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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

557–558

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lierman, John [Ed.]

Titel/Untertitel:

Challenging Perspectives on the Gospel of John.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XII, 369 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 219. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-149113-9.

Rezensent:

Manfred Lang

Der Band ist das Ergebnis einer Tagung (Cambridge), auf der weithin gültige Ergebnisse der Johannes-Forschung kritisch hinterfragt wurden: a) solche, die die Authentizität der Reden Jesu betreffen; b) solche, die die Beziehung zum LkEv als eines Prätextes thematisieren; c) solche, die das messianische Lokalkolorit des JohEv im Rahmen Palästinas zum Gegenstand haben; d) solche, die die johanneische Christologie (auch: Mose-Typologie) analysieren; e) schließlich die Frage nach der Wirkungsgeschichte des JohEv im 2. Jh. Die Beiträge werden im Folgenden einzeln vorgestellt:
David Wenham, Paradigms and Possibilities in the Study of John’s Gospel, 1–13. Hier werden Perspektiven benannt, die für das weitere Studium des JohEv von besonderem Interesse sind: die narrative Lektüre; die Interdependenz von historischer und theologischer Frage, die anhand von Joh 13 eröffnet wird und in den Zusammenhang von Gal 6,2; Phil 2,5–11 und auch Lk 23,27 gestellt wird.
Peter W. Ensor, The Johannine Sayings of Jesus and the Question of Authenticity, 14–33. Es ist in der Tat nicht überraschend, nach dem Auffinden eines ›archäologischen Lokalkolorits‹ etwa in Gestalt der Ausgrabungen in Bethesda nunmehr auch auf ›ideelles Lokalkolorit‹ zu achten und dies in den Rahmen der klassischen Frage nach dem historischen/erinnerten Jesus zu stellen.
Richard Bauckham, Messianism According to the Gospel of John, 34–68. Ein großes Panorama jüdischer Prätexte wird eröffnet, das seine Sinnhaftigkeit für die Exegese johanneischer Messias-Vorstellung deutlich macht. Dabei kommt im Rahmen der Propheten-Christologie diejenige nach dem Mose-Bild differenzierend ebenso in den Blick. Jedoch sei es geradezu symptomatisch, dass nicht von einer systematischen Darstellung dieser Vorstellung gesprochen werden könne.
Andreas Köstenberger, The Destruction of the Second Temple and the Composition of the Fourth Gospel, 69–108. Es soll der Gedanke entfaltet werden, wonach der johanneische Christus für die Erfüllung der jüdischen Feste und Einrichtungen – den Tempel eingeschlossen – gehalten wird. Als historischer Rahmen wird auf die Zerstörung des 2. Tempels verwiesen. Dabei greift K. auf folgende Texte insbesondere zurück: Joh 1,14.51; 2,14–22; 4,19–24; 7,1–8,59; 10,22–39; 9,38, 20,28; 11,48–52.
Andrew Gregory, The Third Gospel? The Relationship of John and Luke Reconsidered, 109–134. Im Anschluss an die Positionen von F. Lamar Cribbs, Barbara Shellard, Mark Matson sowie Klaus Berger wird versucht, die veränderte Benutzung des Johannes durch Lukas anhand von Lk 24,12 und Joh 20,3–10 nachzuzeichnen. Daraus werden theologische wie historische Konsequenzen ermittelt. Die theologische Konsequenz wird darin gesehen, dass die kanonische Reihenfolge der Evangelien für die Abfassung der jeweiligen Evangelien-Texte stärker in den Blick treten soll, als dies bislang geschah. Hinsichtlich der historischen Konsequenzen habe Lukas bei der Rezeption johanneischer Tradition allerdings übersehen, in welcher Weise jenes Material seine eigene Disposition beeinflusst und verändert habe.
