließend eine anti-realistische Theorie mentaler Verursachung in Grundzügen zu skizzieren (228 ff.). Dabei zeigt sich nicht nur der Umfang des Gewinns, sondern auch die Begrenztheit des Anti-Realismus. Als semantische und epistemologische Position ist er eine primär negative Position, mittels derer sich "bloß die rein ,formaleŒ Möglichkeit einer Pluralität von Begriffssystemen begründen" läßt. Diese kann jedoch für "eine gehaltvolle philosophische Analyse des psychophysischen Problems... nur der erste Schritt sein. Positive Argumente für die Irreduzibilität des mentalen Bereiches... sind gefordert." (237) In Hinsicht auf "das Problem des irreduziblen normativen Momentes von mentalem Gehalt" sowie auf "das Problem des irreduziblen erlebnishaften Momentes" deutet der Vf. die erforderliche Ergänzung der anti-realistischen Theorie mentaler Verursachung an (240 ff.), bevor er in einer "Zusammenfassung und Schlußbetrachtung" (254-257) die Ausführungen seiner Studie beschließt.

Hat sich der beträchtliche Aufwand an Scharfsinn gelohnt? Ich weiß nicht recht. Nicht nur erscheint die subtile Erörterung bisweilen spitzfindig und allzu kompliziert, somit für nicht mit der analytischen Philosophie vertraute Leser und Leserinnen kaum durchdringbar. Sondern v. a. erscheint es mir durchaus nicht erforderlich, an den oben aufgeführten prinzipiellen Annahmen 1 und 3 festzuhalten. Da wir die vom Vf. mehrfach erwähnte "Gottesperspektive" prinzipiell nicht einnehmen können, wissen wir nicht und können es auch nicht wissen, ob die Annahmen 1 und 3 zutreffen. Wir können sie demgegenüber nach dem Vorbild der Kantschen Überlegungen zur menschlichen Entscheidungsfreiheit als Regulative für bestimmte Erklärungsweisen betrachten. Damit kommen wir im Blick auf das Problem der mentalen Verursachung in etwa zu dem Resultat B.s, ohne die komplizierte Prozedur einer Negation von Annahme 2 unternehmen und in deren Zusammenhang einen Anti-Realismus vertreten zu müssen.

Bleibt noch die Frage nach der Bedeutung des Buches für die Theologie. Zwei Aspekte möchte ich anführen. Zum ersten betrifft das Problem der mentalen Verursachung zentral das Problem menschlicher Entscheidungsfreiheit, mithin ein wichtiges theologisches Problem. Zum zweiten aber möchte ich das Argumentationsniveau des Buches als für die (Systematische) Theologie vorbildlich hervorheben. Aufgrund differenzierter, subtiler Begriffsklärungen sowie einer ebensolchen, klar problemorientierten Argumentation wird eine diskutable Position erarbeitet und in ihren Möglichkeiten und Grenzen erwogen. Ein solches Argumentationsniveau unterscheidet sich wohltuend von den in der Theologie vielfach zu beobachtenden, gewiß außerordentlich gelehrten umfänglichen Auslassungen, deren interpretatorischer Aufwand in eher umgekehrt proportionalem Verhältnis zu ihrem problemklärenden und -lösenden Ertrag steht.