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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

552–553

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barnett, Paul

Titel/Untertitel:

Paul. Missionary of Jesus.

Verlag:

Grand Rapids-Cam­bridge: Eerdmans 2008. XIV, 240 S. m. Abb. gr.8° = After Jesus, 2. Kart. US$ 18,00. ISBN 978-0-8028-4891-8.

Rezensent:

Jürgen Habermann

Paul Barnett ist Lecturer am Moore Theological College, Sydney, und Teaching Fellow am Regent College, Vancouver. In seiner Trilogie mit dem Titel »After Jesus« stellt das Paulusbuch, ein »short essay« (2), nach »The Birth of Christianity: The First Century« den zweiten Teil dar, dem »Finding the Historical Christ« folgen soll. B. legt sein Buch in zwölf chronologisch dem Leben und z. T. den Briefen des Paulus folgenden Abschnitten an. Fünf Appendizes, Bibliographie sowie Sach- und Stellenregister, schließen sich an.
B. will in einem diachronen Verfahren keine Theologie des Paulus nachzeichnen, sondern folgende Fragen klären: War Paulus ein treuer Missionar Jesu? Kannte er Jesu Leben und Lehre? Verkündete er Jesu Botschaft? Sein Ergebnis bejaht diese Fragen. B. hält sowohl die Deuteropaulinen als auch die sog. Pastoralbriefe für paulinisch, setzt voraus, dass Lukas mündlicher Gesprächspartner des Paulus ist, und attestiert der Apostelgeschichte daher weitgehend historische Glaubwürdigkeit. Paulus, der früheste Zeuge Jesu, sei weniger innovativ als adaptiv und applikativ gewesen.
Nach B.s Ansicht ist Paulus keineswegs der zweite Gründer des Christentums gewesen. Dagegen spreche schon die Bekehrung/ Berufung ein Jahr nach Kreuz und Auferstehung Jesu. Paulus habe in Jerusalem viel von Jesus gehört (»extensive knowledge about Jesus«: 21) und in Damaskus eine Katechese (»initial instruction«: 73) von Hananias bekommen. Daher bestünde zwischen Jesus und jenem Kontinuität.
Mit Hilfe der Apostelgeschichte, die zu Lebzeiten des Paulus verfasst worden sei (24), kommt B. zu einem konsistenten Bild des Lebens des Apostels. Die konservative Haltung der Familie habe ihn die Heimatstadt Tarsus (5–17 n. Chr.) nicht von ihrer synkretistischen Seite her rezipieren lassen. Prägend seien vielmehr die Jahre in Jerusalem (17–34 n. Chr.) zu den Füßen Gamaliels gewesen. B. versteht Röm 7,7–24 als spirituelle Autobiographie und datiert sie in die Zeit der Bar Mitzwa (40).
Zum Verfolger der Kirche sei der Hillelit Paulus geworden, weil sich Tempelpriester der jungen Gemeinde angeschlossen hätten. Das Damaskuserlebnis, »an objective and historical event« (132), wird von B. für ganz wichtig für Paulus erachtet. Dort sei die radikale persönliche Wende geschehen und seien die Kernelemente seiner Theologie, z. B. auch seine Christologie (91), geformt worden. Für die nächsten Jahre betont B. gegen den Mainstream der deutschen Forschung die gute Verbindung des Paulus nach Jerusalem. Paulus habe dort viel über die Worte und das Leben Jesu gelernt (84). Antiochia spiele für Paulus überhaupt keine Rolle. Die dortigen jüdisch-hellenistischen Christen sieht B. als resistent gegenüber jeglichem Synkretismus, so dass für Jerusalem, Antiochia und Paulus eine ausschließlich jüdische Basis postuliert wird. Paulus habe für längere Zeit bei den Gottesfürchtigen in und an jüdischen Synagogen missioniert. Eine erhöhte Apokalyptisierung in Judäa, die neue Stabilität im Imperium Romanum unter Claudius, die Ablehnung des gekreuzigten Messias (»Verstockung«) unter den Juden und Erfahrungen mit dem starken Anteil von Heiden an der antiochenischen Gemeinde hätten Paulus zur Entscheidung für die beschneidungsfreie Mission im Westen kommen lassen. Dadurch seien Spannungen mit Jerusalem, das Ende der Beziehung zu Barnabas und eine weithin von konservativen Jerusalemer Gemeindekreisen initiierte Gegenmission entstanden (47–57 n. Chr.). Dies habe Paulus veranlasst, die großen Briefe zu verfassen (Gal, 2Kor, Röm und Phil). Den Römerbrief versteht B. nicht so sehr als Kompendium der paulinischen Theologie denn als Antwort auf die Alternativtheologie der Gegenmission (196), die er als stark pharisäisch einschätzt.
Als »most critical question« (99) sieht B. die »Jesusgemäßheit des paulinischen Wirkens und Verkündigens.« Er vertritt die These, dass Paulus in Analogie und Treue zu seinem Herrn einen zweistufigen Prozess realisiert habe, d. h. eine Zuwendung zuerst ausschließlich zu Juden und dann in einem weiteren Akt eine zu den Heiden (Röm 1,16; 2,9). Mit großem Zutrauen zu umstrittenen Evangelientexten fußt B. auf der Authentizität von Mk 7,27; 13,10 und 14,9 und sieht eine Konsistenz der paulinischen Gottesgerechtigkeit aus Glauben mit der Reich-Gottes-Botschaft und dem Wirken Jesu (194). – Paulus habe als »theology of himself« (119) sich als Licht für die Völker und als Diener für Israel verstanden (Abschnitt 8: 118–133). Als sechs Leistungen/Funktionen des Paulus wertet B. den Boten des Evangeliums für die griechisch-römische Welt, den beispielhaften Missionar, den »Iconic Convert«, den Missionstheologen, den Retter vor Proto-Ebionismus und den Erfüller der Vision Jesu (198–204).
Fazit: Das gut verständliche und stringente Buch erfreut die einen, stark konservativen Leser und verstört die anderen, nichtkonservativen. Bei aller Würdigung bleiben kritische Fragen: Tragen die Texte wirklich B.s Thesen? Wieso setzt Paulus bei möglicher guter Kenntnis von Leben und Botschaft Jesu nicht mehr davon in seinen Briefen ein? In der Tat macht es die Situationsgebundenheit der paulinischen Briefe schwer, die Frage, ob Paulus inhaltlich (!) ein treuer Zeuge Jesu gewesen sei, uneingeschränkt positiv zu beantworten. B.s Buch stellt eine zentrale Frage, man wird oder muss seinen Antworten nicht – ohne Weiteres – zustimmen.