Charles E. Hill, The Fourth Gospel in the Second Century: The Myth of Orthodox Johannophobia, 135–169. Er zeichnet das vielfach belegte Vorurteil nach, wonach das JohEv zuallererst mit Gnosis in Verbindung zu bringen sei und somit eine »Johannophobia« im Rahmen der orthodoxen Theologie vorliege. Eindringlich werden die klassischen Positionen seit 120 n. Chr. hinsichtlich der Rezeption des JohEv nachgezeichnet, und somit wird besagter »Johannophobia« widersprochen.
Mark Stibbe, Telling the Father’s Story: The Gospel of John as Narrative Theology, 170–193. Stibbe will, der Prämisse folgend, wonach der Prolog in 1,18 seine »final, climactic words« (170) erreicht habe, die spezifische Theo-logie des JohEv nachzeichnen. Dabei treten im weiteren Verlauf der Analysen folgende Texte besonders ins Blickfeld: 3,16; 6,40; 14,2.6.12 f.; Kapitel 17; 1,33; 12,27–30; 8,50; und schließlich vor allem 5,21–23. Die Absicht dieses theologischen Ansatzes liegt darin, die eigene Heilsgewissheit und Identität in Gott zu begründen.
Steve Motyer, Narrative Theology in John 1–5, 194–209. Er entfaltet unter stärker hermeneutischen Gesichtspunkten eine Theologie in Erzählung und stellt diese in den Zusammenhang des alttestamentlichen Horizonts der Gnade und Wahrheit (Ex 34,6), wie sie in Joh 1,17 wieder aufgenommen wird. Wichtig sei hier das Thema, wonach der Erzähler der Zeuge sei.
John Lierman, The Mosaic Pattern of John’s Christoloy, 210–234. Der Herausgeber selbst zeichnet das vielschichtige Mose-Bild nach, das sich im JohEv selbst und bei Philo von Alexandrien ergibt und weit mehr als ein ›bloßes Thema‹ sei. Dabei warnt er: »not oversimplify that Christology as nothing more than a reflection of Jewish thoughts about Moses« (232), denn die Darlegung der Identität von Vater und Sohn sei geradezu johanneische Eigenart. Der johanneische Christus wird somit gleichsam zum Antityp.
Gary Burge, Revelation and Discipleship in St. John’s Gospel, 235–254. Schrifthermeneutisch analysiert Burge jene Maßgaben, die den Autor mit dem Rezipienten in Kontakt bringen, und verweist beispielsweise auf folgende Texte: Joh 3,24; 6,71; 2,19–21.24, aber ebenso auf die nicht erklärten Bezüge, die zunächst unklar bleiben: 1,51; 3,14. Deren hermeneutische Funktion wird besonders mit Origenes’ Einsichten verknüpft.
Gabi Renz, Nicodemus: An Ambiguous Disciple? A Narrative Sensitive Investigation, 255–283. Nikodemus wird als ein Beispiel dafür interpretiert, dass lebenspendender Glaube in Jesus Christus vorgestellt wird. Nikodemus steht zunächst für sich, wird dann aber für Möglichkeiten der Identifikation bzw. der Ablehnung seitens des Rezipienten offen.
Bill Salier, Jesus, the Emperor, and the Gospel According to John, 284–301. Anhand von Joh 1,1; 2,1–11; 4,42; 5,1–9; 9,1–12; 6,1–14; 6,16–21; 12,12–15; 14,27; 16,33; 20,19.21; 18,28–19,22 werden Situationen nachgezeichnet, die mit dem Kaiserkult in Berührung kamen, ohne sofort die Zuspitzung auf die Verfolgungssituation vorzunehmen.
Ein achtgliedriges zentrales Literaturverzeichnis sowie drei Indizes (Stellen-, Autoren- und Sachregister) beschließen das Werk.
Welche ›Herausforderungen‹ bleiben, wenn die deutschspra­chige Forschung ausgeblendet wird (Ausnahmen: Hill, Lierman)? Anregend dürfte sein, die johanneische Theologie als eine narra­tive zu verstehen, deren Personenkonstellation (Nikodemus etc.) offen für die subjektive Aneigung des Erzählten wird. Schließlich wehren die Beiträge der Ansicht, das JohEv sei ›gnostisch‹, nicht nur dadurch, dass die Einbettung in das ausgehende 1. Jh. (Kaiserkult) nachgezeichnet wird, sondern auch durch den Erweis der Rezeptionsgeschichte in der Folgezeit. Schwerlich überzeugend dürften die Datierungsversuche (Ende 80er bzw. Anfang 90er Jahre n. Chr.) sein, weil Tempelzerstörung, Messianismus sowie das Verhältnis des JohEv zu den Synoptikern doch eher aus einer noch größeren Distanz zu den Ereignissen des Jahres 70 zu beurteilen sind.